Kontroverse Diskussion um die Position des christlichen Pazifismus
Für eine spirituelle Haltung, die sich am Christusereignis und Jesu Weg der Gewaltfreiheit orientiert, warb der mennonitische Friedenstheologe Prof. Dr. Fernando Enns in der Ökumenischen Gastvorlesung am 22. Januar 2024. Angesichts des „völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der russischen Regierung gegen die Ukraine“ mahnte er, dass die Kirchenleitungen darauf verzichten sollten, „die Perspektive ihrer jeweiligen nationalen Regierungen einzunehmen und deren Handlungen gar theologisch zu legitimieren.“ Vielmehr sollten sie ihre Verantwortung als Kirchen wahrnehmen: eine kritische, orientierende Begleitung, stets mit Blick auf das Leid der Menschen auf allen Seiten.
Fernando Enns verurteilte in der Gastvorlesung, die jährlich während der Gebetswoche für die Einheit der Christen vom Ökumenischen Institut der Katholisch-Theologischen Fakultät und vom Institut für Ökumenische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät ausgerichtet wird, den Angriff der russischen Armee auf die Ukraine. Dabei plädierte er zugleich konsequent für eine pazifistische Haltung, die er, in der Tradition der Mennoniten als Friedenskirche stehend, mit dem „allgemein gültigen Nicht-Tötungsgebot des Evangeliums […] auch gegenüber den Feinden“ begründete. Enns markierte auch die Grenzen seiner friedensethischen Überlegungen. Diese seien „kein ‚Rezept‘“ für diejenigen, die direkt vom Krieg bedroht sind. Er forderte zudem dazu auf, den Dialog mit der Russischen Orthodoxen Kirche auch im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) nicht abzubrechen.
Auf den Vortrag folgte eine kontroverse Diskussion, in deren Mittelpunkt die Frage stand, wie eine konsequent pazifistische Haltung angesichts eines Angriffskriegs überhaupt verantwortet werden kann, in dem das schuldlos angegriffene Land auf die Unterstützung durch Waffenlieferungen angewiesen ist. Auch die Frage nach dem Für und Wider einer Suspendierung der Russischen Orthodoxen Kirche aus dem ÖRK sowie die Idee des gerechten Friedens angesichts unterschiedlicher weltweiter Bewertungen dieses Angriffskriegs wurden diskutiert.
Fernando Enns ist Leiter der Arbeitsstelle Theologie der Friedenskirchen an der Universität Hamburg sowie Professor für (Friedens-)Theologie und Ethik an der Vrije Universiteit Amsterdam. Eine Langform seines Vortrags hat er im April 2023 unter dem Titel „‚Bewegt, versöhnt, eint‘ die Liebe Christi die Welt? Ökumenische Friedensethik in der Bewährung – angesichts des Kriegs gegen die Ukraine“ in der Ökumenischen Rundschau 2/2023 veröffentlicht.