Papst Franziskus bei einer Generalaudienz
Noch im Februar diesen Jahres war eine Delegation der Universität Münster bei einer der letzten Generalaudienzen des Papstes.
© Universität Münster - Norbert Robers

„Er war den Konservativen zu liberal und den Liberalen zu konservativ“

Nach dem Tod von Papst Franziskus ordnet Hubert Wolf das zwölfjährige Pontifikat des 266. Oberhaupt der katholischen Kirche ein
Porträt Hubert Wolf
Hubert Wolf begleitete das zwölfjährige Pontifikat von Papst Franziskus intensiv.
© Catrin Moritz

Noch am Ostersonntag hatte Papst Franziskus tausenden Gläubigen den Ostersegen auf dem Petersplatz gespendet. Einen Tag später, am Morgen des Ostermontags, den 21. April starb das 266. Oberhaupt der katholischen Kirche an den Folgen eines Schlaganfalls. Kirchenhistoriker Prof. Dr. Hubert Wolf forscht bereits seit 40 Jahren in den vatikanischen Archiven zum Handeln und Wirken der katholischen Kirche. Der Vatikanexperte hat das zwölf Jahre dauernde Pontifikat des Argentiniers intensiv begleitet und zieht ein gemischtes Resümee.

„Er war den Konservativen zu liberal und den Liberalen zu konservativ“ bilanziert Hubert Wolf. „Bei aller Symbolpolitik der Einfachheit und dem pastoralen Tonfall der Barmherzigkeit blieben entscheidende Reformen aus, etwa bei der Aufarbeitung der Missbrauchsthematik, was der Glaubwürdigkeit von Papst und Kirche nachdrücklich schadet.“ Dabei weckte Papst Franziskus zu Beginn seines Pontifikats bereits mit seiner Namenswahl große Hoffnungen: „Bis zum Tag der Wahl von Jorge Mario Bergoglio hatte sich noch nie ein Papst nach Franziskus benannt, das war revolutionär“, erläutert der Kirchenhistoriker. „Immerhin gilt der Heilige Franz von Assisi als Exponent der radikalen mittelalterlichen Armutsbewegung, die sich maßgeblich gegen die reiche Papstkirche mit ihren Herrschafts- und Machtansprüchen und ihrem Klerikalismus wandte.“

Den Anspruch, der durch den Namen entstand, konnte Papst Franziskus nur bedingt einlösen. Zwar sieht Hubert Wolf in der Umweltenzyklika „Laudato si“ einen Meilenstein in der Entwicklung des päpstlichen Lehramts, in der sich ein Papst erstmals in einer ethischen Sachfrage Rat von den Wissenschaften geholt und daraus ethische Normen abgeleitet habe. Doch in vielen anderen Punkten blieb Franziskus hinter den Erwartungen vieler Menschen zurück. „Meine Hoffnung, dass er sich mit Blick auf die Sexualmoral ebenfalls an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Homosexualität orientieren würde, bestätigten sich leider nicht“, gesteht Hubert Wolf. Immer wieder vermisste der Kirchenhistoriker auch klare Statements des Oberhaupts von weltweit 1,4 Milliarden Katholiken zum Weltgeschehen. „Wo waren seine klaren Worte zum Überfall Russlands auf die Ukraine? Oder zum Terrorangriff der Hamas auf Israel?“

Der zwiegespaltene Eindruck des Pontifikats zeigte sich auch, als konservative Kritiker die Reformbemühungen des Papstes torpedierten. Gemeinsam mit Paul Zulehner und Michael Hajek versuchte Hubert Wolf in einem Band die Bestrebungen des Papstes zu unterstützen. Auf der Amazonassynode von 2019 war der Kirchenhistoriker als Berater eingeladen, um mit brasilianischen Bischöfen aus der kirchlichen Tradition die Selbstverständlichkeit und Legitimität verheirateter Priester, die es neben zölibatär lebenden stets gegeben hat, zu erheben. Dass Papst Franziskus den auf der Synode gefassten Beschluss nie umgesetzt hat, führte für Hubert Wolf zu einem Kipppunkt: „Das Pontifikat blieb schlussendlich trotz seines Engagements – insbesondere für Arme und Geflüchtete – in vielen Punkten ein ‚Ankündigungspontifikat‘.“

In die Amtszeit Papst Franziskus fiel außerdem die Öffnung der Archive zu Pius XII., die Historikerinnen und Historiker immer wieder gefordert hatten und die Benedikt XVI. bereits in die Wege geleitet hatte. Anders als seine beiden Vorgänger stand Franziskus diesem Thema aber eher abwartend gegenüber. „Als erster nicht europäischer Papst seit 1.200 Jahren fehlte dem Argentinier vielleicht – anders als seinen beiden Vorgängern Johannes Paul II. und Benedikt XVI. – die biographische Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Shoah“, vermutet Hubert Wolf. 2020 kam die Öffnung der Bestände zu Pius XII. in den vatikanischen Archiven dann schließlich doch, die für den Kirchenhistoriker und sein Team durch die Entdeckung von rund 10.000 Bittschreiben jüdischer Menschen an Pius XII. eine ganz neue Forschungsperspektive eröffnet.

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