Abendveranstaltung: Faulhaber im Jahr der Pogromnacht

Michael Kardinal von Faulhaber, hier im Jahr 1948
Michael Kardinal von Faulhaber, hier im Jahr 1948
© Erzbischöfliches Archiv München

Der Jahrgang 1938 der Tagebücher Michael Kardinal von Faulhabers ist jetzt online zugänglich. Im Sommer dieses Jahres wurde die Hauptsynagoge im Herzen der Stadt abgerissen, es folgte die Pogromnacht vom 9. November. Außerdem verschärfte das NS-Regime sein Vorgehen gegen den Katholizismus. Erste Forschungsergebnisse zur Reaktion des Erzbischofs von München und Freising werden am 8. Oktober 2020 ab 19 Uhr an der Katholischen Akademie in Bayern vorgestellt. Wegen der Corona-bedingten Teilnahmebeschränkungen sind aber leider keine Plätze mehr frei.

Die Abendveranstaltung umfasst zwei halbstündige Vorträge und eine anschließende Diskussion mit dem Publikum. Unter dem Titel "Heute Nacht die Synagoge in der Herzog-Rudolfstraße niedergebrannt ..." spricht Prof. Dr. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte über Kardinal Faulhaber und die Verfolgung der Juden durch das NS-Regime. Der Historiker leitet das Editionsvorhaben gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. h.c. Hubert Wolf, der gemeinsam mit Dr. Sascha Hinkel ebenfalls einen Vortrag halten sollte. Weil die Universität Münster Dienstreisen nach München wegen der Corona-Pandemie untersagt hat, muss dieser Programmpunkt entfallen.

Stattdessen berichten die Projektmitarbeiter Moritz Fischer und Julius Kiendl über Faulhaber und das Jahr 1938. "Vor meinen Augen liegt das Jahr schwarz wie die Nacht und grausig wie das Höllental", lautet die Überschrift, ein Zitat aus dem Tagebuch. Der Erzbischof schrieb 1938 häufig über Maßnahmen des NS-Regimes, die gegen den Katholizismus gerichtet waren. Dazu zählten rechtswidrige Schließungen von Ordensschulen und die Auflösung katholischer Verbände. Als Vorsitzender der Bayerischen Bischofskonferenz versuchte Faulhaber verzweifelt, dem entgegenzuwirken. Unter den Katholikinnen und Katholiken Bayerns herrschte unterdessen Unruhe, weil sich die Predigtverbote häuften und die Gestapo erneut Rupert Mayer verhaftete – wegen seines Widerstands wurde der Jesuitenpater 1987 seliggesprochen.

Von Todesahnungen und Schulreformen: Auch Jahrgang 1948 online

Bereits Anfang September ist auch der Jahrgang 1948 der Faulhaber-Tagebücher online zugänglich geworden. Der Kardinal war in der Nachkriegszeit zunehmend gesundheitlich angeschlagen. "… und die Zeit meines Todes ist nahe", schrieb er zum Beispiel. Dennoch kämpfte er unermüdlich und weitgehend erfolgreich gegen die Schulreformpläne der US-amerikanischen Besatzungsmacht. Unterstützung fand er im bayerischen Klerus und beim bayerischen Kultusminister Alois Hundhammer. Entsetzt zeigte sich der Erzbischof über die fortgesetzten Hinrichtungen verurteilter Kriegsverbrecher, er kündigte deswegen eine Intervention beim US-Präsidenten Harry Truman an. Der Erzbischof setzte sich außerdem für die Zulassung konfessioneller und interkonfessioneller Gewerkschaften ein – auch das führte zu Unstimmigkeiten mit den US-Behörden.

1948 kam es außerdem zum Verfahren gegen Anton Scharnagl, das Faulhaber zu verhindern versucht hatte. Dem ehemaligen Münchener Weihbischof wurde seit Jahren vorgeworfen, zum Schaden seiner Kirche für die Gestapo gespitzelt zu haben. Am 21. September trat Faulhaber als Zeuge vor der Spruchkammer auf. Der Prozess endete mit einem Freispruch für Scharnagl, wie Faulhaber umgehend an Papst Pius XII. schrieb. Sorgenvoll blickte der Erzbischof auf den anhaltenden Zuzug von Flüchtlingen und Vertriebenen aus dem Osten nach Bayern. Faulhaber befürwortete ihre Auswanderung nach Übersee, weil er nicht daran glaubte, dass sie in ihre Heimat zurückkehren könnten. Eine dauerhafte Ansiedlung der Flüchtlinge in Bayern hielt er für "unmöglich, weil das Land bis an die Grenze bevölkert" sei. Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln war weiterhin schwierig, die Wohnungsnot groß.

Das zentrale Ereignis des Jahres, die Währungsreform vom 20. Juni, verbanden Besucher Faulhabers mit der Erfahrung von Armut und Enteignung. Es gibt dazu aber nur wenige Einträge im Tagebuch. Auch die Blockade Westberlins durch die Sowjetunion war dem Münchener Erzbischof nur eine kurze Notiz wert. Den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee, der im August tagte, erwähnte er überhaupt nicht. Und auch über die Existenz und die Aufgaben des Parlamentarischen Rates in Bonn zeigte sich Faulhaber im Herbst zunächst nicht informiert. Später befürchtete er aber, dass dessen Beschlüsse die Kulturhoheit der Länder beschnitten. Das Augenmerk des Erzbischofs, so zeigt das Tagebuch 1948 deutlich, galt immer seiner bayerischen Heimat.

Für die Abendveranstaltungen gibt es leider nur noch Plätze auf der Warteliste. Wichtige Hinweise, inklusive der geltenden Abstands- und Hygieneregeln, finden Sie auf der Website der Katholischen Akademie in Bayern.


© Fauhlaber-Projekt

Informationen zur Faulhaber-Edition

Insgesamt sind jetzt die Jahrgänge 1911 bis 1919, 1933 bis 1938 und 1945 bis 1948 der Faulhaber-Tagebücher online unter www.faulhaber-edition.de zugänglich. Mehr als 40 Jahre lang hielt der Kirchenfürst in seinen Tagebüchern jeden Tag seine Begegnungen mit Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten fest. Diese Quelle wird im Projekt "Kritische Online-Edition der Tagebücher von Michael Kardinal von Faulhaber (1911-1952)" wissenschaftlich aufbereitet. Die Einträge müssen dafür zunächst aus der Kurzschrift Gabelsberger übertragen werden, die heute nur noch wenige Experten entziffern können.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das auf zwölf Jahre angelegte Vorhaben seit dem 1. Januar 2014. Im Projekt arbeiten Historikerinnen und Historiker, Theologen und ein Informatiker interdisziplinär zusammen. Geleitet wird es von dem Historiker Prof. Andreas Wirsching vom Institut für Zeitgeschichte München-Berlin und dem Kirchenhistoriker Prof. Hubert Wolf von der Universität Münster. Kooperationspartner ist das Erzbischöfliche Archiv München, in dem die Tagebücher verwahrt werden. Die Edition wird insbesondere neue Beiträge zum Verhältnis von Religion und Politik und zum Umgang der katholischen Kirche mit totalitären Ideologien ermöglichen. Gleiches gilt für innovative Forschungen zur Theologie- und Kulturgeschichte, etwa mit Blick auf personelle Netzwerke, Frömmigkeitsformen, Kriegsdeutungen, Emotionen und Geschlechterrollen im Katholizismus oder die Beziehungen zu anderen Glaubensgemeinschaften.