Wenn die Erinnerung auf die Gegenwart trifft...
Am 31. März 2018 endete an der Hittorfstraße 56 eine 57-jährige Ära: die letzten Pflanzen, Werkzeuge und übrigen Dinge des täglichen gärtnerischen Bedarfs waren bereits zum neuen Arzneipflanzengarten an der Corrensstraße 48 umgezogen und nun wurden die Schlüssel dem Gebäudemanager der WWU zurückgegeben. Auch wenn es danach noch Nutzer für einige Bereiche geben sollte, so fiel doch ein großer Teil des Gartens in einen Dornröschenschlaf. Im August 2022 kam im Institut die Idee auf, dem alten Garten noch einmal einen Besuch abzustatten. Gesagt - getan! So trafen sich am 23.08. drei Institutsmitglieder - jeweils ausgestattet mit einer Kamera - am hinteren Teil des Gartens im Bereich der alten Obstwiese.
- Die Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern, mit "Esc" gelangt man zurück zur Webseite.
- Ein alter Lageplan (inkl. Nummerierung) hilft bei der Orientierung.
Der Bericht:
Wir betreten den Garten im Bereich der alten Obstwiese, auf der wir vor Jahren etliche Obsthochstämme neu gepflanzt hatten. Die damals gepflanzten Obstgehölze waren gedacht für die Ausbildung der Studierenden im Studiengang M.Sc./B.Sc.-Lebensmittelchemie (letzte Lehrveranstaltung im Juli 2017). Schon der erste Eindruck lässt erahnen, was sich im weiteren Verlauf unserer Gartenbegehung bewahrheiten sollte: von der ursprünglichen Obstwiese ist nicht viel wiederzuerkennen, sie ist inzwischen völlig verwildert.
(1) Die alte Obstwiese
Ein Teil der Obstgehölze ist abgestorben und die gesamte Fläche ist übersät mit Sämlingen der verschiedenen Obst-Arten und hochgewachsenen Wildstauden.
(2) Der Acker
Neben den Obstbäumen befand sich ehemals ein freier Acker, der inzwischen von Mitarbeitern des Instituts für Landschaftsökologie (FB Geowissenschaften) zu Forschungszwecken genutzt wird.
(3) Die Natur bahnt sich ihren Weg
In der Nähe dieser Anlage befindet sich noch eine weitere Fläche, die ebenfalls von einer Nutzung zu Forschungszwecken zeugt. Hier fällt auf, dass sich Wildpflanzen auf Dauer nicht wirklich von einem Bändchengewebe beeindrucken lassen, das ja eigentlich die gärtnerisch genutzte Fläche „sauber“ halten sollte.
(4) Wo war da nochmal der Durchgang?
Weiter soll es gehen zum hinteren Teil des Arzneipflanzengartens durch einen kleinen Durchgang im ehemaligen Mittelstreifen. Leichter gesagt als getan: dieser Durchgang muss zunächst erst einmal gefunden werden. Der ehemalige Mittelstreifen kann als solcher ebenfalls kaum noch erkannt werden, da er mittlerweile massiv überwachsen ist von Brombeeren, Brennnesseln, Sämlingen verschiedener Cornus-Arten und weiteren Wildpflanzen. Eine wirkliche Passage zum hinteren Teil ist wegen des undurchdringlichen Dickichts nur noch an zwei Stellen überhaupt möglich. Das Ganze erinnert in der Tat an das Märchen Dornröschen.
(5) Die Mistelwiese
Auf der linken Seite am Durchgang befindet sich der klägliche Rest unserer ehemaligen Mistelwiese. Wir waren damals recht stolz auf den Bestand an Misteln, den wir dort auf einigen Apfelbäumen etablieren konnten. Leider hatten sich im schon im Advent 2018 (also kurz nach unserem Abschied) unbekannte Zeitgenossen ungefragt an den Misteln bedient und einen Großteil des Bestandes abgeernet. Vielleicht sind die Misteln dann auf dem Weihnachtsmarkt wieder aufgetaucht und in bare Münze verwandelt worden ... wer weiß?
Trotz des radikalen "Rückschnittes" haben sich die Misteln aber erstaunlich gut erholt und sind wieder durchgetrieben. Mindestens zwei der Apfelbäume sind allerdings mittlerweile abgestorben und mit ihnen auch der starke Mistelbesatz. Wir können über die Ursache nur spekulieren, aber deutliche Fraßspuren im unteren Stammbereich lassen den Schluss zu, dass sich hier in einem schneereichen Winter die zahlreichen Kaninchen an der Rinde so gründlich gütlich getan haben, dass die Bäume letztlich ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden.
(6) Die Indikationsbeete
Nach erfolgreicher Passage durch den versteckten Durchgang gelangen wir in den hinteren Teil des Gartens zu den (ehemaligen) Indikationsbeeten. Dieser Teil des Gartens wurde am 25. Mai 2005 im Rahmen einer feierlichen Eröffnung (siehe Foto links) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und war fortan ein Highlight der regelmäßig durchgeführten Gartenführungen. Das Foto zeigt eine Situation von der Eröffnungsfeier mit vier Professoren des IPBP: Andreas Hensel (geschäftsf. Direktor) und den drei ehemaligen IPBP-Hochschullehrern Heinrich Glasl (2), Adolf Nahrstedt (3) und Hildemar Friedrich (4).
Leider ist von dieser schönen Anlage nicht mehr viel zu erkennen, denn auch hier hat sich die Natur das Areal zurückerobert. Bemerkenswert, wie sich vor allem eine Art auf der gesamten Fläche ausgebreitet hat: das Jakobskreuzkraut (Jacobaea vulgaris Gaertn.). Ursprünglich war diese Pflanze nur im Giftpflanzenbeet zu finden. Hier wird anschaulich klar, was es bedeutet, wenn eine Art als „invasiv“ eingestuft wird.
(7) Weiden-Soccer
Weiter geht es zu einer Anpflanzung von Reif-Weiden (Salix daphnoides Vill.), die ursprünglich das Ziel hatte, ein sehr feuchtes Teilareal des Arzneipflanzengartens trocken zu legen. Das Vorhaben war von Erfolg gekrönt. An diese Anpflanzung knüpft sich auch manch' schöne Erinnerung an die Kindertage im Arzneipflanzengarten, die bis vor einigen Jahren regelmäßig stattfanden und viele kleine Naturforscher ins Institut lockten. Damals fand hier der sogenannte „Weiden-Soccer“ statt, ein Geschicklichkeitsspiel, bei dem ein Ball mit den Füßen durch einen Parcours zwischen den Weiden durch bewegt werden musste. Leider hat auch hier der „Zahn der Zeit“ seine Spuren deutlich hinterlassen.
(8) Die Kastenanlage
Weiter führt uns der Weg an der ehemaligen Kastenanlage vorbei, ursprünglich einmal das Herzstück für die Anzucht von Pflanzen. Auch hier hat die Natur sich nicht lange bitten lassen und das Terrain vollständig in Beschlag genommen. Man kann schon ohne Übertreibung sagen, dass die ehemalige Kastenanlage einen deutlichen „Lost-Place"-Charakter bekommen hat.
(9) Die alte Gartenpforte
Der Weg in Richtung des ehemaligen Systematikgartens und des alten Institutsgebäudes hält dann doch noch zwei Erinnerungsstücke an die alte Gartenordnung bereit: die alte Gartenpforte ist noch deutlich sichtbar „im Dienst“ und unter der großen Zeder (Cedrus atlantica (Endl.) G. Manetti ex Carriére) steht noch immer die alte Systematiktafel und erinnert an vergangene Zeiten. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass sich auch die Taxonomie in ständigem Fluss befindet.
(10) Von strengen Systematikbeeten zum urbanen Permagarten
Auch der ehemalige Systematikgarten hat sein Gesicht grundlegend verändert. Seit unserem Auszug wird er vom AStA als Permakultur-Garten bewirtschaftet und ist nun Teil des Projektes "Urbane Gemeinschaftsgärten in Münster" (vgl. S. 9): In diesem studentischen Garten wird nun Obst und Gemüse angebaut: ein nachhaltiges, gemeinschaftliches Gartenprojekt in Innenstadtlage mit ganz eigenem Charme. Alles wirkt sehr einladend, obwohl (oder gerade weil) der Garten optisch so ganz anders aussieht als ein traditioneller Gemüsegarten.
(11) Das Gewächshaus
Wir beenden unseren Gartenrundgang am Hintereingang des alten Institutsgebäudes (Hittorfstraße/Am Schloßgarten). Das knapp 30 Jahre alte Gewächshaus hinterlässt äußerlich noch einen guten Eindruck. Da es aber direkt nach unserer Übergabe vom Heizungssystem getrennt wurde, ist es eigentlich nur noch im Sommer nutzbar. Es wird (wurde) zwischenzeitlich von Mitarbeiter*innen des Botanischen Gartens und des Institutes für Landschaftsökologie genutzt.
Ein wüstes, undurchdringliches Gebüsch aus (hauptsächlich) Brombeeren und anderen wild aufgeschlagenen Sämlingen macht den Zugang zum alten Institutsgebäude und zum Hintereingang des Gewächshauses ohne den Einsatz von „schwerem“ Gerät unmöglich. Man fühlt sich als Betrachter der Szene unwillkürlich erneut an das Märchen von Dornröschen erinnert – nur dass unser altes Institut eben kein Schloss war...
(12) Der Trompetenbaum
Es ist zudem beeindruckend zu sehen, wie der Stumpf des alten Trompetenbaumes (Catalpa bignonioides Walter), der vor einigen Jahren nach einem Sturm aus Sicherheitsgründen gefällt werden musste, wieder ausgetrieben hat und der junge Austrieb schon wieder deutlich an seinen großen und wunderschönen Ahnen erinnert.
Der neue Arznei- und Nutzpflanzengarten
Was bleibt, ist eine nicht zu verleugnende Wehmut über den unabänderlichen Verlust dieses einzigartigen Gartens und des altes Institutsgebäudes, dessen Charme nicht auf den neuen Standort (Corrensstraße 48) zu übertragen war. Was bleibt ist die Dankbarkeit, lange Jahre in diesem bemerkenswerten Ensemble gearbeitet zu haben und die Freude darüber, nun in top-modernen Laboratorien forschen und lehren zu dürfen mit einem nach modernen taxonomischen Gesichtspunkten neugestalteten Arznei- und Nutzpflanzengarten (Lageplan/Flyer) in nächster Nähe. Das Prinzip der Öffnung für die Bevölkerung haben wir natürlich beibehalten und so freuen wir uns auf viele interessierte Besucher. Beliebt sind unsere Sonntagsführungen, die vom 1. April - 31. September monatlich angeboten werden (Termine: siehe Homepage).
Grüne Oase inmitten der Großstadt
Auch wenn der alte Garten nach äußerlichem Anschein mittlerweile völlig verwildert ist, bleibt die Hoffnung, dass er eine Neubelebung erfährt. Wenn die Zukunft des geplanten Musik-Campus Münster geklärt ist und der Neubau an der Hittorfstraße realisiert werden würde, könnte „unser“ alter Garten (als Teil dieser Anlage) wieder zu dem werden, was er als Arznei- und Nutzpflanzengarten immer gewesen ist: eine naturnahe grüne Oase inmitten einer Großstadt.
Lars Krüger, Matthias Lechtenberg, Andreas Hensel