Kritische Analyse Heiliger Texte
Das Neue Testament ist die Grundlage des Glaubens von rund 2,5 Milliarden Menschen. Damit ist das Christentum die größte Glaubensgemeinschaft überhaupt. Doch der Text der Bibel hat sich im Lauf von zwei Jahrtausenden immer wieder gewandelt. Das Institut für Neutestamentliche Textforschung (INTF) der Universität Münster bemüht sich seit 65 Jahren, den griechischen Urtext zu rekonstruieren und damit eine verlässliche Grundlage für Glauben, Forschung und Ausbildung zu schaffen. Die von ihm heraus gegebenen kritischen Ausgaben des "Nestle-Aland" und des "Greek New Testament", basierend auf der "Editio Critica Maior", sind das überkonfessionelle Fundament für Bibelübersetzungen weltweit.
Finanziell unterstützt wird das INTF durch die Hermann Kunst-Stiftung, die vor 60 Jahren gegründet wurde. Und noch ein drittes Jubiläum steht in diesem Jahr an: Das Bibelmuseum der Universität Münster wurde vor 45 Jahren eröffnet. Es erzählt die Geschichte der Bibel – von ihren handschriftlichen Anfängen bis heute. Diese drei Jubiläen werden vom 21. Mai bis 29. September mit der Sonderausstellung "Kritische Analyse Heiliger Texte" im Bibelmuseum gefeiert.
Gut 100 Ausstellungsstücke beleuchten die Geschichte der drei Institutionen und der neutestamentlichen Textforschung. Ein besonders wertvolles Exponat, das aus konservatorischen Gründen nur drei Monate zu sehen sein wird, sind die handschriftlichen Jeremia-Anmerkungen von Martin Luther aus dem Jahr 1530. Schon Luther gab sich nicht mit einer einmal erarbeiteten Übersetzung zufrieden, sondern revidierte mehrmals seine Bibelübersetzungen. Bis heute wird der Text der Bibel den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und der jeweils modernen Sprache angepasst.
So spannt die Ausstellung von einem Faksimile des Codex Sinaiticus, der ältesten erhaltenen Abschrift des Neuen Testaments aus dem 4. Jh. n. Chr., und Papyrifragmenten des 3. und 4. Jahrhunderts, die erstmals zusammen in Münster zu sehen sind, bis hin zu aktuellen Bibelausgaben den Bogen über fast 2000 Jahre Geschichte des "Buchs der Bücher".
Dabei wird auch die wissenschaftliche Arbeit des INTF beleuchtet: Rund 5.000 Handschriften sind in Datenbanken des INTF fotografisch dokumentiert und wissenschaftlich bis ins kleinste Detail erfasst. So gelang es, mit dem "Nestle-Aland" und später auch dem "Greek New Testament" (GNT), zwei Handausgaben zu entwickeln, die weltweit in Forschung und Lehre genutzt werden und Markenzeichen des Instituts wurden. Die seit 1997 veröffentliche "Editio Critica Maior", die bis zum Jahr 2030 abgeschlossen sein soll, ist eine wesentlich ausführlichere Ausgabe, die vor allem für die Forschung alle wichtigen Lesarten und Varianten auflistet.
Möglich wurde die Arbeit von Institut und Bibelmuseum nur durch die großzügige Unterstützung der "Hermann Kunst-Stiftung für neutestamentliche Textforschung". Gegründet wurde sie 1964 auf Initiative von Bischof Kunst, dem ersten Bevollmächtigten des Rats der Evangelischen Kirche bei Bundesregierung. Sie sorgte nicht nur dafür, dass die Stiftung mit den notwendigen finanziellen Mitteln ausgestattet wurde, sondern überließ dem INTF auch seine wertvolle Privatsammlung mit neutestamentlichen Handschriften, Inkunabeln und frühen Bibeldrucken.
Sie bildete den Grundstock für das 1979 eröffnete Bibelmuseum (heute Pferdegasse 1), indem die Geschichte der Bibel und die Arbeit des Instituts allgemeinverständlich und an eine breite Öffentlichkeit gerichtet, präsentiert wird.
Zur Ausstellung ist ein 250seitiger Katalog im LIT-Verlag Münster erschienen, der für 29,90 Euro vor Ort gekauft oder im Buchhandel bestellt werden kann.