Es ist angenehm warm, das Licht brennt hell, und aus dem Wasserhahn strömt das kühle Nass. Für Mitarbeiter, Studierende und Besucher der WWU und für Patienten des Uni-Klinikums sind Strom, Wasser und Wärme selbstverständlich. Doch woher stammt die Energie? Sie kommt aus einem unscheinbaren 16 Meter hohen Quader mit einem 45 Meter hohen Schornstein am Orléansring: aus dem universitätseigenen Heizkraftwerk (HKW). Es versorgt alle Universitätsgebäude, aber auch andere öffentliche Gebäude wie die Kaserne an der Einsteinstraße und die Bezirksregierung am Domplatz. Als Brennstoffe kommen Heizöl und Erdgas zum Einsatz, geliefert werden Strom, Dampf, Fernwärme und Fernkälte, wobei Fernwärme und Strom teilweise auch von den Stadtwerken Münster bezogen werden.
"Das Heizkraftwerk kann rund 120 Megawatt an Wärme erzeugen", erläutert Heizkraftwerksleiter Dieter Kollmann. "Das reicht aus, um rund 10000 Reihenhäuser ausreichend zu versorgen." Insgesamt stellt das HKW 6000000 Kilowattstunden Strom, 125000 Megawattstunden Fernwärme, 4500 Megawattstunden zentrale Kälte und 75000 Megawattstunden Dampf für die Versorgung bereit. Der Dampf wird überwiegend im Klinikum verbraucht – etwa um die Luft zu befeuchten, die Wäsche zu mangeltn und trocknen, die Bettentürme zu beheizen und das Operationsbesteck zu sterilisieren. Zwei Dampfturbinen erzeugen stündlich maximal zwei Megawatt Strom. Doch die können nur rund zehn Prozent des Strombedarfs der Universität decken. Daher wird ein Großteil des Stroms von einem externen Stromanbieter bezogen. 1962 errichtete die WWU das Kraftwerk auf dem Gelände einer ehemaligen Gärtnerei. Es lief bis 2004 mit Kohle, seitdem mit Erdgas oder Heizöl.
"Beim Schneechaos lautete das Kommando: alle Kessel in Betrieb und volle Leistung."
Insgesamt 20 Mitarbeiter arbeiten im HKW. Turbinenmaschinist und Kesselwärter Ewald Schmitz ist seit 28 Jahren mit an Bord. Mit Argusaugen verfolgt der 56-Jährige die automatischen Programme auf einem Dutzend Bildschirmen. Im Kraftwerk muss er über 5800 Datenpunkte kontrollieren, ein Drittel davon ist mit Alarm belegt – akustisch und visuell. Unzählige bunte Lichter flackern auf. Sie geben Auskunft über die Wasseraufbereitung, über den Zustand der Pumpen und Dichtungen. Ewald Schmitz überwacht zum Beispiel, ob die Turbinen optimal laufen und ob die Ölwerte in Ordnung sind. Zeiger, Ziffern und Messwerte zeigen ihm, ob alle Rohre dicht sind. Über die komplexe Leittechnik kann er notfalls nachjustieren.
Mithilfe von acht schwenkbaren Kameras im Außen- und Innenbereich behält Ewald Schmitz jederzeit den Überblick. Beim Schneechaos im November 2005 führten Spannungsschwankungen im Netz zu einem Totalausfall des Heizkraftwerkes der Stadtwerke. Die WWU sprang ein und versorgte mit ihrer Reserveleistung die Kunden im Stadtgebiet über ihr HKW. "Das Kommando lautete: Alle sechs Kessel in Betrieb und volle Leistung voraus", erinnert sich Dieter Kollmann. Wegen des Ausfallrisikos wurde bereits am frühen Morgen auf das Notstromaggregat umgeschaltet, das 25 Liter Motoröl und 8000 Liter Diesel verbraucht.
Angetrieben wird das Notstromaggregat des Heizkraftwerkes von einem 3000 PS-Dieselmotor (12 Zylinder). Er steht im Keller. Er hat keinen klassischen Anlasser, sondern startet über zwei Pressluftflaschen. Wie bei einem normalen Auto kontrolliert Winfried Wensing auch hier regelmäßig den Ölstand. Stolz ist er auf die fast schon denkmalreifen Siemens-Turbinen von 1966. "Die laufen wie am Schnürchen, wie am ersten Tag."
Im Tunnelsystem üben das SEK und die Hundestaffel der Polizei
Doch wie kommen Dampf und Heißwasser vom Heizkraftwerk in die Gebäude? Die WWU verfügt über ein eigenes, 20 Kilometer langes Leitungsnetz, von dem rund zwei Kilometer begehbar sind. Dicke Leitungen von knapp einem Meter Durchmesser durchziehen diesen Tunnel, der vom Kraftwerk aus das Klinikum, das Naturwissenschaftliche Zentrum und die Gebäude am Horstmarer Landweg mit Dampf und Heißwasser versorgt.
Das Knacken der Vor- und Rücklaufrohre klingt gespenstisch. Ein Zirpen ist zu hören. "Das sind unsere Heimchen", sagt Winfried Wensing, "sie geben uns das Gefühl, nicht allein zu sein." Bis zu 14 Rohre finden sich in den scheinbar endlosen Gängen. Hinzu kommen Telefon- und Datenkabel. Im weit verzweigten Labyrinth erscheinen die Gänge zum Verwechseln ähnlich, wären da nicht die unterschiedlichen Schächte. Das wirkt beklemmend und faszinierend zugleich. Im Tunnelsystem nahe der Badestraße üben das Sondereinsatzkommando sowie die Hundestaffel der Polizei regelmäßig.
Der fahle Lichtkegel von Winfried Wensings Lampe wandert über die grauen Kanalwände. Sie sind bis zu 40 Zentimeter dick und aus Stahlbeton. Winfried Wensing und seine Kollegen machen einmal wöchentlich Kontrollgänge durchs gesamte begehbare Tunnelsystem. Dabei achten sie vor allem darauf, dass die Leitungen dicht sind. An vielen Stellen ist Kreide deponiert, um eventuelle Dehnungen zu markieren. Der Dampf jagt mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 40 Metern pro Sekunde durch die Leitungen. Ein Rohrbruch wäre hier eine Katastrophe. Dann würde sich heißes Wasser in den Schacht ergießen. Das erklärt auch die Notiz an einer Schachtwand: "Zwei Meter tiefer ist die Hölle."
Peter Sauer