
Prof. Bernd Blöbaum
Wie konnte es zu der dramatischen Nuklearkatastrophe in Japan kommen? Wie bewältigen wir die Eurokrise? Warum verfolgten zwei Milliarden Menschen die Hochzeit des britischen Thronfolgers William mit Kate Middleton? Ist der Druck, der auf Fußballschiedsrichtern lastet, zu hoch? Hilft Impfen gegen EHEC? Fragen aus Bereichen wie Politik, Wirtschaft, Psychologie, Medizin oder Physik kursieren je nach Ereignislage zigfach in den Medien. Das war auch vor 20 Jahren der Fall. Aber es gibt einen großen Unterschied: Die Rolle der Wissenschaft und der Wissenschaftler in medialen Publikationen und Sendungen hat sich seither erheblich verändert.
"Die Wissenschaft als Themenfeld hat seit 1990 stark an Bedeutung gewonnen", betont Prof. Bernd Blöbaum vom Institut für Kommunikationswissenschaft. Neben kommunikationswissenschaftlichen Projekten befasst sich an der WWU auch ein von Prof. Rainer Bromme (Psychologie) koordiniertes DFG-Schwerpunktprogramm mit "Wissenschaft und Öffentlichkeit". Eine Langzeitstudie zum Wandel des Journalismus zeigt laut Bernd Blöbaum: Nachrichtenmedien legen heute besonderen Wert auf Hintergrundberichterstattung. Der Anteil vertiefender Beiträge in Print-Medien ist seit 1990 um sechs Prozent auf 43 Prozent gestiegen. Zudem transportieren Medien ihre Themen verstärkt über eine bestimmte Person. Während 1995 43 Prozent der Berichterstattung ohne Personalisierung auskam, waren es 2008 nur 31 Prozent. Damit werden Wissenschaftler für die Medien immer häufiger als Experten interessant. Kriminalbiologe Mark Benecke ist ein Beispiel für diese Tendenz. Der Forensiker schrieb eine Kolumne in der Frankfurter Rundschau und wird aufgrund seiner lockeren Art und Popularität zu den verschiedensten Themen mit rechtsmedizinischem Hintergrund befragt.
Diese Entwicklung kann Daniel Nölleke bestätigen. Der Kommunikations- wissenschaftler steht kurz vor Abschluss seiner Doktorarbeit, in der er sich mit dem Einsatz von Experten in der Medienberichterstattung beschäftigt. "Wissenschaftler sind nach Wirtschaftsakteuren wie etwa Börsenanalysten die zweitstärkste Gruppe unter den Experten", erklärt Daniel Nölleke. Für seine Dissertation analysierte er über zwei Wochen die Berichterstattung der BILD-Zeitung, der Süddeutschen Zeitung und von ARD und RTL. Auch seine Ergebnisse deuten auf die prominente Rolle der Wissenschaft und ihrer Vertreter in deutschen Medien hin. Daniel Nölleke hat aber auch herausgefunden, dass klassische Wissenschaftsthemen dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen. "Wissenschaftler werden zu den unterschiedlichsten Themen befragt: Einen wissenschaftlichen Anlass haben die wenigsten davon", konstatiert der Kommunikationswissenschaftler.
Auch Bernd Blöbaum erhält solcherlei Anfragen: "Im April bin ich zur Hochzeit von William und Kate befragt worden", erinnert sich der Professor. Themen aus der Promiwelt oder dem täglichen Leben würden immer häufiger mit wissenschaftlichen "Experten" besetzt. "Manche Forscher haben aufgrund des populärwissenschaftlichen Einschlags Sorge, ihre Glaubwürdigkeit in der Wissenschaftswelt könnte Schaden nehmen", weiß Bernd Blöbaum. "Medialisierung ist als Prozess nicht mehr zu ignorieren. Dies verändert die Darstellung von Wissenschaft. Dazu gehört auch, dass eine öffentliche Darstellung wissenschaftlicher Erkenntnisse zunehmend erwartet wird – es bleibt aber eine Entscheidung der Wissenschaftler, ob sie diese Erwartungen erfüllen oder nicht."
Hanna Dieckmann