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David Bonson

Ich habe mich im Schulunterricht oft gelangweilt", gesteht David Bonson. Der junge Mann ist gerade 20 Jahre alt, sein jugendliches Gesicht verrät nicht, dass er die Schule hinter sich gelassen hat. Sobald er aber zu reden beginnt, zeigt sich, dass er mit dem Thema Schule schon weit vor seinem Abitur im Sommer 2010 abgeschlossen hatte. In der Oberstufe am Schlaun-Gymnasium wurde David Bonson Student. Die "JuniorUni", ein Angebot der Uni Münster, ermöglichte es ihm, bereits als Schüler Hochschulluft zu schnuppern. "Ich wusste von der ersten Vorlesung an, dass ich nicht in die Schule, sondern an die Uni gehöre."


Und wie! Heute studiert er Osteuropäische Beziehungen an der weltweit angesehenen Sciences Po Paris – einer auf Sozialwissenschaften ausgerichteten Hochschule. Das schaffen lediglich zehn Prozent der Bewerber. Dass er zu den Glücklichen oder treffender zu den Besten gehörte, schreibt der gebürtige Davensberger auch seinen Erfahrungen aus dem Junior-Studium zu. „In meinem Motivationsschreiben habe ich darauf bewusst einen Schwerpunkt gelegt.“ Zeigen sie doch sein besonderes Interesse für die Wissenschaft und den Mut zu großen Herausforderungen. Nichtzuletzt attestiere ihm sein frühes Uni-Engagement, dass er dem Arbeitsdruck an der Sciences Po Paris gewachsen ist. Denn wer als Jugendlicher Schule und Uni unter einen Hut kriegt, muss starke Nerven haben.


"Wer Schüler-Student werden will, sollte sich für ein bestimmtes Fach besonders interessieren oder einfach neugierig auf die Uni sein", erklärt Ursel Westphal, die es wissen muss. Sie ist Lehrerin an der münsterschen Marienschule und Koordinatorin des WWU-Angebots "Junior-Uni". Zu ihr können Schülerinnen und Schüler kommen, wenn sie Interesse an einem "Doppelleben" haben. Manche potenzielle Kandidaten spricht die Mathe- und Sportlehrerin aber auch von sich aus an. "Wenn ich merke, dass es einem Schüler gut täte, über die Möglichkeiten der Schule hinaus gefördert zu werden."

"Ich befürchtete, als Schüler an der Uni aufzufallen."

Die Junior-Uni hat auch Ranjani Banhatti um einige Erfahrungen reicher gemacht. Die gebürtige Inderin ist wie David Bonson "Junior-Uni-Alumni". Ihre Erinnerungen sind jedoch nicht durchweg positiv. "Es war eine plötzliche Entscheidung, die im Rückblick einfach zu früh kam", erinnert sich die 20-Jährige. Bereits mit 15 Jahren besuchte Ranjani Banhatti die 12. Klasse, weil sie für ihr Alter – vor allem in Mathematik – schlicht zu gut war. "Zu meinen 30 Schulstunden nahm ich 12 Stunden Mathe an der Uni." Mit Vor- und Nachbereitung bedeutete das für die junge Frau ein Pensum deutlich über einer 40-Stunden-Woche. "Meinen Schulnoten hat es nicht geschadet, aber viel Freizeit blieb nicht mehr", sagt sie heute.


Eine derartige zeitliche Überforderung versucht Ursel Westphal stets zu verhindern.  "Grundvoraussetzung ist eine von allen Seiten positive Absprache zwischen Schülern, Eltern und Lehrern." Normalerweise fallen für die jungen Studierenden Schulstunden aus, denn die Junior-Uni zählt offiziell als Schulveranstaltung. "Der verpasste Stoff muss nachgeholt werden", erklärt Ursel Westphal. Nur, wenn sich im Vorfeld alle Parteien einig sind, dass das Pensum gut zu schaffen ist, könne es losgehen. Im Fall von Ranjani Banhatti war eine fachliche Überforderung nicht zu erwarten. "Ich habe mich von meinem Mathelehrer zu sehr beeinflussen lassen", rekapituliert die Inderin. Der Lehrer habe sie – begeistert von ihrem Talent – ermuntert, mehr Kurse zu besuchen, als vorgesehen.


"Ich wollte viel und war gierig. Aber ich wusste nicht, ob Mathe mein Ding ist."

Für den überdurchschnittlich begabten David Bonson kam die Junior-Uni in der zehnten Klasse indes einer Erlösung gleich, auch wenn er zu Beginn skeptisch war. "Erst war ich gegen die Idee meiner Eltern", erinnert er sich. "Ich befürchtete, als Schüler in der Uni aufzufallen." Aber das Interesse an den Fächern Geschichte und VWL war letztlich größer als seine Vorbehalte. "Ich wollte mehr über die Zusammenhänge in der Vergangenheit erfahren, als es mir in der Schule möglich war." Den jungen Mann beschäftigten früh Fragen wie: Warum hat sich die Welt so und nicht anders entwickelt? Warum gibt es Arbeitslose? Welchen Einfluss hat die Politik auf die Wirtschaft? "Ich hatte nach jeder Uni-Veranstaltung das Gefühl, mehr gelernt zu haben als je zuvor", berichtet David Bonson. Endlich habe er sich richtig aufgehoben gefühlt. Die Befürchtung, im Hörsaal aufzufallen, legte sich schnell. "Ich habe nicht erzählt, dass ich Schüler bin. Erst als ich im Bus mein Schüler- und nicht das Studententicket aus der Tasche zog, ist es einem Kommilitonen aufgefallen", schmunzelt er.


Während David Bonson den Mehraufwand aus eigener Motivation betrieb, spielte für Ranjani Banhatti, die nach der Schule ein Mathe-Studium anschloss, die Prägung durch ihr Elternhaus eine wichtige Rolle. Zwar waren die Erwartungen ihrer Eltern, beide promovierte Physiker, nicht besonders hoch. Aber sie vermittelten ihr etwas, das Ranjani Banhatti als "inhärent indisch" bezeichnet – ausgeprägte Leistungsbereitschaft und Ehrgeiz. Eine Erziehung, die sie nachhaltig prägte. Ich war schon immer sehr leistungsorientiert, erinnert sie sich. "Ich wollte viel und war gierig. Aber ich wusste eigentlich nicht, ob Mathe mein Ding ist, nur, dass ich in der Schule gut darin bin."

Wl 1106 Ranjani

Ranjani Banhatti

Dass sie die Uni neben der Schule meistern konnte, freute die Familie. "Meine Mutter hat sich jedoch häufig gefragt, warum ich nicht einfach mit dem normalen Pensum an Arbeit zufrieden bin und ich immer eine ‚Extrawurst‘ brauchte", erzählt sie. Trotzdem hätten sie ihre Eltern ermutigt, mit dem Studium weiterzumachen. Den Bachelor in Mathematik absolvierte sie in Indien und schloss mit soliden Noten ab. Jedoch quälten sie zu dieser Zeit starke Zweifel an ihrer Entscheidung, dazu kamen familiäre Probleme. "Ich ließ die Zügel schleifen, arbeitete nicht mehr für die Uni und spielte sogar mit dem Gedanken, hinzuwerfen", erzählt die 20-Jährige. Kurz davor, anstelle des Studiums eine Frisörlehre zu beginnen, besann sie sich auf die Tugenden ihrer Eltern. "Ich hielt durch – genauso, wie ich es bei der Junior-Uni getan hatte."

David Bonson und Ranjani Banhatti sind außergewöhnliche Beispiele für Teilnehmer der Junior-Uni. Die meisten Schüler, die die Junior-Uni für sich entdecken, haben noch keine konkreten Zukunftspläne oder Erwartungshaltungen. Diejenigen, die wie David Bonson schon wissen, wohin der Weg gehen soll, können in den Vorlesungen und Seminaren der Junior-Uni Scheine für ihr späteres, reguläres Studium sammeln. "In NRW werden die Leistungen anerkannt, in anderen Bundesländern ist das nicht sicher. Aber erst kürzlich erzählte mir ein Ehemaliger, dass seine Scheine in München angerechnet wurden", berichtet Ursel Westphal. Bei den meisten Teilnehmern stehen Fächer wie Geschichte, Mathe, Wirtschaftswissenschaften, oder Philologien hoch im Kurs.

Wenn Ranjani Banhatti auf das Junior-Studium und die daraus erwachsene Entscheidung für ein Studium zurückblickt, ist ihr klar, dass ein reines Mathe-Studium nicht das Richtige für sie war. "Aber es hat mich in die glückliche Situation gebracht, nun aus vielen unterschiedlichen Optionen auswählen zu können und eine Richtung einzuschlagen, die mehr meinen Interessen entspricht", resümiert sie. Dass Wissenschaft sie begeistert, habe sie schon früh in der Junior-Uni gemerkt, "nur leider war es nicht das richtige Fach". Heute profitiert sie von ihren mathematischen Erfahrungen, ohne die sie nicht den Masterstudiengang "Wissenschaftliches Rechnen" in Heidelberg machen könnte."

Die Junior-Uni hat mir viele wichtige Erkenntnisse gebracht und mich stark verändert – zum Positiven", betont David Bonson. Und so unterschiedlich die Lebensläufe der beiden 20-Jährigen auch sind und so sehr ihre Meinungen über die Teilnahme an der Junior-Uni auch auseinander liegen mögen, in dieser Aussage sind sie sich einig.   

Hanna Dieckmann