Freiwilliges Engagement hat unter Studierenden der Universität Münster eine lange Tradition, und dennoch unterliegt es einem Strukturwandel. Die 62 an der Hochschule registrierten Studenteninitiativen passen sich immer stärker den neuen Lebensbedingungen der Studierenden an. Die mit Nachwuchssorgen geplagten Initiativen reagieren auf die zeitliche Verdichtung in den neuen Bachelor-Master-Studiengängen mit flexibler Projektbezogenheit. Die Studierenden verbinden das Gute mit dem Nützlichen: den persönlichen Wunsch, zu helfen und den sozialen Eintrag im Lebenslauf. In der Krise steckt das studentische Engagement dennoch nicht, wie der Preis im Ideenwettbewerb der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation für die Initiative weitblick belegt.
Wer sich in Münster neben dem Studium ehrenamtlich engagieren will, dem bietet sich eine Vielzahl an Möglichkeiten. Ob Entwicklungshilfe oder Hochschulpolitik, ob global oder lokal – die Palette der Studenteninitiativen ist breit. Ein Besuch bei zwei Preisträgern des Studierendenpreises für außergewöhnliches Engagement der Universität Münster, dem Zuhör- und Informationstelefon "nightline" und "weitblick", einer Studenteninitiative für weltweit gerechten Bildungszugang, zeigt, welche Chancen sich bieten, aber auch welche Probleme das Engagement in Studenteninitiativen mit sich bringt.
Der mit 3000 Euro dotierte Preis (Foto von der Preisverleihung mit Juliane Wernhard und Niv Nowbakht) im Ideenwettbewerb "Studentische Netzwerke: kreativ – mobil – kooperativ" von der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation ist ein weiteres Kapitel der Erfolgsgeschichte von weitblick. Dass die Studenteninitiative damit einen Preis für ihr Kommunikationsnetzwerk erhielt und nicht, wie schon so oft, für ihre Entwicklungshilfeprojekte, deutet an, dass sich die studentische Nonprofit-Organisation rasant entwickelt hat. Was als Idee im Kopf des Gründers Andreas Pletziger im Jahr 2008 entstand, ist dreieinhalb Jahre später eine gemeinnützige Initiative zur Verbesserung von Bildungschancen geworden, die in mittlerweile 14 Universitätsstädten bundesweit 1450 Mitglieder zählt und im April letzten Jahres ihren Bundesverband gegründet hat.
Unter dem Leitgedanken "Vermitteln – Fördern – Bilden" unterstützen die rund 650 münsterschen "Weitblicker" zum Beispiel Schulbauprojekte in Benin und Kambodscha. Sie vermitteln ihre Mitglieder dorthin, aber auch in Projekte hierzulande, wie derzeit an "weitblicken kinderleicht", einem kulturellen Förderprojekt für Grundschulkinder in Münster. Darüber hinaus bildet weitblick die eigenen Mitglieder durch Podiumsdiskussionen, Bildungsfahrten und Workshops, "um sie für entwicklungspolitische Themen zu sensibilisieren", sagt Andreas Pletziger, dessen Traum der Bau einer Hochschule in Benin ist. Für Projekte dieser Art sammelte die Organisation im letzten Jahr stolze 90.000 Euro. Davon hat die Initiative 30.000 Euro durch originelles Fundraising generiert, wie zum Beispiel durch den mittlerweile traditionellen Spendenlauf um den Aasee. Weitere 30000 Euro stammen aus den Mitgliedsbeiträgen, der Rest aus Spenden.
Das große freiwillige Engagement, auf das sich weitblick stützen kann, ist jedoch nicht jeder Initiative beschieden. Die Straffung der Stundenpläne und die kürzere Aufenthaltsdauer der Studierenden in der Stadt durch die Einführung der Bachelor-Master-Studiengänge führen bei anderen Studenteninitiativen zu Engpässen. Dabei bemüht sich die Universität darum, den Initiativen eine Plattform zu geben. Die 2009 im Schloss veranstaltete Messe "Ehrensache" nutzten damals 15 Initiativen, um sich den Studierenden vorzustellen und neue Freiwillige zu werben. "Derzeit sind auf unserer Internetseite 62 Initiativen aus verschiedenen fachlichen Bereichen gelistet, die durch die offizielle Anmeldung bei der Universität Räume und Schaukästen nutzen können", erklärt die für die Hochschulgruppen zuständige Verwaltungsmitarbeiterin Elisabeth Bernemann.
Das Zuhör- und Informationstelefon nightline hat trotz seiner vielfach prämierten Arbeit, einer eigenen Homepage und Öffentlichkeitsarbeit mit Sorgen zu kämpfen, die den "Weitblickern" fremd sind. "Wir haben derzeit 35 freiwillige Mitarbeiter und sind damit leider etwas geschrumpft. Die zeitintensiveren Studiengänge könnten ein Grund dafür sein", suchen Medizinstudentin Sarah und Psychologiestudentin Sabine nach Erklärungen. Die Vermutungen von Sarah und Sabine, deren Namen hier aufgrund des Anonymitätsprinzips von nightline geändert wurden, werden durch den Nachwuchsmangel in der hochschulpolitischen Freiwilligenarbeit bestätigt. "In großen Fachschaften wie zum Beispiel Jura oder Medizin sind die Mitgliederzahlen immer konstant hoch, aber insgesamt nimmt das Engagement ab. Dem Masterstudiengang Ethnologie droht für das nächste Semester sogar eine Ein-Mann-Fachschaft", sorgt sich Jonas Schmischke vom Fachschaften-Referat des AStA.
Die Universität Münster hat das Problem frühzeitig erkannt. Als erste deutsche Hochschule vergibt sie seit dem Wintersemester 2008 für freiwilliges Engagement Credit Points im Bereich der Allgemeinen Studien. Das hilft einerseits bei der Vereinbarkeit von Studium und Ehrenamt. Andererseits verändert es unter Umständen die Motive der Freiwilligen. "Bei uns ist die Mehrheit gegen die Anrechnung von Credit Points für freiwillige Arbeit. Aber bevor nightline stirbt, müsste man darüber nachdenken", sagt Sabine.
Dass Bachelorstudium und freiwilliges Engagement dennoch vereinbar sind, bestätigen die, die es am besten wissen müssen. "Die Arbeit bei weitblick bringt mich persönlich voran. Ich lerne in meiner Freizeit nette Leute kennen, und mein fachliches Wissen aus dem Studium und die Erfahrungen von weitblick befruchten sich", sieht der 21-jährige BWL-Student René Bloß nur Vorteile am freiwilligen Engagement. Nightlinerin Sarah pflichtet ihm bei: "Auch in den neuen Studiengängen hat man Freizeit, man muss eben Prioritäten setzen. Sich einer höheren Sache zu widmen, macht glücklich", so die 24-Jährige, die seit fast drei Jahren bei nightline Anrufe von Menschen entgegennimmt, die ein offenes Ohr für ihre Sorgen oder einfach einen Tipp zum Studium benötigen.
"Zu wissen, jemandem geholfen zu haben, ist der schönste Teil der Arbeit."
Zwischen 2008 und 2010 haben sich die Anruferzahlen bei nightline mehr als verdoppelt. Im vergangenen Jahr waren es rund 300 Anrufe. Und wenn das nightline-Telefon im Semester zwischen 21 und 1 Uhr klingelt, drehen sich die mit höchster Diskretion geführten Gespräche immer öfter um Prüfungsstress und Uni-Sorgen, aber auch um Themen wie Einsamkeit, Ängste und Beziehungsprobleme. "Die Hemmschwelle, bei uns anzurufen ist für Studierende geringer, als sich der Telefonseelsorge anzuvertrauen, weil wir selber Studenten sind und die Probleme kennen", sagt Sarah. Auf zwei bis drei Stunden pro Woche taxieren die beiden Ehrenamtlichen ihren zeitlichen Aufwand. Doch der lohne sich allemal. "Zu wissen, jemandem geholfen zu haben, ist der schönste Teil der Arbeit", erzählt Sabine und sagt, was alle freiwillig Engagierten antreibt: "Helfen macht Spaß."
Pjer Biederstädt
Alle Hochschulgruppen auf einen Blick:
www.uni-muenster.de/leben/hsgruppen.html
Die Studenteninitiative weitblick veranstaltet am Donnerstag, 20. Oktober, um 20 Uhr in der Aula der Katholischen Studierenden- und Hochschulgemeinde (KSHG), Frauenstraße 3-6, ein Informationstreffen für Erstsemester.
Für andere Interessierte: Das weitblick-Team trifft sich immer donnerstags um 20 Uhr im Raum J490 des Juridicums, Universitätsstraße 14-16.
Wer spenden möchte:
www.weitblicker.org/muenster/spenden-helfen
Wer sich für ein Engagement bei Nightline Münster interessiert, schreibt einfach eine Mail an mitarbeit@nightline-muenster.de
Wer spenden möchte:
www.nightline-muenster.de