Der Wolf im Schafspelz?

Harmlos oder gefährlich? Welche Wirkung Nanopartikel auf Körperzellen haben, wird in der Arbeitsgruppe von Jürgen Schnekenburger unter anderem am Fluoreszenzmikroskop untersucht.
Foto: Peter Grewer
Sie kommen in Ketchup, Hautcremes oder Sportsocken vor: Nanopartikel. Viele der Substanzen sind nicht neu. Beispielsweise werden Titandioxide seit Langem in Sonnencremes eingesetzt, da sie UV-Strahlung reflektieren und so die Haut schützen. In vielen Produkten werden solche Partikel jedoch zunehmend kleiner, bis sie Nano-Dimensionen erreichen und nur noch wenige millionstel Millimeter groß sind – und unter Umständen tief in den Körper eindringen können. Daher wird die Frage nach einer Gesundheitsgefährdung durch Nanopartikel immer dringlicher.
Antworten geben soll das bundesweite Projekt "Nanostrukturierte Materialen – Gesundheit, Exposition und Materialeigenschaften" (NanoGEM). An dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsvorhaben sind zwei Arbeitsgruppen der Universität Münster beteiligt, darunter das Team von Dr. Jürgen Schnekenburger von der Medizinischen Fakultät. Der Wissenschaftler veranschaulicht, wie die in kommerziellen Produkten eingesetzten Nanopartikel aufgebaut sind: "Es ist ähnlich wie bei Florentiner-Keksen: Je mehr Mandelsplitter zusammenkleben, desto größer werden die Kekse. Ähnlich ist es mit Nanopartikeln – die einzelnen Partikel bilden Aggregate unterschiedlicher Größe", erklärt er.
Diese "Klümpchen" erreichen heute durch moderne Produktionsmethoden häufiger Nanogröße. Damit verändern sich ihre Eigenschaften. Ein Beispiel: Eingecremt mit Titandioxid-haltiger Sonnencreme, wirkt die Haut kreideweiß. Dieser Effekt verschwindet, wenn die Titandioxid-Partikel nur wenige Nanometer messen. "Ein und dieselbe Substanz kann unterschiedliche Auswirkungen haben, je nachdem, wie groß die einzelnen Partikel sind", betont Prof. Dr. Hans-Joachim Galla, der mit seiner Arbeitsgruppe am Institut für Biochemie ebenfalls an NanoGEM beteiligt ist.
Wussten Sie schon, dass
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Die Liste der Fragen wird länger, je genauer man hinschaut. "Was passiert, wenn die Teilchen in das Körpergewebe oder in die Blutbahn gelangen?", fragt Chemiker Hans-Joachim Galla. Die Forscher vermuten, dass sich die Partikel mehrfach "umziehen", wenn sie mit neuen Proteinen oder Lipiden in Kontakt kommen. Um das Gefahrenpotenzial von Nanoteilchen zu beurteilen, müssen die Forscher nachvollziehen, welchen Weg die Teilchen durch den Körper nehmen, welche Gewänder sie dort überstreifen und welche Wirkung diese "verkleideten" Partikel haben.
"Wir werden noch etliche Jahre damit beschäftigt sein, das Gefahrenpotenzial von Nanoteilchen auszuloten."
"Der Überzug ist ausschlaggebend für die Interaktion mit den Zellen im Körper", erklärt Biochemiker Jürgen Schnekenburger. Proteine auf der Zelloberfläche haben im Körper häufig Signalwirkungen. Auf diesem Weg unterscheiden Zellen beispielsweise "Freund" von "Feind" – also körpereigene Zellen von krankheitserregenden Bakterienzellen. Das Team von Jürgen Schnekenburger untersucht unter anderem, ob Moleküle auf der Oberfläche von Nanopartikeln eine ähnliche Signalwirkung haben wie auf der Oberfläche von Krankheitserregern – und ob sie eine vergleichbare Reaktion der Zellen auslösen. Das kann eine Entzündung sein, aber auch ein Absterben der Zelle bedeuten. Die Forscher wollen herausfinden, was dabei im Inneren der Zellen geschieht.
"Wir werden noch etliche Jahre beschäftigt sein, um das Gefahrenpotenzial von Nanoteilchen auszuloten und die Partikeleigenschaften zu identifizieren, die unerwünschte Reaktionen im Körper hervorrufen", beschreibt Hans-Joachim Galla die Sisyphusarbeit, die vor den Forschern liegt. Das NanoGEM-Konsortium, an dem Partner aus universitären und privaten Forschungseinrichtungen, Industrie und Behörden beteiligt sind, soll mit vereinten Kräften Antworten liefern. Bis alle Fragen geklärt sind, müssen die Kunden entscheiden, ob sie "Anti-Stink-Socken" mit Nanopartikeln aus Silber tragen oder Ketchup essen wollen, der dank winzigster Siliziumdioxid-Partikel nicht in einem Schwall aus der Flasche kleckert.
Christina Heimken