"Es gibt auch tolle Beispiele"
In den vergangenen Jahren hat sich in Sachen Barrierefreiheit an der Universität Münster einiges getan. Über Verbesserungen für behinderte Studierende und die noch notwendigen weiteren Schritte für mehr Behindertenfreundlichkeit sprach Redaktionsmitglied Juliane Albrecht mit dem Rektoratsbeauftragten für Behindertenfragen, Prof. Udo Schmälzle.

Prof. Schmälzle, wie viele behinderte Studierende gibt es derzeit an der Universität Münster?
Leider tauchen Angaben dazu nicht in den offiziellen Statistiken auf. Viele Behinderte wollen sich mit ihren Beeinträchtigungen nicht outen, um nicht noch mehr im Uni-Alltag benachteiligt zu werden. Auf der Grundlage bundesweiter Schätzungen ist jedoch davon auszugehen, dass an der WWU rund 3000 (etwa 8 Prozent) Studierende mit einer gesundheitlichen Schädigung leben, darunter zirka 600 Studierende mit einer starken Behinderung oder chronischen Erkrankung. Die meisten melden sich erst dann, wenn es um die Gestaltung von Arbeits- und Prüfungsbedingungen, um Unterstützung bei der Wohnungssuche oder um die Verlängerung von Stipendien geht.
Welche Rolle spielen heutzutage chronische Erkrankungen oder psychische Beeinträchtigungen?
Wenn junge Menschen mit chronischen Erkrankungen oder psychischen Leiden ihr Studium beginnen, dann ist es nicht verwunderlich, wenn Leistungsdruck, finanzielle Engpässe und der Verlust bisheriger sozialer Netzwerke die Symptomatik verstärken. Dies kann einen geregelten Studienverlauf gefährden oder unmöglich machen. Stellen Sie sich den Spießrutenlauf eines Studierenden mit der Schlafkrankheit vor, bis seine Umgebung begriffen hat, dass hier jemand nicht simuliert! Leider fehlt beim Lehrpersonal zu oft die notwendige Sensibilität, solche Studierenden wahrzunehmen und ihnen entgegen zu kommen.
Wo ist die Uni gut aufgestellt, und wo hapert es noch?
Als ich 1988 den Job des Rektoratsbeauftragten übernahm, waren die Errichtung des Aufzugturms an der alten Universitätsbibliothek, der Ausbau von behindertengerechten Toiletten und die Verankerung der Rechte von Behinderten in den Prüfungsordnungen meine ersten Aufgaben. Im Mittelpunkt stehen bis heute strukturelle Maßnahmen. Ein Glanzstück stellt sicher der Arbeitsplatz für blinde Studierende in der juristischen Fakultät dar. Neben der Verbesserung der Strukturen sind wir ständig mit der individuellen Beratung und Begleitung von Studierenden in den einzelnen Fachbereichen beschäftigt. Da hapert’s am meisten. Da kann es schon einmal vorkommen, dass ein Prüfungsamt per Dekret durch das Rektorat angesprochen werden muss. In den meisten Fällen finden wir jedoch in der direkten Rücksprache Lösungen.
Was sind die ärgsten Beschwerden von Studierenden? Wo gibt’s das größte Lob?
Die Zulassungskriterien und die behindertengerechte Gestaltung von Prüfungsbedingungen in der Medizinischen Fakultät sind derzeit ein hartes Stück Arbeit: Müssen – wie derzeit gefordert – alle approbierten Ärzte für Einsätze im Notarztwagen geeignet sein, wo doch ein Fünftel der künftigen Mediziner Dienst an den Schreibtischen von Krankenkassen, Versicherungen oder Forschungsinstituten leistet? Die Verhandlungen reichen bis ins Ministerium. Es gibt aber auch tolle Beispiele, wie sich einzelne Lehrkräfte oder auch ganze Fakultäten für die Belange behinderter Studierender einsetzen. In der Mathematischen Fakultät zum Beispiel können wir geradezu von einer behindertenfreundlichen Kultur sprechen.
Welche sind die nächsten größeren Projekte, die umgesetzt werden oder (längst) umgesetzt werden müssten?
Eines habe ich mit der Medizinischen Fakultät schon angesprochen. Ein weiteres Projekt umfasst die digitale Erfassung aller Seminarräume und Hörsäle im Hinblick auf die behindertengerechte Zugänglichkeit. Wir müssen erreichen, dass ein rollstuhlfahrender Abiturient im Internet nachschauen kann, ob er in Münster sein Fach gut studieren kann. Desweiteren steht an, an der WWU die Konsequenzen aus Gleichstellungsgesetz, Hochschulrahmengesetz und den Kriterien des Akkreditierungsrates zu ziehen. Bereits vor einem Jahr haben wir dem Rektorat einen Entwurf für einen „Rahmenförderplan der WWU für behinderte und chronisch kranke Studierende“ vorgelegt. Wir hoffen und setzen auf eine schnelle Unterstützung.
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