"Ich habe zu jedem Bild Erinnerungen"

Sie hatte die Uni fest im Blick: Die Fotografin Julia Holtkötter hat für ihre Ausstellung Tempus Campus alte Szenen aus der WWU neu dargestellt.
Foto: Peter Grewer
Wenn Julia Holtkötter über ihre Erfahrungen als Uni-Fotografin berichtet, erzählt sie nicht nur von der anfänglichen Euphorie, sondern auch von den Zweifeln: Wie soll man eine scheinbar unendliche Vielfalt an Motiven einschränken? „Aus dem Vorstellungsgespräch bin ich mit einem guten Gefühl gekommen. Als sich die Jury für mich entschieden hat, habe ich mich wahnsinnig gefreut! Aber als die Arbeit dann losging, habe ich doch einen Schrecken bekommen: Wie soll man eine Fotoserie über etwas machen, das sich mit mehr als 200 Gebäuden über ganz Münster erstreckt?“
Nachdem sie in ihrer allerersten Zeit als Uni-Fotografin zunächst „"ns Blaue hinein" geknipst hatte, um einen Konzeptansatz zu finden, brachte das Universitätsarchiv die Lösung. Alte Fotos, sorgsam aufbewahrt für zukünftige Generationen. "Ich habe mich dafür entschieden, etwas zu fotografieren, was schon jemand vor mir aufgenommen hat", erinnert sich die 29-Jährige. Ein Bild von damals, ein Bild von heute – das Konzept stand bald fest. Nach einer Woche Recherche im Archiv hatte sie rund 200 Schwarz-Weiß-Fotografien ausgewählt, die Einblicke in den Uni-Alltag von der Vorkriegszeit bis in die 80er Jahre geben.
Die nächste Hürde war die Zuordnung der Motive: ein Studentenzimmer mit Linoleum-Fußboden, cord-bezogenen Kissen auf der Schlafliege und einem Kaktus im Regal. Eine junge blonde Frau mit Telefonhörer am Ohr, vor sich ein Schaltpult und ein Notizbuch. Diese Fotos sind irgendwann an der Universität Münster entstanden – aber wo? Julia Holtkötter begab sich auf Spurensuche. "Mich haben viele Menschen unterstützt – Hausmeister der WWU, Professoren und auch Studierende", sagt die junge Fotografin.
Besonders die Universitätsarchivarin Dr. Sabine Happ gab ihr viele wertvolle Hinweise. Dennoch hat Julia Holtkötter häufig viele Gebäude abklappern müssen, um die richtigen Orte zu finden. Manchmal war ihre Suche vergebens. Die Entstehungszeitpunkte und die Fotografen von einst ließen sich in vielen Fällen nicht rekonstruieren. Rund 5000 Fotos sind im Universitätsarchiv verzeichnet und digitalisiert. Etwa ebenso viele Bilder warten noch auf ihre Erfassung. Sie stammen aus vielen Einrichtungen der Universität – beispielsweise vom AStA oder von der Pressestelle – oder aus privaten Nachlässen. "Gerade bei den Fotos, die Julia Holtkötter für ihr Projekt ausgewählt hat, fehlen uns in vielen Fällen die wichtigsten Angaben wie das Aufnahmedatum", erklärt Sabine Happ. "In solchen Fällen müssen wir anhand von Indizien wie zum Beispiel der Kleidung der abgebildeten Personen versuchen, den Aufnahmezeitraum einzugrenzen."
"Die junge Telefonistin auf einem 30 Jahre alten Foto habe ich wiedergefunden"
Ähnlichkeiten und Unterschiede der alten und neuen Szenen drängen sich dem Betrachter auf, weil die Uni-Fotografin ihre Motive möglichst aus demselben Winkel aufgenommen hat wie die unbekannten Fotografen in der Vergangenheit. Erstaunlich vieles hat sich kaum verändert: Hörsaal, Studentenbude, Gebäudefassade – oft sieht die Kulisse heute noch fast so aus wie vor Jahrzehnten. Bei den Personen fallen Kleidung und Frisuren auf, die heute niemand mehr tragen würde. Aber die abgebildeten Szenen sind vertraut, beispielsweise Studierende beim Basketball, im Hörsaal oder nach der Vorlesung. Manchmal sind sogar die Menschen dieselben geblieben. "Die junge Telefonistin auf einem 30 Jahre alten Foto habe ich wiedergefunden – sie arbeitet noch heute in der Telefonzentrale", berichtet Julia Holtkötter.
Von 200 alten Fotos hat sie am Ende rund 40 Motive nachgestellt. 21 davon haben den Weg in die Ausstellung gefunden. Welche Eindrücke von der WWU nimmt sie mit? "Ich habe nicht die Universität fotografiert, sondern lediglich kleine Schnipsel davon. Ich würde auch nach einem Jahr als Uni-Fotografin nicht sagen, dass ich die gesamte WWU kenne", sagt Julia Holtkötter, die nach einer Ausbildung zur Fotografin zusätzlich Fotodesign studiert hat. "Aber es hat mir großen Spaß gemacht, Einblicke in die Universität zu bekommen. Ich habe zu jedem einzelnen Bild Erinnerungen." Die Fotoaufträge, die sie beruflich annimmt, dienen einem festgelegten Verwendungszweck und ermöglichen daher oft keinen großen Gestaltungsspielraum. Als Uni-Fotografin hatte sie alle künstlerischen Freiheiten: "Das Jahr war eine gute Zeit." Einen Wunsch hat Julia Holtkötter: "Ich fände es cool, wenn jemand in 50 Jahren meine Bilder nachstellt."
Christina Heimken
Bildergalerie
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