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Verrücktes Denken

Patentkultur an der WWU wird ausgebaut
Unter dem Namen CocoHeal soll ein heilsamer Wirkstoff aus dem Kakao vermarktet werden

Eine heilsame Wirkung könnten die Wirkstoffe aus dem Kakao haben, die Prof. Andreas Hensel mit seinen Mitarbeitern entdeckt hat. Unter dem Namen "CocoHeal" sollen sie vermarktet werden. Doch noch fehlt die Marktreife für das Produkt, auf das ein Patent angemeldet ist.

Foto: Angelika Klauser

Patente kosten Geld, machen Arbeit und landen im schlechtesten Fall in der Schublade – nur angekauft, damit die Konkurrenz nicht von den Ideen findiger Wissenschaftler profitieren kann. Patente können aber auch Geld einbringen, eine Erfindungsmeldung kostet höchstens eine Stunde und wenn ein Patent zur Marktreife gebracht werden kann, kann es die Welt revolutionieren – so wie das Schmerzmittel Voltaren Emulgel, dessen Verabreichungsform von dem Pharmazeuten Prof. Theodor Eckert vom Institut für Pharmazeutische Technologie der WWU in den 1960er Jahren zum Patent angemeldet wurde. Seit im Jahr 2002 das Hochschulerfindergesetz erlassen wurde, das die Patentanmeldung an einer Hochschule nicht zur Privatsache des einzelnen Mitarbeiters macht, sondern eine Meldepflicht beim jeweiligen Arbeitgeber vorsieht, steht das Thema auch für die Universität Münster auf der Agenda. Derzeit erarbeitet ein runder Tisch aus Verwaltungsmitarbeitern, erfahrenen Erfindern und Vertretern des Rektorats ein Strategiepapier, um die Patentkultur an der WWU zu fördern. Auch Land und Bund haben Programme ausgelobt, um Patentanmeldungen zu unterstützen.

Nicht jede gute Idee ist eine Erfindung und nicht jede Erfindung ist patentwürdig. Patente werden nur für technische Innovationen erteilt. Das bedeutet, dass technische Hochschulen wie die RWTH Aachen einen deutlichen Vorsprung haben. Doch auch an der WWU werden Erfindungen gemacht, die einen Stellenwert auf dem Markt haben könnten. "CocoHeal" ist eine davon, ein Wirkstoff aus dem Kakao, der von Prof. Thomas Hofmann und Prof. Andreas Hensel und deren Mitarbeitern eher zufällig entdeckt wurde. "Hofmann erzählte mir beim Kaffee, dass er im Kakao Substanzen isoliert habe, die intensiv schmecken würden. Die haben wir einfach mal bei unseren Standardtests mitlaufen lassen", erzählt Hensel. Es zeigte sich schnell, dass "CocoHeal" äußerst wirksam bei der Regeneration von Hautschäden ist. "Geplant war das alles nicht", so Hensel. Inzwischen ist "CocoHeal" in der Warteschleife für die Patenterteilung und Hensel sowie die Patentverwertungsagentur "PROvendis" hoffen auf reges Interesse aus der Industrie.

"Wir werden schließlich vom Steuerzahler bezahlt und müssen auch wieder etwas zurückgeben."

Das ist auch da, doch hapert es an einem: Im Labor ist "CocoHeal" getestet und für gut befunden worden, doch fehlt es an einem marktreifen Produkt. Das ist häufig die Crux bei Erfindungen aus der Universität heraus, weiß Kordula Kruber von "PROvendis". "PROvendis" vermarktet für die Universität die Ideen, die Wissenschaftler bei der WWU anmelden und übernimmt die aufwändige Patentrecherche, um herauszufinden, ob eine Idee tatsächlich neu und erfinderisch ist und übernimmt alle rechtlichen Prozeduren wie die Beratung und Patentanmeldung durch einen Patentanwalt. Dafür erhalten "PROvendis", Arbeitgeber und Erfinder je ein Drittel der möglichen Gewinne. Doch bis die fließen, kann es lange dauern. Denn um zum Beispiel ein Arzneimittel wie "CocoHeal" auf den Markt zu bringen, sind langwierige und kostenintensive Tests und klinische Prüfungen notwendig.

An einer grundlagenorientierten Hochschule wie der WWU wird geforscht und meist nicht entwickelt und selbst ein Wissenschaftler wie Hensel, der früher bei Degussa gearbeitet hat, will sich damit nicht belasten. "Ich erwarte von allen meinen Mitarbeitern, dass sie sich bei allen Forschungsergebnissen fragen, wie man sie am besten vermarkten kann. Wir werden schließlich vom Steuerzahler bezahlt und müssen dem auch wieder etwas zurückgeben. Aber ich bin Professor und will meine Zeit nur in Forschung und Lehre investieren." "CocoHeal" so weiter zu entwickeln, dass die Industrie das Patent aufkauft oder Lizenzgebühren zahlt, dazu fehlt ihm die Zeit.

Hensel setzt bei der Anmeldung von Ideen auch auf seine Partner aus der Industrie. Allein im vergangenen Jahr wurden von seiner Arbeitsgruppe im Institut für Pharmazeutische Biologie und Phytochemie mehrere patentfähige Produkte entwickelt – im Rahmen von Kooperationsverträgen mit der Industrie. „Die Patentierung erfolgt dann über den Industriepartner, wir treten die Rechte ab.“ Wurde bereits die Forschung, die zu einem Patent führt, von Dritten finanziert, ist die Universität als Arbeitgeber außen vor.

"Das härteste Review ist die Patentschrift."

Trotzdem, so Prof. Wilhelm Schmitz, Prorektor für Forschung, Personal und Internationales, setzt die Uni zunehmend auf ideenreiche Erfinder. "Wir wissen, dass Erlöse erst nach vielen Jahren fließen. Aber man darf nicht nur an den kurzfristigen Gewinn denken." Dafür müsse das Bewusstsein geschärft werden. Die Angst, dass eine Patentanmeldung die Publikation verhindere oder verzögere, kann Schmitz ausräumen. Sobald eine Patentanmeldung beim Patentamt eingereicht ist, darf publiziert werden. An einigen Hochschulen, so berichtet Hensel, seien Patentschriften so angesehen, dass sie bei der leistungsbezogenen Mittelverteilung mit dem Faktor fünf gewertet würden. "Das härteste Review ist die Patentschrift", meint auch Dr. Wilhelm Bauhus von der Arbeitsstelle Forschungstransfer (AFO).

Prof. Dieter Frekers vom Institut für Kernphysik hat wie Hensel eigentlich keine Zeit, um die neuartige Mikroskopiermethode "AMBIS" zur Marktreife zu bringen. In einer Auflösung von Submikrometern lassen sich mit ihr innerhalb kürzester Zeit digitalisierte Bilderreihen von großen Flächen erstellen – interessant sowohl für die Pathologie als auch für Qualitätskontrollen in der Industrie. Dennoch hat er jetzt die Firma "MedXP" ausgegründet. "Im Hochtechnologiesektor ist es sehr schwierig, Geld zu verdienen. Man braucht nicht nur ein einzelnes Patent, sondern eine ganze Patentfamilie, welche man um ein Kernpatent ansiedelt. Denn wenn ein alleinstehendes Patent angegriffen wird, können die Kosten für eine Verteidigung schnell jeglichen finanziellen Rahmen sprengen."

Und diese anzumelden sei kostenintensiv. Ein internationales Patent kostet nach seiner Auskunft rund 30.000 Euro, wenn mehrere anfallen, kann das leicht in den sechsstelligen Bereich gehen. Dazu kommen auch immer Entwicklungskosten, die durchaus mehrere Millionen ausmachen können. Geld, das privat investiert werden muss, da die Universität lediglich die deutsche Patentanmeldung zahle. Da fühlt sich Frekers von der Politik allein gelassen, die die Patentierung und die Entwicklung bis zur Marktreife deutlich aggressiver und nachhaltiger fördern müsse. Hier sieht Frekers eine Bringschuld der öffentlichen Hand. Das Land hat zwar das Programm "PreSeed" aufgelegt, mit dem Spin-Offs bis zu zwei Jahre lang mit bis zu 180.000 Euro gefördert werden, allerdings bleiben viele der eigentlichen Kernprobleme und Hürden im Spannungsfeld Forschung und Forschungstransfer ungelöst, so Frekers.

Um die Marktreife nicht nur Partnern aus der Industrie zu überlassen, entwickelt die AFO derzeit eine so genannte "Patentreiferei". Acht westfälische Hochschulen wollen hier ihre Kompetenz einbringen, um einerseits die technische Weiterentwicklung von Ideen gemeinsam voranzutreiben und andererseits Strategien zu entwickeln, um das Produkt auf den Markt zu bringen. Außerdem bietet die AFO in Zusammenarbeit mit "PROvendis" einen internetbasierten "Patentführerschein" sowie eine Patentsprechstunde, bei der vertraulich die Chancen einer Erfindung in einem ersten Gespräch abgeklärt werden. Bereits vor einigen Jahren wurde "POWeR" gegründet, die Patent-Offensive Westfalen/Ruhr, an der sich neben der WWU die Universitäten Bielefeld und Paderborn sowie die Technische Universität Dortmund beteiligen.

"Die Wahrscheinlichkeit, eine Erfindung zu machen, ist recht hoch", sagt Bauhus, Leiter der AFO. "Aber wir müssen schon den Studierenden vermitteln, dass sich Erfindungen auch vermarkten lassen." Mit dem münsterschen "Ideen Mining" soll der Boden für kreative Prozesse bereitet werden, eine Transferschule, die auch Einzelveranstaltungen zum Thema Patente bietet, ist in Vorbereitung.

Die Idee steht am Anfang eines langen Prozesses. Doch wie hat man eine Idee? "Schauen Sie in die Natur. Sie ist voll von Ideen und Komplexitäten und Querverbindungen. Man muss nur spielerisch und verrückt genug denken", meint der Phytochemiker Hensel. "Das kann man üben, das kann jeder Mensch – sonst wären wir evolutionär nicht so weit gekommen."    

bn