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Schmerz und Frust und Faszination

Sportstudierende wandern im Himalaja

Wl801 Everest 1Nur wenige Menschen kommen dem höchsten Berg der Welt so nah: Der Mount Everest fasziniert in seiner majestätischen Pracht.

Fotos (3): Tim Seulen

"Wenn man am Flughafen in Kathmandu ankommt, hat man das Gefühl, auf einem anderen Stern zu landen. Man steht plötzlich hunderten von Menschen gegenüber: Bettelnde Kinder, schreiende Taxifahrer, Leprakranke, Schaulustige." Nepal – für viele Reisende ein unglaublicher Kulturschock. Doch genau diese Andersartigkeit gehört mit zu der Faszination, die Tim Seulen an dem asiatischen Land reizt. Das Nebeneinander von großartiger Natur und größtenteils ärmlichen Lebensbedingungen, von majestätischen Bergen und freundlichen Menschen will er im Februar auch elf Studierenden der Sportwissenschaft vermitteln, mit denen er eine vierwöchige Trekkingtour bis hinauf auf den 5400 Meter hoch gelegenen Gokyo Peak unternimmt. "Von dort hat man einen fantastischen Blick auf vier Achttausender. Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt."

Seulen weiß, wovon er schwärmt, denn bereits dreimal hat er die Tour mitgemacht. In den Jahren 1998 bis 2000 nahm er als Sportstudent selber an den Trekkingtouren der Sportwissenschaft teil. Nun ist er zum ersten Mal als Kopf der Exkursion für alles verantwortlich. Seulen, hauptberuflich Abteilungsleiter beim Hochschulsport, ist dankbar, dass ihm die Sportwissenschaftler die Gelegenheit geben, die Studierenden in eine fremde Welt zu entführen. "Natürlich ist es für künftige Sportlehrer nicht zwingend erforderlich, in den Bergen des Himalaja gewandert zu sein. Für Sportstudierende ist so eine Trekkingtour vorrangig eine sportliche Herausforderung. Die soziale Komponente, mehrere Wochen gut miteinander auskommen zu müssen, ist eine wertvolle Lebenserfahrung."

Klettererfahrung brauchen die Studierenden nicht, allerdings eine gute körperliche Fitness, die sie eigenverantwortlich durch Ausdauertraining stärken müssen. Die Gruppe wird nicht von Trägern begleitet und muss jeden Tag selbst die Rücksäcke, die bei den fünf Frauen um die zehn Kilo, bei den sieben Männern bis zu 15 Kilo wiegen, tragen. Zelte sind nicht dabei, denn die Route ist so angelegt, dass sie jeden Tag in einer Lodge übernachten können. Doch auch so müssen sich die Wanderer auf das Notwendigste beschränken – zwei, maximal drei Paar Socken müssen für die vier Wochen reichen.

Wl801 HimalajaEin einmaliger Anblick: Nuptse (7861 Meter), Mount Everest (8850 Meter), Lhotse (8511 Meter) und Ama Dablam (6856 Meter) (von links nach rechts)

"Ich kann verstehen, dass die Menschen den Mount Everest für den Sitz der Götter halten."

Sieben bis 13 Kilometer pro Tag hat sich Seulen für die Wanderung durch das Sherpa-Land Solu Kumbu vorgenommen, das ist deutlich weniger als kommerzielle Reiseanbieter ihren Teilnehmern zumuten. "Die jagen die Leute so schnell wie möglich auf den Gipfel. Wir nehmen uns mehr Zeit, weil unsere Gesundheit absolute Priorität genießt. Bislang haben immer alle Studierende den Gipfel erreicht. Bei den kommerziellen Anbietern sieht das häufig anders aus." Denn selbst wenn es nicht auf den Mount Everest geht, schon in 5400 Metern Höhe ist 50 Prozent weniger Sauerstoff in der Atemluft als auf Meereshöhe. "Die dünnere Luft spürt man schon ab 3500 Metern. Das Blut verdickt sich und der Körper wird schlechter mit Sauerstoff versorgt. Eine weitere Gefahr: Durch die große körperliche Anstrengung wird dem Körper zusätzlich Wasser entzogen", so Seulen. Einige einfache Vorsichtsmaßnahmen werden die Studierenden vor der Höhenkrankheit schützen: Viel trinken, um den Flüssigkeitshaushalt des Körpers zu stabilisieren und für das Höhersteigen viel Zeit einplanen. Eines steht für Seulen sowieso an oberster Stelle: "Wenn es gefährlich wird, dann drehen wir um. Wir gehen kein Risiko ein."

Wl801 Himalaja KameradenKameradschaft steht an erster Stelle, wenn man vier Wochen durch den Himalaja wandert.

Schmerzen und Frust werden die Teilnehmer trotzdem erleben, sei es nun durch wund gelaufene Füße oder durch die mangelnde Hygiene revoltierende Mägen. "Wir haben uns vorgenommen, während der Wanderung nicht zu duschen, auch wenn die Möglichkeit besteht", so Seulen. Das hat zwei Gründe: Einerseits wird das Duschwasser mit Holz erhitzt und so der Kahlschlag der Bergwälder weiter vorangetrieben, andererseits sind es vor allem Kinder und Frauen, die das Wasser mitunter kilometerweit zu den Rastplätzen der Touristen schleppen müssen.
Wer einmal mitgeht, der kann nicht einfach wieder zurück. Auf Gedeih und Verderb wird die Gruppe aufeinander angewiesen sein, egal, ob man sich riechen kann oder nicht.

"Konfliktpotenzial ist vorhanden – wichtig ist, dass alle ihren Unmut offen ansprechen und so Spannungen erst gar nicht entstehen", weiß der 32-Jährige. "Auf der vierwöchigen Trekkingtour hat jeder mal einen schlechten Tag. Und wenn man dann schnaufend mit 15 Kilo auf dem Buckel über einen 3500 Meter hohen Pass stapft, hinterfragt man seine Entscheidung, unbedingt an dieser Exkursion teilzunehmen", erzählt Seulen. Doch der Ausblick vom Gyoko Peak auf Everest, Lhotse, Makalu und Cho Oyu entschädigt für alle Strapazen: "Wenn ich diese gewaltigen Berge sehe, finde ich es immer noch unglaublich, dass sie von Menschen bezwungen wurden." Seulen selbst zieht es nicht auf die Gipfel: "Ich bin schlicht und einfach nicht gut genug. Ich erfreue mich an ihrem Anblick, das reicht mir."

Die wilde und einmalige Natur ist das eine, was Seulen reizt, die Herzlichkeit und Freundlichkeit der Menschen trotz aller Armut das andere. Sein schönstes Erlebnis in Nepal aber war es nicht, die Achttausender mit eigenen Augen zu sehen: Auf der Trekking-Exkursion 1999 lernte er seine Frau kennen ...

bn