Komplexer als jede Spracherkennung
Sprache ist das wichtigste Kommunikationsmittel. Wie sie produziert wird, versuchen die Psychologen bei einem Kongress zu klären. Foto: Peter Grewer |
"Wir betreiben Grundlagenforschung", betont Bölte. Soll heißen, dass die Wissenschaftler verstehen wollen, wie menschliche Sprache funktioniert. Direkte Anwendungsbezüge fand die Psycholinguistik in der Frühphase der Entwicklung von Spracherkennungsprogrammen. Bei 50.000 bis 70.000 Wörter im aktiven Wortschatz eines Erwachsenen ein aussichtsloses Unterfangen: "Die damaligen Rechner waren nicht leistungsfähig genug", erklärt Bölte. "Das menschliche Gehirn ist einfach zu komplex."
Heute kommen die Erkenntnisse von Psycholinguisten etwa Aphasikern zugute, deren Sprachprozesse durch Schlaganfälle oder Unfälle gestört sind. Dass weibliche Aphasiker ihre Sprache schneller wiederfinden als männliche, haben Untersuchungen gezeigt. Mediziner und Psycholinguisten helfen, den Grund herauszufinden und versuchen effektive Trainingsmethoden zu entwickeln.
Psychologische Sprachforscher arbeiten im Unterschied zu den meisten Sprachwissenschaftlern mit experimentellen Untersuchungen. In Reaktionszeitexperimenten testen die Forscher, wie der Mensch einzelne Wörter produziert. Auf einem Bildschirm zeigen Wissenschaftler ihren Probanden Objekte oder Handlungsszenen, die sie benennen sollen. Dann messen sie etwa die Reaktionszeit. Aus den Reaktionszeiten die in unterschiedlichen Bedingungen gewonnen werden, ziehen sie Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden kognitiven Prozesse. Man geht davon aus, dass, auch wenn letztendlich nur ein Wort produziert wird, viele lexikale Einträge aktiviert werden. "Wie komplexere Gebilde wie Sätze oder Gespräche produziert werden, wissen wir allerdings noch nicht", sagt der Psychologe bedauernd.
Als bekannte Vertreter des Forschungsbereichs sprechen auf der Tagung Judith Kroll und Carlo Semenza. Kroll lehrt an der amerikanischen Penn State University und forscht insbesondere in den Bereichen Sprache und Erinnerung. Sie fragt in ihren Arbeiten nicht nur danach, warum manche Menschen Fremdsprachen leichter erlernen als andere, sondern untersucht auch Wortfindungsprozesse bei bilingualen Sprechern.
Carlo Semenza vom Psychologischen Institut der Universität Triest untersucht in seinen Arbeiten Sprachprozesse bei Aphasikern. In Münster zeigt er, welche Auswirkungen die Sprachbehinderung, die nach einer Hirnschädigung auftreten kann, auf die Verwendung von zusammengesetzten Wörtern hat.
Zur Tagung erwarten die Organisatoren rund 60 bis 70 internationale Nachwuchswissenschaftler aus dem Bereich Psychologie. Interessierte können sich noch bis zum 30. Juni auf der Homepage anmelden.
jri
Weitere Informationen sind unter wwwpsy.uni-muenster.de/Psychologie.inst2/AEZwitserlood/welcome.html zu finden.