Ab in die verkehrte Welt
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Zwei Leidenschaften vereint Nieswandt im Keller des Archäologischen Museums: die Archäologie und das närrische Treiben. Foto: js |
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Helge Nieswandt ist seit 2002 Kustos des Archäologischen Museums. Ein Spezialist auf dem Gebiet der griechischen Antike, der zur Zeit auf Hochtouren eine feierliche Veranstaltung am 8. Februar vorbereitet. Über ein Jahr Umbau hat er mit seinem Team bereits hinter sich und ein Ende der Baustelle ist Anfang Januar nicht in Sicht. "Die Vitrinen sind bestellt, Licht und Heizung werden in den nächsten Wochen installiert," meint der 48-Jährige dennoch optimistisch. Bei der Feier darf nichts schief gehen: Der gesamte Fördererkreis und alle Spender sind eingeladen. Als wäre das allein nicht schon ein organisatorischer Gewaltakt, läuft parallel der zweite Countdown. Am 19. Februar, nur elf Tage später, ist er zum zweiten Mal in Folge der Zugkommandant des Rosenmontagszuges.
Als solcher fährt Nieswandt ganz vorne auf dem Ehrenplatz, dem Zugkommandowagen, mit – und ist für die komplette Organisation des Zuges zuständig. Alle Wagen, Spielmanns- und Musikzüge sowie Fanfarenchöre müssen sich vorab bei ihm anmelden. "Im Jahr 2006 hatten wir 116 Fußgruppen, Musikzüge und Wagen," berichtet er. "Aber wir haben jedes Mal Neubewerbungen. Und die müssen sicherheitstechnisch einiges beachten." In der Praxis heißt das: Nieswandt und sein etwa zehnköpfiges Team händigen den Bewerbern 20 Seiten Kopien mit allen notwendigen Informationen aus. Alle Wagen müssen vorab durch den TÜV; GEMA-Gebühren fallen an. An den Wagen werden Phonmessungen vorgenommen, da sich in den letzten Jahren Beschwerden von Anwohnern gehäuft haben. "In einer engen Gasse sind über 100 Dezibel schlicht nicht auszuhalten," erklärt Nieswandt. Zur weiteren Schalldämmung sind in diesem Jahr die Boxen erstmals nach innen gerichtet.
Der gebürtige Castrop-Rauxeler ist eher zufällig Karnevalist geworden. "Ich bin in Waltrop zur Schule gegangen," erinnert er sich. "Da feierte man zwar ein bisschen, aber mehr auch nicht." Während seiner Studienzeit in Münster entdeckte er Mitte der achtziger Jahre seine Begeisterung für Verkleidungen. Zur Finanzierung seines Studiums kellnerte er in der Jüdefelder Straße. "Für den Kneipenverband habe ich immer den Nikolaus gespielt," schmunzelt er. Anfang der neunziger Jahre suchten Freunde jemanden, der beim Rosenmontagszug mitläuft und Kinder rauszieht. "Ich weiß noch genau, dass an meiner Position vier oder fünf Kinder sonst zwischen Trecker und Wagen geraten wären." Es folgten Einladungen und mehrere Karnevalsfeiern, bis Nieswandt und seine Frau Monika 1995 schließlich Mitglied bei der KG Paohlbürger wurden. Hier war er zunächst Mitglied im Offizierskorps und dann vier Jahre lang Schatzmeister. Ende 2001 wechselte das Ehepaar Nieswandt zwar zur KG Freudenthal, den Paohlbürgern ist er aber immer noch verbunden.
"Es gibt einige Gründe, warum mir Karneval so wichtig ist," gesteht der Archäologe. "Zum einen finde ich spannend, dass die Grundidee des Karnevals, eine verkehrte Welt zu präsentieren, schon in der Antike existierte." Heute schreitet der Offizierskorps mit dem linken statt – wie beim Militär üblich – dem rechten Fuß voran, bei den Griechen und Römern konnte in Festen eingebettet ein Rollentausch zwischen Herren und Sklaven stattfinden. "Auch Mummenschanz hat es damals schon gegeben."
Der zweite Grund ist, dass Nieswandt einen Ausgleich zu seiner universitären Einbindung braucht. "Richtig abschalten kann ich nur, wenn ich den Beruf nicht mit nach Hause nehme und nicht unter Universitätsfreunden bin." Beide Aktivitäten sind zwar mit Stress verbunden, beeinflussen sich aber, so Nieswandt, positiv. Und der dritte Grund? "Wenn der Virus erst einmal drinsteckt, wird man ihn nicht mehr los," meint er lachend. "Sonst würde ich wohl kaum in beiden Bereichen freiwillig so viele Überstunden machen!"
Wenn seine Kollegen in den Semesterferien sind, fährt er nach Köln zum Traditionskorps Nippeser Bürgerwehr, sieht sich den Comedian Bernd Stelter an und singt lauthals den diesjährigen Ohrwurm "Schön ist das Leben". Dass er sich dabei stets in einem neuem Kostüm präsentiert, ist Ehrensache. "Normalerweise nähen meine Frau und ich die Verkleidungen immer selbst," verrät er. In der Verkleidungskiste im Keller hat jeder von ihnen über zehn Kostüme und über 30 Kopfbedeckungen. "Dieses Jahr hatten wir dazu allerdings keine Zeit." Aber auch die Kostüme von der Stange konnten sich sehen lassen. Im Oktober führte er als Gottlieb Wendehals – originalgetreu mit Hahn in der Aktentasche – die Polonaise bei der Elferratsvergatterung an. Für die Fernsehgala "Westfalen haut auf die Pauke" gibt er den Latin Lover.
Sein Kostüm für Rosenmontag bleibt allerdings sein Geheimnis. Nieswandt verrät nur soviel: "Die klassische Galakleidung ist uns zu langweilig."
Julia Schay