Die Ästhetik des Moleküls
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Wie der Stecker in die Steckdose passen die molekularen Hohlräume, die im neuen Graduiertenkolleg erzeugt und untersucht werden sollen. Foto: Peter Grewer |
"Das ist ein kolossaler Erfolg für die Grundlagenforschung an der Uni Münster", freut sich Prof. Werner Uhl vom Institut für Anorganische Chemie, der zusammen mit seinem Institutskollegen Prof. Ekkehardt Hahn die Koordination des Kollegs übernehmen wird. Neu ist dabei die besonders enge Kooperation mit der Holland Research School of Molecular Chemistry (HRSMC), die mit drei Universitäten aus Amsterdam und Leiden an dem Programm teilnimmt.
Mit einem Budget von 1,7 Millionen Euro für die nächsten viereinhalb Jahre versuchen die beteiligten Arbeitsgruppen aus den Instituten der Anorganischen, der Organischen und der Physikalischen Chemie sowie einem Arbeitskreis aus der Physik die besten Nachwuchswissenschaftler mit attraktiven Doktoranden-Stipendien nach Münster zu locken. Auf diejenigen, die das interne Auswahlverfahren bestanden haben, wartet eine straff strukturierte Ausbildung: Neben der regelmäßigen Teilnahme an speziellen Seminaren, Symposien mit internationalen Spezialisten und Sprachkursen, steht auch ein mindestens halbjähriger Auslandsaufenthalt an einer der Partnerhochschulen der HRSMC auf dem Lehrplan. Hervorragende Englischkenntnisse werden selbstverständlich vorausgesetzt.
Die supramolekulare Chemie, die sich im wesentlichen etwas anschaulicher auch als Wirt-Gast-Chemie beschreiben lässt, beschäftigt sich mit so genannten Supermolekülen, die durch den Zusammenschluss mehrerer Einzelmoleküle entstehen. Ein wichtiger Aspekt dieser Chemie liegt im Bereich der Biochemie, deren Alltag von komplexen Supermolekülen wie Proteinen, Enzymen oder dem DNA-Molekül bestimmt wird. Die Bausteine der supramolekularen Chemie – die Moleküle – verfügen über charakteristische Eigenschaften, die unter Variation der chemischen Zusammensetzung systematisch verändert werden und zu spezifischen Wechselwirkungen mit anderen Molekülen beitragen. Resultiert daraus eine anziehende Wechselwirkung zwischen den Molekülen, können sich diese zu einer geordneten und stabilen übergeordneten Struktur zusammenfügen, die weniger starr und dynamischer als ein klassisches Molekül sein kann.
Eine wichtige Rolle im Projekt der internationalen Forschungsgruppe nehmen die Synthese und Charakterisierung von so genannten Makrozyklen ein. Ein Makrozyklus ist ein zwölf- oder mehrgliedriger Ring aus Atomen, der neben Kohlenstoff- auch Heteroatome wie Sauerstoff oder Stickstoff enthalten kann. Letztere sind maßgeblich für die koordinativen Eigenschaften des Makrozyklus verantwortlich und verleihen ihm die Fähigkeit komplexe Strukturen durch Aggregation zu bilden. Derartige Verbindungen finden sich auch in der Natur. So ist der Makrozyklus Porphyrin ein wirksamer Bestandteil des Supermoleküls Hämoglobin, das verantwortlich ist für den Sauerstofftransport im menschlichen Körper.
Mit Hilfe der klassischen Synthesechemie sollen organische und anorganische Containermoleküle synthetisiert werden, die über große Hohlräume verfügen und darüber selektiv mit anderen Materialien in Wechselwirkung treten können. Bildlich kann man sich diese Interaktion, die im Extremfall den Charakter einer regulären chemischen Bindung annehmen kann, wie ein Stecker in der passenden Steckdose oder ein Schlüssel im entsprechenden Schloss vorstellen. Dieses so genannte Schlüssel-Schloss-Prinzip wurde bereits vor mehr als 100 Jahren von dem Chemiker Emil Fischer bei der Reaktion eines Enzyms mit einem Substrat entdeckt und liefert noch heute die Basis für eine Vielzahl von aktuellen Forschungsansätzen.
Sind die Hohlräume der Wirtmoleküle groß genug, könnten sie beispielsweise auch als Mikroreaktoren dienen, in denen chemische Reaktionen durch die Eigenschaften der Höhle selektiv gesteuert werden. Auch die Effektivität und Selektivität von Katalysatoren, die im Allgemeinen Reaktionsgeschwindigkeiten erhöhen und sowohl im Labor als auch in der Industrie von Bedeutung sind, könnten durch eine Einbettung in einen geeigneten Wirt gesteigert werden.
Die Koordinatoren setzen bei ihrem Forschungsvorhaben auf Interdisziplinarität: "Die einzelnen Arbeitsgruppen werden intensiv zusammenarbeiten. So werden beispielsweise Moleküle in der anorganischen oder organischen Chemie hergestellt, die dann im Institut für Physikalische Chemie in ihrer Wechselwirkung mit Oberflächen untersucht werden. Auch quantenmechanische Berechnungen sind ein Teil des Projekts."
Selbst wenn der Terminus "funktional" im Titel der internationalen Forschungsgruppe bereits erahnen lässt, dass es eine Fülle von potenziellen Anwendungen für solche Supermoleküle geben könnte, sieht Uhl die Grundausrichtung der Forschungsarbeit eher in der klassischen Synthese und dem grundlegenden Verständnis solcher Systeme.
"Wir haben uns bei der Bewerbung bewusst von konkreten Anwendungen und Trendbegriffen wie ‚nano’ ferngehalten. Auch den großen Bereich der biochemischen Anwendungsmöglichkeiten haben wir ausgeklammert, da sich mit diesem Aspekt der supramolekularen Chemie schon etliche Forschungsgruppen beschäftigen. Dieses klar erkennbare Profil war unser Vorteil gegenüber anderen Bewerbern", ist sich Uhl sicher.
Für den Forscher, der im vergangenen Jahr den "goldenen Brendel" für die beste Vorlesung des Fachbereichs erhielt, ist aber die reine Ästhetik eines neu erschaffenen, großen Moleküls schon Rechtfertigung genug für den Aufwand seiner Arbeit. "Ich sehe darin kein Verbrechen. Ich befürworte die allgemeine Vielfalt an der Universität und erhoffe mir daraus eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen anwendungs- und rein an den Grundlagen orientierten Forschern."
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