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Mit Schmetterlingen im Bauch leicht wie eine Feder

Vier Studierende der Planetologie erlebten die Schwerelosigkeit

 Lina Schwerelos 

Voller Konzentration versucht Lina Schumacher die kurzen Phasen der Schwerelosigkeit zu nutzen, bevor sie wieder das Doppelte der Erdanziehung aushalten muss.

 
Einmal schwerelos sein! Einmal die Last des eigenen Körpers, von der Schwerkraft niedergebeugt, nicht mehr spüren und sich leicht wie eine Feder in der Luft drehen! Ein Wunsch, der sicherlich schon viele Menschen bewegt hat, den sich aber nur die wenigsten erfüllen können. In Erfüllung ging er für Monika Bauch, Henning Brüske, Sabine Dude und Lina Schumacher. Die Studierenden der Geophysik und der Planetologie hatten das Glück, im September als eines von 30 Teams an der jährlichen Studentenmission der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA) teilnehmen zu dürfen. Auf so genannten Parabelflügen erlebten sie insgesamt rund elf Minuten in Schwerelosigkeit.

Bei Parabelflügen wird bei Höchstgeschwindigkeit zunächst eine steile Aufwärtskurve auf eine Höhe von 7000 bis 8500 Metern mit bis zu 45 Grad Steigung geflogen. In dieser Phase wirken auf den Menschen Kräfte bis zum 1,8-fachen der Erdanziehung (G) ein. Dann werden im Aufwärtsflug die Triebwerke gedrosselt. Die Maschine steigt weiter, fliegt aber nun die Flugbahn eines freien Falls – eine Parabel eben – und in der Maschine herrscht Schwerelosigkeit. Diese Phase dauert rund 22 Sekunden, bis der Pilot das Flugzeug – im Fall der ESA-Flüge ein Airbus A 300 – abfängt und mit einem Winkel von 45 Grad der Erde entgegensteuert. Auch in dieser Phase müssen die Passagiere wieder fast zwei G aushalten.

 Sabine Und Lina Vor Dem Abf 

 Fröhlich vor dem Abflug: Sabine Dude (l.) und Lina Schumacher (r.)

 
Was im Prinzip einfach klingt und selbst von Sportflugzeugen bei einer deutlich kürzeren Zero-G-Phase erreicht werden kann, ermöglicht wissenschaftliche Experimente, die auf dem Erdboden nicht durchzuführen wären. Flammen, Gase, Flüssigkeiten verhalten sich in Schwerelosigkeit anders als unter dem Einfluss der Schwerkraft. Auch das Experiment, mit dem sich die vier münsterschen Studierenden bei der ESA beworben hatten, verlangt nach Schwerelosigkeit. "Wir wollten herausfinden, welchen Einfluss die Photophorese auf die Entstehung der Planeten hatte", erläutert Brüske. Angeregt wurden sie von Dr. Gerhard Wurm und Dr. Oliver Krauß, beide selbst schon bei Parabelflügen dabei, die eben dies in ihrer Nachwuchsgruppe "Protoplanetare Körper" untersuchen.

Die Photophorese ist ein sehr schwacher Effekt, der nur bei Schwerelosigkeit und in fast völligem Vakuum gut zu beobachten ist. Das Prinzip dürften viele schon an einer so genannten Lichtmühle beobachtet haben. Vier Flügelchen, gelagert auf einem fragilen Halter, der die Reibung minimiert, sind auf der einen Seite weiß, auf der anderen schwarz. Stellt man die Mühle ins Licht, drehen sich die Flügel in Richtung der hellen Seite. Der Grund: Winzige Gasmoleküle, die auf die Flügel treffen, werden auf der schwarzen Seite stärker erwärmt, nehmen mehr Energie auf und geben, wenn sie von den Flügeln abprallen, auch mehr Energie ab, sodass sich die Mühle entsprechend von Newtons Satz "actio gleich reactio" in Richtung der hellen Seite bewegt. Diese Photophorese könnte auch eine Rolle gespielt haben, als einige Millionen Jahre nach Entstehung des Sonnensystems der Bereich zwischen Sonne und Asteroidengürtel von Staubteilchen leer gefegt wurde.

 Schwerelosigkeit 

 Rock’n’Roll im All

 
Bislang wurde die Photophorese nur an mikroskopisch kleinen Teilchen unter Schwerelosigkeit untersucht. Die vier münsterschen Studierenden dagegen verwendeten unterschiedlich große Kugeln zwischen vier Millimetern und fünf Zentimetern aus Styropor, Watte und anderen Materialien. Schon allein, um die Kugeln auszutauschen, war die Anwesenheit der Studierenden beim Experiment notwendig. Aber die Notwendigkeit hat auch Spaß gemacht: "Es ist ein unglaublich spannendes Gefühl, man fühlt sich, als habe man Schmetterlinge im Bauch", erzählt Dude.

Doch den schnellen Wechsel zwischen Zero-G-Phase und doppelter Gravitation verträgt nicht jeder. Brüske erwischte die "motion sickness". Nicht ohne Grund werden die Parabelflieger auch "vomit comet" oder "Kotzbomber" genannt. "Dass mir schlecht wurde, lag vielleicht auch daran, dass wir den Empfehlungen, gut zu essen und ausgeschlafen zu sein, nicht nachkommen konnten, weil wir erst am Vortag aus Bordeaux angereist sind. Außerdem habe ich wohl im falschen Moment meinen Kopf bewegt", meint Brüske, der auf jeden Fall wieder bei einem Parabelflug mitmachen würde. "Da man nicht aus dem Fenster schauen kann und gar nicht weiß, wie das Flugzeug in der Luft steht, ist es eigentlich auch nicht so schlimm", ergänzt Schumacher. Viel Zeit, sich zu überlegen, ob man vielleicht doch nicht hätte einsteigen sollen, habe man ohnehin nicht.

Sicherheitsleute und ein Flugarzt sorgen dafür, dass die Neulinge nicht zu Schaden kommen. Überall im Airbus sind Gurte gespannt, an denen sich die Jungforscher festhalten konnten. "Man hat ständig den Drang, Schwimmbewegungen zu machen, aber das funktioniert nicht. Um in der Schwerelosigkeit vorwärts zu kommen, muss man sich immer abstoßen", erzählt Dude. 31 Parabeln wurden über dem Atlantik und dem Mittelmeer geflogen, mit nur einer achtminütigen Pause zur Halbzeit. Auch wenn manch Gekreische im Hintergrund zu hören ist, vor allem sieht man lachende Gesichter auf den Videos, die während der Experimente gedreht wurden. "Das Gefühl der Schwerelosigkeit lässt sich nur schwer in Worte fassen", meint Brüske, "aber so muss es auch sein, wenn man mit der ISS durchs Weltall fliegt.“

Ob das Abenteuer auch einen wissenschaftlichen Gewinn gebracht hat, können die vier noch nicht sagen. Eine Unmenge von Bildern wartet auf die Auswertung durch die Studierenden. Die Bewegung jeder einzelnen Kugel muss von Bild zu Bild gemessen werden. Da die Photophorese anders als die Gravitation abhängig von der Masse ist, ließe sie sich nachweisen, wenn leichtere und schwerere Kugeln in der Schwerelosigkeit unterschiedlich beschleunigt würden. Berücksichtigt werden muss bei der Auswertung auch, dass die Abnahme der Schwerkraft nicht bei allen Parabelflügen gleich verlief. Ende des Jahres sollen erste Ergebnisse vorliegen.

Gelohnt hat sich das ESA-Abenteuer der vier auf jeden Fall: "Es ist toll, auch mal selbst ein Experiment zu leiten und dabei an Erfahrung zu gewinnen," sagt Dude. Und auch wenn sie ein Jahr Zeit investiert haben, auf die Frage, ob sie noch mal mitfliegen würden, lautet die Antwort wie aus einem Mund: "Ja, sofort, auf jeden Fall!"   

bn