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Von Aktienmärkten und epileptischen Anfällen

Zentrum für nichtlineare Wissenschaften gegründet

 Physik Denz 

 Ob optische Effekte oder Tsunamis – nichtlineare Strukturen treten in fast allen Wissenschaftsgebieten auf.  

 Foto: Peter Grewer

 
Wie kommunizieren bei einem epileptischen Anfall die Hirnzellen miteinander? Was passiert, wenn der Aktienmarkt zusammenbricht? Wie reagieren Menschen, wenn in einer Menge Panik ausbricht? Fragen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, doch für die es gemeinsame Antworten gibt. Sie werden von einem jungen interdisziplinären Forschungsgebiet geliefert – "Nonlinear Science". "Wir haben es dabei immer mit offenen Systemen fern vom Gleichgewicht zu tun, die durch einen Fluss von Energie, Materie oder auch Information gekennzeichnet sind. Dies ist Grundvoraussetzung für die spontane Entstehung von räumlichen, zeitlichen und raumzeitlichen Strukturen", erklärt Prof. Cornelia Denz vom Institut für Angewandte Physik. Wettergeschehen, Börsenkurse, Hirnstrommuster – sie alle lassen sich im Forschungsgebiet Nonlinear Science aus einem einheitlichen Blickwinkel beschreiben, da sie alle auf universellen Mechanismen der Selbstorganisation beruhen und daher durch ähnliche, oft dieselben mathematischen Strukturen behandelt werden können.

So können diese Erkenntnisse auch auf anwendungsnahe nichtlineare Systeme wie Laser, Nanostrukturen oder Wirtschaftssysteme übertragen werden und dort zur Optimierung von Anwendungen beitragen. Um die verschiedenen Disziplinen unter einem Dach zusammen zu bringen und Synergieeffekte zu nutzen, wurde kürzlich das "Center für Nonlinear Science" (CeNoS) im Rahmen der Zielvereinbarungen II mit dem Wissenschaftsministerium gegründet. Beteiligt sind 35 Arbeitsgruppen aus sechs Fachbereichen.

"Die Keimzelle des Zentrums liegt zwar in der Physik, wo nichtlineare Strukturen schon seit geraumer Zeit  erforscht werden. Aber wir haben auch Biologen, Chemiker, Mathematiker, Informatiker, Wirtschaftswissenschaftler, Soziologen und Mediziner mit im Boot", so Denz. Das interdisziplinäre Zentrum versteht sich auch als Servicestation für jene Wissenschaftler, die sich bisher noch nicht mit nichtlinearen Strukturen auseinandergesetzt haben, in ihren Forschungsbereichen jedoch immer mehr auf solche Phänomene stoßen. Dabei legt Denz, die mit Prof. Rudolf Friedrich aus der theoretischen Physik, Prof. Nina Gantert aus der mathematischen Statistik und Prof. Andreas Heuer vom Institut für Physikalische Chemie, zum Gründungsvorstand von CeNoS gehört, allergrößten Wert auf die Verbindung zwischen Theorie und Praxis: "Die Verbindung von Experiment und theoretisch-mathematischer Beschreibung macht uns einmalig in Deutschland, da sonst überwiegend die Theorie gepflegt wird."

Ihre eigene Arbeitsgruppe beispielsweise beschäftigt sich mit der Nutzung von optischen nichtlinearen Effekten, um damit neue Funktionen in der optischen Informationsverarbeitung zu realisieren. Wie in diesem Fall tragen in vielen Gebieten grundlegende Effekte der nichtlinearen Systeme zu neuen Anwendungskonzepten bei.

Sechs große Forschungsgebiete werden in den ersten Jahren im Zentrum den Schwerpunkt bilden. Das sind erstens komplexe künstliche und natürliche Netzwerke, zweitens stark nichtlineare Phänomene wie Turbulenzen, die so verschiedene Bereiche wie Wetterphänomene oder Fließprozesse von Medikamenten im Blut beeinflussen und drittens nanoskalige Systeme, mit den beispielsweise die Glätte von Oberflächen optimiert werden kann. Viertens kümmert sich das Zentrum um Solitonenwellen, das heißt um gerichtete Wellen, wie sie durch die dramatische Wirkung von Tsunamis zu trauriger Berühmtheit gekommen sind. Im positiven Sinne sind dies jedoch besondere Wellen, die nicht zerfließen, sondern auf ein bestimmtes Ziel gerichtet sind. Wichtig sein könnten sie insbesondere in der Informationsverarbeitung. Die Analyse der Systeme mit neu entwickelten Methoden aus dem Bereich Nonlinear Science und der Transfer in die Wirtschaft ergänzen das Programm des Zentrums.

Auch in der Lehre will sich das Zentrum verstärkt engagieren. Neben interdisziplinären Doktorarbeiten könnten auch besondere Studiengänge zu nichtlinearen Systemen eingerichtet werden. Doch noch fehlt es an der Finanzierung über 2006 hinaus, da in diesem ersten Zentrum neuer Art, wie sie das Rektorat in Zukunft einrichten möchte, der Modus der Beteiligung durch die Fachbereiche noch unklar ist. "Ich hoffe aber, dass sich das in der nächsten Zeit zur Zufriedenheit aller Beteiligten regeln wird. Es muss jedoch klar sein, dass ein solches Zentrum mit seinem hochgradig interdisziplinären Themengebiet nur als eine zentrale Einrichtung der Universität unabhängig von den Fachbereichen und deren Finanzen erfolgreich arbeiten und dadurch entscheidend zur Profilbildung beitragen kann", so Denz. Und eines Tages, so hofft sie, sollen aus CeNoS heraus auch Sonderforschungsbereiche, Graduiertenkollegs und andere Großprojekte entstehen.   

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