Eine Revolution von oben
Prof. Ursula Nelles vertraut auf höheren Beistand: "Ich kann Sie und mich nur in mein Nachtgebet einschließen." Der Referentenentwurf des "Hochschulfreiheitsgesetzes", das bereits zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten soll, hat nicht nur die designierte Rektorin aufgerüttelt. Zur außerordentlichen Personalversammlung Ende März kamen so viele Beschäftigte wie wohl nur selten zuvor. Denn immerhin bekommen sie einen neuen Arbeitgeber, sie werden nicht mehr Bedienstete des Landes, sondern nur noch der einzelnen Hochschulen sein. Denn die sollen zu öffentlichen Körperschaften umgewandelt werden (siehe muz 1/06). Das bedeutet auf der einen Seite mehr Spielraum, auf der anderen Seite aber auch mehr Unsicherheit.
"Rechtlos – tariflos – arbeitslos?" hatte der Personalrat gefragt und auch gleich selbst eine vorläufige Entwarnung geben können. Denn für all jene, die vor dem 1. Januar 2007 eingestellt worden sind, gelten die alten Bedingungen. Betriebsbedingte Kündigungen sind für sie weitest gehend ausgeschlossen, auch die Zusatzversorgung im Alter soll wie bisher gelten. Anders sieht es aus bei Neueinstellungen: Sie könnten, so befürchtet Hauptpersonalrat Klaus Böhmer, deutlich schlechtere Arbeitsverhältnisse als die Alteingesessenen bekommen. Studentenwerk und Universitätsklinikum, die bereits in Anstalten Öffentlichen Rechts umgewandelt wurden, haben es vorgemacht: Neu eingestellte Beschäftigte müssen beispielsweise länger arbeiten.
Bisher galt als abgemacht, dass Bildung ein öffentliches Gut ist und bei aller gebotenen Sorgsamkeit im Umgang mit den anvertrauten Mitteln vom Staat eine Garantie der Sicherheit erhält. Der Referentenentwurf schließt Insolvenzen allerdings nicht mehr aus. "Dann müssten wir auch wieder in Sachentscheidungen eingreifen und eben das wollen wir nicht", so Ministerialdirigent Heiner Kleffner vom Wissenschaftsministerium. Künftig will sich das Innovationsministerium rein auf die Rechtsaufsicht beschränken – und eben die Verantwortung für die Detailsteuerung aufgeben. Theroretisch möglich ist es also nun, dass eine Hochschule Insolvenz anmeldet – sei es nun wegen Illiquidität oder Überschuldung.
Letzteres, so gab Rektor Prof. Jürgen Schmidt zu bedenken, sei noch nicht einmal abwegig. Schließlich sieht der Gesetzentwurf vor, dass die Immobilien auch weiter im Besitz des Landes bleiben. Ein Vermögen ist auf diese Weise nicht zu bilden. "Es gibt wenig Gründe für die Uni, sich nach der derzeitigen Fassung des Hochschulfreiheitsgesetzes über die neue Freiheit zu freuen." Auch Nelles pflichtete ihm bei: "Wir bekommen keine Vermögenswerte, aber dafür alle Verpflichtungen."
Und die könnten noch zunehmen. Ist die Universität keine Einrichtung des Landes mehr, kommen viele kleine Verpflichtungen zusätzlich auf sie zu, die bisher vom Land getragen wurden, seien es beispielsweise Zahlungen an die Landesunfallkasse, die Übernahme eines Teils der Tarifanpassungen oder die eigenständige Versicherung der Gebäude durch die Universität.
Kanzlerin Dr. Bettina Böhm sieht ebenfalls besorgt in die Zukunft. "Allerdings haben wir in den vergangenen Monaten eine Menge an
Veränderungen aus eigener Kraft hinbekommen und dabei davon profitiert,
dass wir selbst entscheiden konnten und nicht mehr auf das Ministerium
angewiesen waren." Man könne abwarten und hoffen, dass auf irgendeine
Weise die unangenehmen Folgen an einem selbst vorübergingen oder sich
nicht überrollen lassen, sondern aktiv an der mitgestalten. "Wir müssen
schließlich keine Angst vor Autonomie haben, aber die Rahmenbedingungen
müssen stimmen."
bn