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Ein großes Stück Bildungs- und Lebensqualität

Erste Zertifikate zu "Schriftlichkeit" und "Mündlichkeit" wurden verliehen
Eifrig studierte Benjamin H., um Lehrer für Deutsch und Geschichte zu werden. Doch trotz aller Klausuren und Scheine, irgendwie fehlte ihm etwas. Kein Dozent vermittelte ihm, wie er später vor der Schulklasse zum Beispiel jenen brennenden und juckenden Kloß im Hals los wird, wenn er im Unterricht frei sprechen muss. Kommunikationswissenschafts-Studentin Julia Fauth hatte ein ähnlich gelagertes Problem. Bei ihr ging es um die Schriftlichkeit. So fehlten ihr im Studium einfach Schulungen, um wissenschaftliche Hausarbeiten stilsicher und kreativ formulieren zu können. Beide fanden die Lösung ihrer Probleme im Fachbereich Philologie. Dieser bietet seit dem Wintersemester 2002/03 die landesweit einmaligen Zertifikate „Mündlichkeit“ und „Schriftlichkeit“ an, mit denen Studierende wichtige Schlüsselqualifikationen für ihre persönliche Entwicklung und vor allem für ihre berufliche Zukunft erlangen können.

Die Übungen und Seminare zur „Mündlichkeit“ und zur „Schriftlichkeit“ eröffnen den Studierenden – je nach individueller Schwerpunktsetzung – die Möglichkeit, sich bereits im Rahmen ihres Fachstudiums am Arbeitsmarkt zu orientieren. Das Angebot umfasst jeweils 16 Semesterwochenstunden, gefordert werden vier Leistungsnachweise aus Pro- und Hauptseminaren und vier Übungsscheine zur Sprech- beziehungsweise Schreibpraxis. Leistungsnachweise aus dem Bereich „Theorie“ können in allen Fächern des Fachbereichs Philologie erworben werden. Übungsscheine aus dem Bereich „Praxis“ dagegen nur in speziellen Seminaren, wie in der Schreibwerkstatt oder im Institut für Sprecherziehung. Dort geht es vor allem um die emotionale Mitwirkung beim Lesen und Schreiben, die intensiv geschult wird, etwa durch Hörbildung, Körperausdruck und Blickkontakt. Auf dem Programm stehen aber auch Übungen, die sich mit der Persönlichkeit des Studierenden beschäftigen und Defizite ausgleichen sollen.

„Dabei wird aber keiner umgepolt. Wir machen also aus einem eher stillen Studierenden keinen Showstar“, erklärte Dr. Ortwin Lämke, Leiter des Lektorats für Sprecherziehung und einer der Kursleiter. Wohl aber müsse beispielsweise ein scheuer Lehramts-kandidat schon selbstkritisch an seinem Auftreten arbeiten – natürlich mit fachkundiger Unterstützung. Hinzu kommen Übungen zum theoretischen Wissen über das Schreiben und Sprechen und ein mindestens dreiwöchiges Praktikum. Das Praktikum wird im angestrebten oder verwandten Berufsfeldern absolviert. Während Julia bei den Vereinten Nationen in Genf wichtige Erfahrungen beim Verfassen einer Research-Dokumentation über den Umgang mit Aids sammelte, lernte Benjamin beim Privatsender „FFH“ in Frankfurt zum Beispiel durch Atemtraining seine Stimme richtig einzusetzen und so zu dosieren, dass sie auch unter Belastung vor der Klasse nicht einbricht.

Auch wenn sie in den vergangenen zwei Jahren so einige Freizeit für die Extraschulungen zur Erlangung der Zertifikate opfern mussten, bereuen Julia und Benjamin rückblickend doch keine Minute. Das Zertifikat „Mündlichkeit“ hat Benjamin die Arbeit als Referendar am St. Antonius-Gymnasium in Lüdinghausen schon sehr erleichtert, da er im Vergleich zu anderen Kollegen weitaus artikulierter und relaxter mit seiner Stimme umgehen konnte. Beherzt gab er sein Spezialwissen sogar in einer Sprechwerkstatt an die Schüler weiter. Für Julia Fauth bedeutet das Zertifikat „Schriftlichkeit“ eine immense Schubkraft für das Studium: Neben Stilsicherheit und kreativer Schreibe hat sie auch gelernt, sich besser zu organisieren, etwa beim Zeit-Management. Beide sind jetzt nach rund zwei Jahren die ersten Studierenden der Uni Münster, die diese wichtigen Schlüsselqualifikationen erworben haben. Stolz halten sie ihre Urkunden in die Kamera, die auch künftigen Arbeitgebern dezidiert belegen sollen, welche Stärken sie mitbringen. Und gerade das entscheidet auf dem härter gewordenen Arbeitsmarkt immer mehr über Top oder Flop bei der Jobsuche. Sprachvermögen und Schreibsicherheit gelten als wichtige Türöffner. Julia und Benjamin können deshalb anderen Studierenden die Zertifikate nur wärmstens weiterempfehlen – als ein Stück „Bildungs- und Lebensqualität“. Insgesamt belegen derzeit 128 Studierende die verschiedenen Kurse. Wer Interesse hat, kann jederzeit dazustoßen.
Peter Sauer