Starb Varus doch nicht in Kalkriese?
Archäologe hat Zweifel an genauer Lokalisierung
![]() Nicht nur die Römer sollte das Hermanns-Denkmal beeindrucken - gemeint war im Jahr der Errichtung auch der französische Erbfeind Foto: ullstein bild |
"Lassen Sie mich eines vorwegschicken", sagt der Experte für Provinzialrömische Archäologie: "Es ist für die Wissenschaft von eher untergeordnetem Interesse, wo neun nach Christus die Varusschlacht stattgefunden hat. Wichtig ist nur, dass es sie gegeben hat." Die römischen Lager und einheimischen Siedlungen aus jener Zeit, die in Westfalen und Niedersachsen gefunden wurden, könnten wesentlich mehr über die Kulturgeschichte des Landes erzählen.

Noch ein weiterer Umstand lässt Berke stutzig werden. Der römische Historiker Cassius Dio hat beschrieben, dass Varus im Spätsommer des Jahres neun nach Christus irgendwo an der Weser zwischen Höxter und Minden sein Sommerlager aufschlug. Der genaue Standort wurde nie gefunden. Von dort aus marschierte er los in die entscheidende Schlacht mit den Cheruskern. Tacitus, die zweite zeitgenössische Quelle, wiederum beschreibt den Weg des Germanicus, der sechs Jahre nach der verheerenden Schlacht mit Überlebenden das Schlachtfeld aufsuchte. Der designierte römische Kaiser landete an der Emsmündung, marschierte mit seinen Truppen südlich bis zu den äußersten Grenzen der Brukterer, "dort wo Ems und Lippe parallel laufen" – ein Gebiet, ungefähr zwischen Münster, Detmold und Paderborn gelegen. Von dort aus sei es bis zum Schlachtfeld nicht weit gewesen. Warum, so fragt sich Berke, habe Germanicus einen Umweg so weit nach Süden machen sollen, wenn er doch genau wusste, wo das Schlachtfeld zu finden sei?
Und noch ein Punkt lässt zumindest Zweifel an Kalkriese aufkommen: Das Gebiet, in dem die Schlacht stattgefunden hat, wird von Cassius Dio und Tacitus als öde und leer beschrieben. In Kalkriese aber wurden Reste einer germanischen Besiedlung gefunden. "Diese Funde können wir noch weniger zeitlich einordnen als die römischen. Stammt die Siedlung aus dem Jahr 50 vor Christus und wurde dann aufgegeben, könnte Kalkriese weiter als Ort der Varusschlacht gelten. Stammt sie aus der Zeitenwende, wäre Kalkriese damit aus dem Rennen", erläutert Berke.
Jene, die an Hermann den Cherusker als Befreier des germanischen Volkes glauben wollen, werden sich den Mythos nicht von der geschichtlichen Realität ausreden lassen. Unstrittig ist allerdings unter Wissenschaftlern, dass bei der Varusschlacht zwar ein wichtiger, aber nicht der entscheidende Sieg errungen wurde. Insgesamt dauerte der Kampf zwischen Römern und Germanen fast 30 Jahre, erst gegen Ende des Jahres 16 nach Christus gab Kaiser Tiberius das Gebiet östlich des Rheines auf. Die Varusschlacht war eine Schlacht unter vielen, doch die Faszination bleibt. Berke zitiert dazu den münsterschen Althistoriker Archäologen Prof. Friedrich Koepp, der in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts scherzhaft bemerkte: "Noch immer geht der Schatten des Varus umher und nimmt fürchterliche Rache an den Enkeln des Arminius."
bn