Entschlüsselung der molekularen Grundlagen
![]() Fachübergreifend versuchen die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe Klämbt und im Sonderforschungsbereich, Bewegungen in der Zelle zu entschlüsseln. |
Wenn man sich auf das Wesentliche konzentriert, sind die Unterschiede minimal." Für Prof. Christian Klämbt, Leiter der Abteilung Neurobiologie im Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie, ähneln sich selbst zwei so scheinbar unterschiedliche Organismen wie der Mensch und die Taufliege, lateinisch Drosophila melanogaster, in ihren grundlegenden Funktionen. "Beispielsweise wird die Entwicklung des menschlichen Auges durch die gleichen Schaltergene gesteuert wie die Augenentwicklung eines Insekts", erläutert Klämbt. Im Mittelpunkt des Interesses der Arbeitsgruppe Klämbt steht die Entwicklung des Nervensystems der Fliege. An diesem Problem arbeitet Klämbt nicht nur in seinem Institut, sondern auch im Sonderforschungsbereich 629 "Molekulare Zelldynamik: Intrazelluläre und zelluläre Bewegungen".
Seit über 100 Jahren dient Drosophila als Modellsystem. Inzwischen ist die genetische Information entschlüsselt und die Sequenz der Gene frei verfügbar. Zahlreiche Methoden, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden, machen es möglich, effizient die genetischen und molekularen Grundlagen komplexer Vorgänge zu entschlüsseln. In der Arbeitsgruppe von Klämbt liegt der Fokus des Interesses auf der Analyse der Funktion glialer Zellen im Nervensystem. Die 1850 erstmalig beschriebenen Gliazellen sind zunächst als der Kitt des Gehirns bezeichnet worden und erst in den letzten 20 Jahren ist deutlich geworden, dass diesen Zellen viele weitere wichtige Funktionen zukommen. Zum einen werden Neurone von so genannten Gliazellen umhüllt und erlauben so eine effiziente elektrische Leitfähigkeit; zum anderen senden Gliazellen eine Reihe von Signalen aus, die die korrekte neuronale Verschaltung erst erlauben "Es überrascht daher nicht, dass mit der Höherentwicklung der Lebewesen im Gehirn mehr und mehr Gliazellen zu finden sind", so Klämbt.
![]() Moderne Bildgebung ermöglicht den Blick auf die Axone (grün) eines Drosophila-Embryos. Die Axone werden von Gliazellen (rot) umschlossen, ihre Zellkerne sind in blau markiert. |
Um besser verstehen zu können, wie Neurone und Gliazellen miteinander kommunizieren, haben sich die Wissenschaftler das Strickleiternervensystem, das Zentrale Nervensystem der Insekten, vorgenommen. Zunächst werden Mutanten erzeugt, bei denen einzelne Gene ausgeschaltet sind. "Aus den hieraus resultierenden Fehlentwicklungen können wir ablesen, welche Funktion das Gen hat", erklärt Klämbt. Normalerweise umwickeln die Gliazellen die lang gezogenen Fortsätze der Nervenzellen, die Axone, und gewährleisten so eine effiziente und schnelle neuronale Erregungsleitung. In verschiedenen Mutanten kann zum Beispiel die komplette Umhüllung der Nervenbahnen gestört sein. Um diese zellulären Defekte zu dokumentieren, werden in der Arbeitsgruppe von Klämbt die modernsten Techniken eingesetzt. So erlaubt beispielsweise die Verwendung eines grün fluoreszierenden Proteins die Entwicklung einzelner Zellen in lebenden Drosophila-Embryonen zu untersuchen. Nach der Beschreibung der durch die Mutationen ausgelösten Fehlentwicklungen werden die mutierten Gene molekular analysiert und in ihren biochemischen Funktionen charakterisiert.
Auf Grund der Gemeinsamkeiten glialer Zellen aus Fliege und Mensch können die Ergebnisse der Arbeitsgruppe von Klämbt auch in eine medizinische Anwendung führen. "Aber das ist nicht unser Hauptanliegen. Natürlich ist es fantastisch, wenn jemand aus unseren Erkenntnissen Ansätze entwickeln kann, die gegebenenfalls in Therapien münden. Allerdings interessiert uns die Entwicklung und Funktion der Drosophila-Glia einfach nur deshalb, weil wir die Entstehung des Nervensystems von Drosophila verstehen wollen, und nicht, weil unsere Erkenntnisse eventuell auf den Menschen übertragen werden könnten", stellt Klämbt kategorisch fest.
Die Wanderung glialer Zellen ist jedoch nur ein Beispiel für ein dynamisches Zellverhalten. Das gemeinsame Interesse an der Analyse dynamischer zellulärer Prozesse bildet die Grundlage der Arbeit des SFB 629, an dem neben dem Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie das Institut für allgemeine Zoologie und Genetik, das Institut für Botanik, das Zentrum für Molekularbiologie der Entzündung, die Hautklinik, die Institute für Neuropathologie, für Anatomie und für Physiologie sowie zwei Arbeitsgruppen des Max-Planck-Institutes für Molekulare Biomedizin beteiligt sind.
Die in dem SFB vertretenen Gruppen aus der Medizin und der Biologie bringen verschiedene methodische Ansätze und Fragestellungen in den SFB ein. Die Kombination biophysikalischer, biochemischer, zellbiologischer und entwicklungsgenetischer Ansätze zur Untersuchung der molekularen Grundlagen der Zelldynamik hat auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft überzeugt. Sie unterstützt den vor einem Jahr eingerichteten SFB, dessen Sprecher Klämbt ist, mit rund 5,2 Millionen Euro, verteilt über insgesamt vier Jahre. Angeschlossen an das Institut ist eine Nachwuchsforschergruppe, die je zur Hälfte vom Land und von der Universität finanziert wird. Deren Leiter, Dr. Thomas Hummel, hat gerade erst einen mit 10000 Euro dotierten Nachwuchspreis des Landes für seine Arbeit an den molekularen Grundlagen der Verschaltung von Nervenzellen bei Drosophila erhalten und damit die Bedeutung dieses Forschungszweiges bestätigt.