© Uni MS | Pressestelle
  • Anmerkungen zur Namensdiskussion in Senat und Rektorat der WWU 1996/97

    Diskussion über den Namensgeber der WWU in Senat und Rektorat der Universität 1996/97

    Zuletzt wurde 1996/97 in den Leitungsgremien der Universität über den Namen der Westfälischen Wilhelms-Universität beraten. Neben öffentlich zugänglichen Zeitungsartikeln und Zeitzeugenberichten gibt es auch hierzu Archivalien, die allerdings noch der gesetzlichen Schutzfrist unterliegen. Im Archivgesetz des Landes NRW ist diese Schutzfrist auf 30 Jahre festgelegt, weitere Einzelheiten regeln die Benutzerordnungen der einzelnen Archive.

    Eine breite Archivrecherche ist also erst nach 2027 möglich. Für dieses Projekt wurde die Einsichtnahme in die Protokolle der Senats- und Rektoratssitzungen dieser Zeit, die im Universitätsarchiv Münster aufbewahrt werden, durch den Rektor genehmigt (vgl. Benutzerordnung des Archivs [de]).

    Die Akten enthalten neben Sitzungseinladungen und -protokollen auch weitere Unterlagen, die den Sitzungsteilnehmer:innen jeweils vorlagen, geben also einen ersten Eindruck davon, auf welcher Basis beraten und entschieden wurde. Soweit nicht anders vermerkt geben die folgenden Ausführungen die Inhalte dieser Akten wieder. Personennamen werden nur dann genannt, wenn sie bereits aus anderen öffentlich zugänglichen Quellen in diesem Zusammenhang bekannt sind. Wörtliche Zitate aus den Archivakten stehen in Anführungszeichen und sind kursiv gesetzt.

    Zum Verständnis der Vorgänge 1996/97 ist der Hinweis auf eine andere Rechtslage als heute wichtig. Damals galt die Universitätsverfassung vom 31.12.1984 in der Fassung vom 20.03.1990. Zwar wäre auch damals für eine Namensänderung eine Änderung der Universitätsverfassung notwendig gewesen, laut Artikel 38, Absatz 1, Punkt 1 waren „Beschlußfassung über den Erlaß und die Änderung der Verfassung auf Vorschlag des Senats“ aber dem Konvent vorbehalten. Der Konvent war ein 85-köpfiges Wahlgremium, in dem alle Statusgruppen der Universität vertreten waren, das Rektorat jedoch kein Stimmrecht hatte. Der Senat wurde dagegen, anders als heute, vom Rektor als Vorsitzendem mit Stimmrecht geleitet.

    [gesamter Eintrag aktualisiert 29.04.2021]

     

  • Oktober 1996: Die Studierenden im Senat der WWU beantragen eine Umbenennung der Universität.

    Senatssitzung am 30.10.1996

    (Universitätsarchiv Münster, Bestand 334, Nr. 116)

    Als Tagesordnungspunkt 19 wird in der Sitzung über einen Antrag der Uni-GAL (Grüne-Alternative-Liste) auf Umbenennung der Universität in „Henriette-Hertz-Universität“ beraten. Ein der Sitzungseinladung beiliegender Fachaufsatz zur Biografie von Henriette Hertz informiert darüber, dass sie 1913 in Münster geboren wurde. Wegen ihrer jüdischen Herkunft wurde sie von den Nationalsozialisten verfolgt, konnte aber durch Freunde versteckt den Holocaust im Untergrund überleben.

    In der eigentlichen Sitzung beschließt der Senat, eine Kommission zur Beschäftigung mit der Namensfrage einzusetzen.

  • Dezember 1996: Im Senat wird eine Kommission gebildet, um sich mit einer Namensänderung zu befassen.

    Senatssitzung am 18.12.1996

    (Universitätsarchiv Münster, Bestand 334, Nr. 116)

    In TOP 5 berät der Senat unter der Überschrift „Namensänderung der Westfälischen Wilhelms-Universität“ über die Einsetzung der geplanten Kommission. Sie setzt sich auf Vertreter:innen aller Statusgruppen des Senats zusammen. Als Vorsitzender der Kommission wird der WWU-Historiker Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer benannt.

  • Mai 1997: Die Senatskommission stellt ihre Arbeitsergebnisse vor und empfiehlt eine Umbenennung.

    Senatssitzung am 14.05.1997

    (Universitätsarchiv Münster, Bestand 334, Nr. 118):

    Unter TOP 6 berichtet der Vorsitzende der am 18.12.1996 eingesetzten Kommission über das Ergebnis der Beratungen. Neben dem schriftlichen Kommissionsbericht liegt den Senatsmitgliedern eine Kopie des Kapitels „Kaiser Wilhelm II. und der deutsche Antisemitismus“ aus John Röhls 1995 erschienenen Buch „Kaiser, Hof und Staat. Wilhelm II. und die deutsche Politik“ vor.

    Die anschließende Diskussion verläuft – so berichtet das Protokoll – durchaus kontrovers. Als Fazit des Rektors wird festgehalten, „daß noch eine ausführliche Auseinandersetzung auf allen Ebenen der Universität notwendig sei. Das Thema sei zu sensibel, um eine schnelle Entscheidung zu treffen.“ Die Universität könne aber eine Namensänderung nur beantragen, die Entscheidung liege beim Ministerium in Düsseldorf.

    Zusammenfassung des Berichts der Kommission „Namensänderung der Westfälischen Wilhelms-Universität“ zur Vorlage beim Senat der Westfälischen Wilhelms-Universität

    Der Bericht der Kommission stellt zunächst fest, die Namensgebung beziehe sich auf Wilhelm II. als Landesherrn, stehe also in der Tradition deutscher Universitäten, sich nach ihrem Landesvater zu benennen. Außerdem sei eine Motivation zu erkennen, im katholischen Münster „die Gräben des Kulturkampfes symbolisch zu überwinden“. Bei der Darstellung der historischen Rolle Wilhelms II. folgt der Bericht weitgehend den Ausführungen Röhls, war sich aber bezüglich der zu ziehenden Konsequenzen uneins:

    Während in der Kommission über den historischen Befund und seine Bewertung weitgehend Einigkeit bestand, wurde die Bedeutung dieses historischen Bildes von Wilhelm II. für die Identitäts- und Traditionsbildung einer Institution, die bei ihrer Gründung den Namen des Kaisers verliehen bekam, kontrovers diskutiert.

    Die eine Position geht davon aus, daß eine wissenschaftliche Institution wie die Universität Münster ihr Selbstverständnis und ihre Rolle in der Gesellschaft immer wieder kritisch neu bestimmen muß. Daher steht es ihr im konkreten Fall wohl an, aus der Kenntnis über die hochproblematische Person ihres Namenspatrons und insbesondere der fatalen Rolle des von ihm begünstigten Antisemitismus in Deutschland die Konsequenz zu ziehen, sich in einem Akt bewußter Distanzierung von ihrem Namensgeber zu trennen.

    Die Gegenposition verweist darauf, daß die Namengebung der Universität auf die Gründungsepoche verweist und das personale Moment der Namengebung heute verblaßt ist, weil die Universität im Laufe ihrer Geschichte eine vielschichtige Identität ausgebildet hat. Dies schließt eine kritische Auseinandersetzung mit ihrem Namen nicht aus.

    Der Bericht schließt mit der Bemerkung, dass die Kommission sich in einer Abstimmung im Verhältnis 6:4 für eine Namensänderung ausgesprochen habe.

  • Juni 1997: Der Senat stellt fest, die Entscheidung über den Antrag auf Namensänderung liege beim Rektorat und empfielt, ein breiteres Meinungsbild einzuholen.

    Senatssitzung am 11.06.1997

    (Universitätsarchiv Münster, Bestand 334, Nr. 119)

    Laut Protokoll berichtet der Rektor unter Top 3, dass nach aktueller Rechtslage die Entscheidung über den Antrag auf Namensänderung beim Rektorat liege. Der Senat könne aber – so der Rektor laut Protokoll weiter – ein Meinungsbild erstellen, ähnlich wie die MUZ (Münsters Universitäts-Zeitung), deren Umfrageergebnisse aber noch nicht publiziert seien. Als mögliches weiteres Entscheidungsgremium bringt der Rektor außerdem den Konvent [siehe oben] ins Spiel, der ebenfalls über den Antrag abstimmen könne.

  • Juli 1997: Der Senat entscheidet, nicht über eine Namensänderung abzustimmen.

    Senatssitzung am 02.07.1997

    (Universitätsarchiv Münster, Bestand 334, Nr. 119 & Nr. 120)

    Unter TOP 4 stellt die Gruppe der studentischen Senatsmitglieder den Antrag, der Senat solle, wie von der Senatskommission empfohlen, die Änderung des Namens beschließen und das Rektorat dazu auffordern, dies beim Ministerium zu beantragen.

    Damit folgen die studentischen Senatsmitglieder einer im Studierendenparlament am 23.06.1997 verabschiedeten Resolution, die den Senatsmitgliedern durch den AStA zu diesem Tagesordnungspunkt als Anlage vorgelegt wird. In dieser Resolution spricht sich das Studierendenparlament für eine Namensänderung aus. Über eine Neubenennung solle in einer breiten öffentlichen Diskussion aller Gruppen der Universität beraten werden. Die begründenden Ausführungen nennen 4 Punkte als Gründe für eine Umbenennung: 1) die Außenpolitik Wilhelms II. (Kolonialismus, Imperialismus, 1. Weltkrieg), 2) das autoritäre Staatswesen, das jede Benennung dieser Zeit fragwürdig mache, 3) die „rassistischen und antisemitischen Ausfälle, die nach dem jetzt vorliegenden Forschungsstand umfassend belegt sind“, die im Widerspruch zum Selbstverständnis einer Institution stehen müssen, „die durch Beförderung von Wissenschaft dem Abbau von Vorurteilen und Unkenntnis verpflichtet ist“ und 4) das Erscheinungsbild der Universität, zu dem auch der Name gehöre.

    Im Senatsprotokoll wird festgehalten, dass Gruppe der Professor:innen eine Abstimmung des Senats über den Namen der Universität für überflüssig halte, mit der Begründung, dem Rektorat sei die Meinung des Senats bekannt. Vertreter der Studierenden und Wiss. Mitarbeiter:innen sprechen sich hingegen für eine Abstimmung aus, da sie diese als Basis für eine Entscheidungsfindung des Rektorats für unumgänglich halten. Der Rektor lässt darüber abstimmen, ob eine Abstimmung befürwortet wird: Mit 8:11:3 stimmt der Senat gegen eine Abstimmung.

    Das Protokoll hält auch den empörten Einwurf eines Studierendenvertreters fest, die Professor:innen im Senat würden durch diese Abstimmung das Votum des Studierendenparlaments und der Wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen übergehen.

    [Kommentar: Der Senat hat somit keine Entscheidung bzgl. einer Änderung des Universitätsnamens getroffen. Die Entscheidung obliegt nun dem Rektorat.]

  • August 1997: Das Rektorat thematisiert verschiedene Gutachten und lehnt eine Namensänderung ab.

    Rektoratssitzung am 21.08.1997

    (Universitätsarchiv Münster, Bestand 334, Nr. 286)

    Ursprünglich sollte bereits in der Sitzung am 14.08.1997, zu der auch der Vorsitzende der Senatskommission eingeladen war, über die Namensfrage beraten werden, die Entscheidung wurde aber auf die Folgesitzung vertagt. Befremden – so hält Protokoll der Sitzung vom 14.08. fest – löste aber die Aufforderung des Ministeriums um Berichterstattung in dieser Sache aus, was das Rektorat ablehnt.

    [Kommentar: Soweit erkennbar wurde das Ministerium anonym über die Namensdiskussion informiert und insbesondere auf ein kritisches Memorandum, das der WWU-Soziologe Prof. Dr. Christian Sigrist für die Senatskommission verfasst hatte, hingewiesen.]

    Den zahlreichen Anlagen ist ein Vermerk vorangestellt, der die rechtliche Situation zusammenfasst und das Stimmungsbild an der Universität wie folgt skizziert: Die Senatskommission habe sich 6:4 für eine Namensänderung ausgesprochen. Der Senat selbst habe auf eine Abstimmung verzichtet, die Stimmen pro und contra seien aber gleichmäßig verteilt gewesen. Die Umfrage der MUZ habe ergeben, das 60% von 536 Befragten eine Namensänderung ablehnen, 24,5% eine Änderung befürworten und 15,5% keine Meinung hätten. Der Personalrat spreche sich ebenso wie das Studierendenparlament für eine Namensänderung aus.

    Die Anlagen selbst reichern dieses Stimmungsbild inhaltlich an: In Kopie liegt der Artikel „Identifikation mit der Uni nicht über Wilhelm“ vor, der am 01.07.1997 in der MUZ (Seite 2) [de] erschien. Der mit „MAI“ gezeichnete Text stellt unter anderem fest, dass 83% der Befragten die Namensdiskussion für weniger wichtig bzw. überflüssig hielten. Von den befragten Wissenschaftler:innen lehnten 45% den Namen besonders stark ab, während von den befragten Studierenden, deren Vertreter:innen den Antrag in den Senat eingebracht hatten, nur 20% das Anliegen unterstützten.

    Der Personalrat brachte sein Votum am 16.06.1996 in einem Schreiben an das Rektorat zum Ausdruck. Seine Befürwortung einer Namensänderung begründet er vor allem mit dem Antisemitismus Wilhelms II. Eine Änderung des Namens könne als Zeichen gesehen werden gegen „rechtsradikale, ausländerfeindliche, antisemitische Strömungen – für Weltoffenheit, für kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und für zukunftsgewandte Ausrichtung. Letztere sollte gerade an einer Bildungsstätte für die Jugend größeres Gewicht haben als Traditionalismus und Verpflichtung gegenüber unseren Vorvätern (-mütter waren ja wohl weniger an der Entscheidung beteiligt?!).

    Professor Sigrist hatte das Memorandum, das er als Mitglied der Senatskommission für die Kommission verfasst hatte, ebenfalls dem Rektor zugeschickt, sodass auch dieses dem Rektorat in der Sitzung vorlag. Grundlage für seine Ausführungen war ein von John Röhl unter dem Titel „Wilhelm II: Das Beste waere Gas!“ am 25.11.1994 in der ZEIT veröffentlichtes Dossier, das inhaltlich dem oben erwähnten Fachaufsatz in Röhls Buch „Kaiser, Hof und Staat“ entspricht. Auf der Argumentation Röhls aufbauend stellt Sigrist eine Verbindung zu dem aus dem Kolonialismus hervorgegangenen Rassismus her, um abschließend die Verbrechen der deutschen Kolonialmacht, vor allem im „deutschen Schutzgebiet Südwestafrika“, zu thematisieren. Er kommt zu dem Schluss, „Daß diese Phantasien zur vernichtenden Gewalt wurden in einer den Kaiser mit Schuld beladenden Weise[,] schließt aus, daß die Universität Münster im Bewußtsein dieser Zusammenhänge weiterhin seinen Namen trägt.

    Zusätzlich zu diesen Materialien lag dem Rektorat der Entwurf für eine „Stellungnahme zum Antrag auf Namensänderung der Westfälischen Wilhelms-Universität“ bei.

    Dieser Entwurf beginnt mit dem Satz: „Die Westfälische Wilhelms-Universität ist sich bewußt, daß sie einen problematischen Namenspatron besitzt.“ Weiter wird dort ausgeführt: Auch wenn das Rektorat die Motive derjenigen anerkenne, die sich von Wilhelm II. aufgrund dessen Antisemitismus als Namenspatron der Universität Münster trennen möchten, werde der Name aus „geschichts- und kulturpolitischen wie aus pragmatischen Gründen“ beibehalten. Dazu zähle, dass es historisch üblich gewesen sei, Universitäten nach den jeweiligen Landesherren zu benennen. Auch sei die Benennung der Universität nach Wilhelm II. nach dem Kulturkampf unter anderem deshalb geschehen, um „durch einen symbolischen Akt dem Integrationsbedürfnis der katholischen Regionen und Bevölkerungsgruppen Ausdruck zu verleihen“. Man könne sich außerdem durch eine Namensgebung nicht von historischer Kontinuität befreien oder sich bei der Identitätsstiftung nur auf die positiven Momente der Geschichte konzentrieren, zumal die Kriterien für eine Namensgebung wandelbar seien und die resultierenden „[…] häufigen Änderung eine weitere Identitätsfindung ganz erheblich erschweren.“

    Die am 14.08.1997 vertagte Entscheidung stand am 21.08.1997 als Punkt 11 wieder auf der Tagesordnung. Das entsprechende Protokoll berichtet knapp, dass das Rektorat mehrheitlich beschließt, den Antrag auf Namensänderung mit der Begründung gemäß dem vom Rektor verteilten Vorschlag unter Berücksichtigung der besprochenen Änderung abzulehnen.

    [Kommentar: An dem Entwurf der Stellungnahme, mit dem das Rektorat 1997 seine Ablehnung einer Namensänderung begründete, wurden also noch Änderungen vorgenommen. Die geänderte Fassung der Rektorats-Stellungnahme liegt bisher nicht vor. Auch ist bisher nicht bekannt, an welchen Adressatenkreis diese Stellungnahme gerichtet war.]