Pangermanismus in den Niederlanden. Eine Langzeitbetrachtung des pangermanischen Denkens und der germanischen Identitätsbildung in den Niederlanden zwischen 1890 und 1945
Bis heute gilt die pangermanische Bewegung als ein deutsches Phänomen. Doch auch außerhalb Deutschlands wurde diese völkische, imperialistische und hypernationalistische Ideologie von unterschiedlichen Gruppen mit Bewunderung betrachtet und unterstützt. So entwickelte sich zwischen 1890 und 1945 in den Niederlanden abseits des politischen Mainstreams eine germanische Identität, die im Widerspruch zur vorherrschenden niederländischen Identität stand. Es formten sich pangermanische Gruppierungen, die mit politischen, kulturellen und (pseudo-)wissenschaftlichen Argumenten für einen Zusammenschluss mit den Deutschen plädierten. Die politische Konsequenz, die viele dieser niederländischen Pangermanisten aus der germanischen Identität und Stammverwandtschaft zogen, war die Schicksalsbindung an Deutschland. Ein solches Bündnis sei eine Garantie gegen die aggressiven französischen, slawischen und später auch jüdischen Einflüsse, die die „Reinheit“ des germanischen Staats, seine Kultur und „Rasse“ bedrohten.
Der niederländische Pangermanismus war der Ideologie der deutschen Pangermanisten teilweise ähnlich, er hatte aber auch seine spezifischen Merkmale. Einerseits gab es einen Transfer von deutschen Ideen und verknüpfte sich das pangermanische Denken oft mit den völkischen und später nationalsozialistischen Bewegungen – so, wie es auch in Deutschland der Fall war. Andererseits entwickelten sich in den Niederlanden auch Varianten des Pangermanismus, die zu Konflikten mit den deutschen Pangermanisten führen mussten. Daraus ergab sich eine paradoxe und ambivalente Politik, die darauf abzielte, mit deutscher Unterstützung gegensätzliche niederländische und pangermanische Interessen in Einklang zu bringen. Die bereits stark ausgeprägte niederländische Identität veranlasste die Suche nach Formen einer germanischen Bruderschaft, die nicht mit einer völligen Dominanz des „Herrenvolks“ einhergehen würden.
Demzufolge lautet die zentrale Forschungsfrage des Promotionsprojekts: Aus welchen Gründen und auf welche Art und Weise formte und entwickelte sich ein pangermanisches Denken in den Niederlanden zwischen den Jahren 1890 und 1945? Wesentlich ist dabei auch die Frage nach den Ursprüngen des Denkens. Wo liegen die historischen Wurzeln und auf welche Weise wurden sie sowohl autonom als auch von außen durch deutschen Einfluss geprägt? Und wie wurde dieses pangermanische Denken von den verschiedenen Unterströmungen und Organisationen in der Praxis umgesetzt?
Bislang hat die Geschichtswissenschaft dem niederländischen Beitrag innerhalb der pangermanischen Bewegung wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Der niederländische Pangermanismus wurde bis vor kurzem hauptsächlich aus deutscher Sicht betrachtet. Die pangermanische Idee sei „unniederländisch“ und nur ein deutsches Exportprodukt, so die gängige Meinung. Diese orthodoxen historiographischen Traditionen ignorieren, dass es ursprüngliche niederländische Vorstellungen von einer germanischen Bruderschaft mit dem deutschen Volk gab. Durch die Relativierung der Größe der Gruppierungen und die ständige Betonung des deutschen „Exportcharakters“ des pangermanischen Denkens wird der Austausch zwischen niederländischen und deutschen pangermanischen Ideen, der bereits in den 1890er Jahren in Erscheinung trat, unzureichend berücksichtigt.
In Belgien und seit einiger Zeit auch in den Niederlanden gibt es jedoch einen neuen Forschungstrend, demzufolge der Pangermanismus nicht nur eine Bewegung war, die von Deutschen getragen wurde. Das Projekt schließt sich dieser Perspektive an und wird sie mit seinen Ergebnissen erweitern. Es gibt bislang keine Studien, die den gesamten Zeitraum zwischen den Jahren 1890 und 1945 untersuchen. Infolgedessen bleibt die Kontinuität des pangermanischen Denkens in den Niederlanden unscharf. Langfristige Entwicklungen auf der rechten Seite der niederländischen Politik, die schlussendlich in den 1930er Jahren in einer niederländischen nationalsozialistischen Bewegung mündeten, werden bislang nicht ausreichend berücksichtigt. Darüber hinaus soll das Vorhaben die These widerlegen, dass die pangermanische Idee nur ein deutsches Exportprodukt sei. Vielmehr handelte es sich um einen Gedankenaustausch zwischen Niederländern und Deutschen über die Position der Niederlande innerhalb der Bruderschaft, wobei auch autonome niederländische Ideen, die teils auch mit der Kolonialpolitik zusammenhingen, eine wichtige Rolle spielten.
Über mich
Nach meinem Bachelor-Abschluss im Fach Geschichte an der Universität Leiden absolvierte ich 2019 den Master Deutschlandstudien an der Universität von Amsterdam. Seit September 2023 arbeite ich an meiner Dissertation am Zentrum für Niederlande-Studien in Münster. Mein Forschungsschwerpunkt liegt auf kulturellen Identitäten und politischen Ideologien rechtskonservativer und rechtsextremer Bewegungen in den Niederlanden und Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert.