Phänomene territorialer Expansion und eines dauerhaften Herrschaftsanspruchs über fremde, nicht selten auch ferne Gebiete waren von der Antike bis in die Frühe Neuzeit allgegenwärtig. Allerdings waren die Chancen auf eine umfassende Durchsetzung zentraler Herrschaft in den hinzugewonnenen Gebieten angesichts der noch beschränkten administrativen, militärischen und ökonomischen Möglichkeiten vormoderner Staatlichkeit begrenzt. Wenngleich etwa die frühneuzeitlichen Kolonialreiche deutlich machen, dass dies eine massive Unterdrückung der Kolonisierten keineswegs ausschloss.
Den begrenzteren Chancen auf Herrschaftsdurchsetzung entspricht, dass fremde Herrschaft oder Xenokratie in der Vormoderne keineswegs immer durch universale Ansprüche, eine sendungsideologische Rechtfertigungsdoktrin und die Vorstellung der eigenen kulturellen Höherwertigkeit der neuen Herrschaft verbunden war. Vielmehr ist es in vielen Fällen fremder Herrschaft eine offene Frage der Forschung, welche Rolle Fremdheitsvorstellungen sowohl im Kontext zeitgenössischer Wahrnehmungen als auch für das Konzept fremder Herrschaft spielten.
Hier setzt die Forschungsgruppe an und fragt mit einem weiten Zugriff auf vormoderne Konstellationen, in welcher Weise Fremdheitsvorstellungen und -zuschreibungen für die Konstituierung von fremder Herrschaft sowie für die Wahrnehmung und Legitimierung bzw. Delegitimierung von Herrschaftsverhältnissen relevant waren. Uns interessiert dabei insbesondere, in welchen Situationen administratives Handeln in Xenokratien Fremdheit als Kategorie in die sozialen Differenzierungen einbezog und so (neue) Unterscheidungen schuf oder dies gerade nicht tat und welche Folgen dies jeweils für das Phänomen der Xenokratie hatte.
Hierfür wollen wir in einem ersten Schritt für unterschiedliche Konstellationen zunächst klären, inwieweit xenokratische Herrschaft in der Provinz überhaupt greifbar wird, wer vor Ort xenokratische Herrschaft vermittelte und ausübte und Fremdheitskategorien in Anschlag brachte.
Darauf aufbauend wird in einem zweiten Schritt untersucht, welche Bedeutung Fremdheitsvorstellungen und -zuschreibungen für die Konstituierung von Herrschaft sowie für ihre Wahrnehmung und De/Legitimierung vor Ort hatten. Dies soll mit einem Fokus auf administrative Prozesse und dem Einschreiben von Administration in den Raum geschehen, da auf diese Weise nicht nur die Perspektive der Herrschenden bzw. ihres administrativen Personals sondern auch der Beherrschten in den Blick kommt.
Ziel der Forschungsgruppe ist es, ausgehend von den Befunden der Teilprojekte in der ersten Projektphase gemeinsam ein Konzept von Xenokratie als spezifische Form vormoderner Herrschaft zu entwickeln und gegenüber dem Konzept der Fremdherrschaft abzusetzen, dass durch die phänomenologisch enge Verknüpfung mit dem Nationalstaat auf die (europäische) Moderne zugeschnitten ist.