Das Entscheiden der Inquisition
Historiker Steckel und Drews über eine neue Kultur des rechtlichen Entscheidens
Über das Entscheiden der mittelalterlichen Inquisition haben die Historikerin Prof. Dr. Sita Steckel und der Historiker Prof. Dr. Wolfram Drews in der Ringvorlesung des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ und des Sonderforschungsbereichs (SFB) 1150 „Kulturen des Entscheidens“ der WWU gesprochen. Sita Steckel diskutierte im ersten Teil einen aufsehenerregenden Häresieprozess in Bologna 1299, der zu öffentlichen Protesten und „Gerede“ der Stadtbürger gegen die Inquisition führte. „Die päpstliche Inquisition führte also eine neue Kultur des rechtlichen Entscheidens über religiöse Haltungen ein, gegen die es viele Widerstände gab“, so die Wissenschaftlerin. Wolfram Drews untersuchte im zweiten Teil eine existenzbedrohende Krise der spanischen Inquisition und ihre Bewältigung. Am Beispiel des Widerstands gegen Inquisitor Lucero aus Córdoba legte er die Konstituierung, Modi, Ressourcen und Darstellung des religiösen Entscheidens dar.
Zum Häresieprozess in Bologna führte Historikerin Steckel aus: „Die rechtliche Untersuchung religiöser Haltungen sollte Laien dazu bringen, religiöse Gruppen wie die Katharer nicht länger als möglicherweise legitime Optionen für ihre eigene religiöse Praxis anzusehen.“ Neue rechtliche Zuspitzungen, die die Inquisition einführte, hätten Katharismus und Katholizismus als unvereinbare Alternativen dargestellt, während sich Laien in der Praxis oft mit beiden Seiten eingelassen hätten. „Diese Ambivalenz wurde auch dem Angeklagten Bompietro di Giovanni aus katharischer Familie zum Verhängnis, weil er sich nur halbherzig von den Katharern ab- und der römischen Kirche zuwandte. Seine späte und etwas halbherzige Bekehrung genügte den neuen Rechtsansprüchen der Inquisitoren nicht.“ Teile der Bevölkerung dagegen gaben dem Verurteilten Recht und fanden seine Bestrafung und Verbrennung illegitim.
„Wie der Konfliktverlauf zeigt, erklärten Teile der Bevölkerung die Entscheidung der Inquisitoren im Umfeld der Verurteilung neu“, so die Historikerin. Während einige das Urteil für willkürlich oder schlicht für ungerecht hielten, nahmen andere Zuflucht zu Verschwörungstheorien, um dem Entscheiden des Inquisitors die religiöse Rechtfertigung abzusprechen. Er wurde als wirtschaftlich oder moralisch korrupt dargestellt, wie Prof. Steckel ausführte. Sein Handeln zog man durch Erzählungen über finanzielle oder gar sexuelle Erpressungen in Zweifel. „Rechtliche Entscheidungen über Religion erweisen sich damit insgesamt als Kristallisationspunkte für die öffentliche Meinung, in denen über den Einfluss von Recht, Wirtschaft oder Politik auf religiöse Entscheidungen gestritten wurde.“
Eine Krise der spanischen Inquisition
Historiker Wolfram Drews widmete sich in seinem Teil des Vortrags der Etablierung einer besonderen, spanischen Inquisition. „Ursache waren die sich verschiebenden Kräfteverhältnisse in der multireligiösen Gesellschaft im 14. und 15. Jahrhundert“, so der Historiker. Religiöses Entscheiden sei der Inquisition durch ihren Auftrag vorgegeben gewesen. „Um die Reinheit des katholischen Glaubens zu bewahren, sollten ‚judaisierende‘ Neuchristen ausfindig gemacht und verurteilt werden.“ So habe im Inquisitionsbezirk von Córdoba Anfang des 16. Jahrhunderts der Inquisitor Lucero „sein Unwesen getrieben“. Der Widerstand gegen ihn sei so stark geworden, dass der König zur Eindämmung des Konflikts den Großinquisitor absetzte und Kardinal Cisneros zum Nachfolger bestimmte. Cisneros wiederum habe 1508 eine „congregación general“ einberufen, die unter seinem Vorsitz die Vorfälle von Córdoba untersuchte.
„Die diesbezüglichen Akten erlauben einen differenzierten Blick auf das Entscheidungshandeln der Inquisition, nämlich auf Konstituierung, Modi, Ressourcen und Darstellung des Entscheidens“, erläuterte Prof. Drews. Während das Handeln von Inquisitoren oft zu Widerspruch, Konflikten und Protesten führte, bestand die Besonderheit der „congregación general“ darin, dass die Gewalten, die die Behörde eingesetzt hatten, aufgrund des öffentlichen Protests Entscheidungsbedarf identifizierten. „In einem lokal begrenzten Umfeld überprüften sie nachträglich das Vorgehen der Behörde und machten es damit zum Gegenstand des Entscheidens.“
„Mit Blick auf den Arbeitsaufwand der Kommission fällt auf, dass die eigentliche Entscheidung am Schluss nur wenig Raum einnimmt – die meiste Zeit wurde auf die Lektüre von Akten verwandt“, erläuterte Prof. Drews. Als wesentliche Ressource des Entscheidens könne man daher aus Akten gewonnene Information bezeichnen. Dazu gehörten Protokolle der Befragungen von Beschuldigten und Zeugen, Visitationsprotokolle sowie Protokolle des Königlichen Rates. „Eine weitere Entscheidungsressource war eine Art normativer Konsens, der darin bestand, den Fortbestand der dem König unterstehenden Inquisition zu gewährleisten. Daher war man darauf bedacht, einen Gesichtsverlust der beteiligten Akteure soweit als möglich zu vermeiden.“
Weitere Vorträge der Ringvorlesung
Auch die Autorität von Kardinal Cisneros muss nach den Worten des Wissenschaftlers als wichtige Ressource des Entscheidens bezeichnet werden: „Indem König Fernando ihn zunächst zum Großinquisitor und dann zum Vorsitzenden der congregación machte, war von vornherein gewährleistet, dass der Institution Inquisition kein nachhaltiger Schaden zugefügt wurde.“ Das Wirken des Kardinals als Großinquisitor sei aber insgesamt wenig profiliert gewesen. „Er ist in dieser Funktion viel weniger prominent als sein berühmt-berüchtigter Vorgänger Torquemada. Nichtsdestotrotz ist gerade Cisneros als eigentlicher Begründer der Inquisition bezeichnet worden. Das hebt darauf ab, dass ihm die Sicherung der Existenz der Behörde in der Zeit ihrer größten Krise gelang, indem er den Widerstand kanalisierte und letztlich erstickte“, so Prof. Drews. „Als der städtische Widerstand unter König Karl in Gestalt des Aufstands der comuneros und hermandades erneut ausbrach, richtete sich die Kritik nicht mehr primär auf das Wirken der Inquisition, die spätestens unter der Herrschaft Karls endgültig etabliert war.“
Der Vortrag trug den Titel „Perspektiven auf das Entscheiden der mittelalterlichen Inquisition“. Die öffentliche Ringvorlesung „Religion und Entscheiden“ befasst sich im Wintersemester mit der Frage, wie von der Antike bis heute in Judentum, Christentum und Islam über Religiöses entschieden wird und wer dies in welcher Weise tun darf. Am Dienstag, 13. Dezember, spricht Judaistin Prof. Dr. Regina Grundmann über die Antworten jüdischer Gelehrter auf Glaubensfragen, „Responsa“ genannt. Der Vortrag trägt den Titel „Responsa als Praxis des religiösen Entscheidens im Judentum“. Er ist um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 des Fürstenberghauses am Domplatz 20-22 zu hören. (maz/vvm)