„Es soll nichts geantwortet werden“
Historiker Windler über Entscheidungen zu Normkonflikten frühneuzeitlicher Missionare
Über den Umgang der römischen Kurie mit Normkonflikten in der Frühen Neuzeit hat der Historiker Prof. Dr. Christian Windler von der Universität Bern in der Ringvorlesung „Religion und Entscheiden“ des Exzellenzclusters und des Sonderforschungsbereichs 1150 „Kulturen des Entscheidens“ der WWU gesprochen. Wenn solche Konflikte aus den Missionsgebieten in Form von Zweifelsfällen zur kirchlichen Lehrmeinung, so genannten „dubia“, vor das Heilige Offizium gelangten, entschied dieses nicht selten, auf eine Beantwortung zu verzichten, wie der Wissenschaftler darlegte. Unter dem Titel „Praktiken des Nichtentscheids. Wahrheitsanspruch und Grenzen der Normdurchsetzung“ beleuchtete der Historiker in seinem Vortrag, weshalb die Kurienkongregation zu einem solchen Umgang mit der „Unvermeidlichkeit des Normkonflikts“ gelangte.
„Die Missionare – eingebunden in translokale und lokale Beziehungsnetze – verliehen ihrem Handeln in Abhängigkeit von der jeweiligen Interaktionssituation Sinn und bemühten sich, Gegensätze zwischen konkurrierenden Sinngebungen auszutarieren,“ erläuterte der Historiker. „Widersprüche nicht nur zu den Observanzgeboten der Orden, sondern auch zu Positionen der nachtridentinischen Kirche in zentralen Fragen der Sakramentsverwaltung waren dabei unvermeidlich.“
Im Mittelpunkt des Vortrages stand der Umgang mit Mischehen und mit Praktiken der Sakramentsgemeinschaft zwischen katholischen und „schismatischen“ Christen. Hier stellte sich nach den Worten des Historikers dem Heiligen Offizium die Frage, welche Maßnahmen gegen Priester und Laien wegen des Verstoßes gegen die kirchliche Lehrmeinung ergriffen werden sollten. „Um das Verhältnis zu den Missionaren und Laien keiner schweren Belastung auszusetzen, verzichtete es oft darauf, Verstöße gegen im Grundsatz unbestrittene Normen zu verfolgen.“ Der Nichtentscheid wurde damit zu einem festen Bestandteil der Entscheidungspraxis der Kurienkongregation. „Er wurde in die etablierte lateinische Formel ‚nihil esse repondendum‘ gefasst, ‚Es soll nichts geantwortet werden‘.“
Pionier einer Sozial- und Kulturgeschichte frühneuzeitlicher Außenbeziehungen
Der Historiker gilt als Pionier einer Sozial- und Kulturgeschichte frühneuzeitlicher diplomatischer Praxis. Im November forscht er als Gastwissenschaftler am Exzellenzcluster in Münster, auf Einladung der Historikerin Prof. Dr. Barbara Stollberg-Rilinger und der Historiker Prof. Dr. André Krischer und Prof. Dr. Ulrich Pfister. Er steht mit ihnen seit mehreren Jahren im wissenschaftlichen Austausch. Während seines Aufenthaltes in Münster setzt er die Arbeit am Buchprojekt „Katholische Missionare als lokale Akteure im Iran der Safavidenzeit“ fort, das Ausgangspunkt seines Vortragsthemas ist.
Prof. Windler leitet am Historischen Institut der Universität Bern die Abteilung für Neuere Geschichte. Seit seiner Berufung im Jahre 2004 hat er mehrere Drittmittelprojekte betreut, deren Ergebnisse zur Erneuerung von Fragestellungen und Methoden der Geschichte von Außenbeziehungen und Diplomatie in der Frühen Neuzeit beigetragen haben. (maz/vvm)
In der nächsten Woche spricht der Islamwissenschaftler Prof. Dr. Norbert Oberauer in der Ringvorlesung. Sein Vortrag mit dem Titel „Wahrheitssuche und der ‚Mut zur Hölle‘. Zum Problem juristischen Entscheidens im klassischen Islam“ beginnt am Dienstag, dem 22. November, um 18.15 Uhr im Hörsaal F2 im Fürstenberghaus am Domplatz 20-22.