(D2-8) Das Buch als Waffe in religiös-politischen Konflikten: Gewaltdiskurse und ihre Vermittlung in England im 15. und 16. Jahrhundert
Das Projekt untersucht Gewaltdiskurse sowie ihre Vermittlung im Medium Buch in der religiös-politischen Kommunikation des 15. und 16. Jahrhunderts in England. Vor dem Hintergrund der Untersuchung der epochenspezifischen Vorstellungen zum Verhältnis von physischer und nicht-physischer Gewalt steht die Frage nach der Rolle der Sprache, insbesondere nach der schriftlich vermittelten Sprache im Manuskript und im gedruckten Buch, im Mittelpunkt des Interesses. Sie richtet sich sowohl auf die Thematisierung von Gewalt auf der Ebene des Dargestellten als auch auf die Formen der textlichen Vermittlung selbst, auf die Ebene der Darstellung, in der die Sprache selbst als Handeln und als möglicherweise gewaltträchtig in den Blick gerät.
Für die Untersuchung der Gewaltdiskurse sind die beiden folgenden Bereiche zentral:
1. Die Bibelrezeption
Auf textlicher Ebene ist insbesondere der biblische Rückbezug im Spannungsfeld von Altem und Neuem Testament als Grundlage der verschiedenen Legitimationsstrategien für Gewalt im Sinne der potestas zu untersuchen, die im spätmittelalterlichen England von Seiten der Kirche zur Abwehr der Ketzerbewegung der Lollarden wie auch von Kirche und Staat im 16. Jahrhundert in der Reformation zur Sicherstellung der angestrebten Einheit unter den besonderen Bedingungen einer anglikanischen Staatskirche ausgeübt wurde. Methodisch können Ansätze der Intertextualitätsforschung auf ihre Anwendbarkeit in der Untersuchung der Formen der Verwendung von Bibeltexten zur Gewaltthematik überprüft werden, um so spezifische Vertextungsstrategien im Zusammenhang mit Argumentationsstrukturen zu untersuchen und die entsprechenden Neukontextualisierungen der Bibel am Ende des Spätmittelalters in der Lollardenbewegung sowie in der Reformation im 16. Jahrhundert herauszuarbeiten.
2. Der Vermittlungsaspekt: Buchkommunikation
Aus buchhistorischer Sicht steht die Frage nach der Vermittlung der bibelbezogenen Gewaltdiskurse in der Buchkommunikation im Mittelpunkt, und zwar in Form von handgeschriebenen und gedruckten Büchern bzw. Pamphleten als prägender Faktor in der konflikthaften literarischen Kommunikation im religiös-politischen Feld. Dieser Vermittlungsaspekt erscheint als besonders relevant für eine Einschätzung der Wirkmächtigkeit solch biblisch fundierter Vorstellungen von physischer und nicht-physischer Gewalt mit Blick auf die Möglichkeiten der Herstellung von (vor-moderner) ‘Öffentlichkeit’ durch den Buchdruck. Zentrale Thesen zum Unterschied zwischen der Manuskript- und der frühen Buchdruckkultur wie die von Elizabeth Eisenstein (1979) zur buchspezifischen Kommunikation im religiösen Feld sollen mit Blick auf die Gewaltthematik kritisch überprüft werden.
Das Projekt ist Teil der Koordinierten Projektgruppe Legitimation und Delegitimation von Gewalt mittels Schrift und Tradition.