(C3) Initiation - Beschneidung – Identität
In den letzten Jahren ist die Herausbildung frühchristlicher und frühjüdischer Gruppenidentität verstärkt problematisiert worden. Neu oder erneut aufgeworfene Fragen betreffen sowohl die Abgrenzung beider Religionen voneinander als auch ihre Einbettung in die griechisch-römische Welt. In diesem Kontext gilt das Projektinteresse den Zusammenhängen zwischen inkludierenden Ritualen und Gruppenidentitäten bei Juden und Christen. Um den Befund im historischen Kontext erfassen und diskutieren zu können, wird mit der gleichen Fragerichtung das antike, speziell griechisch-römische Vereinswesen untersucht. Juden und Christen organisieren sich in Gemeinden, die sowohl in ihrer Präsentation nach außen als auch in ihren internen Abläufen und Strukturen paganen Vereinen vergleichbar sind. Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Gruppen sollen hinsichtlich der Möglichkeiten, dauerhafte Zugehörigkeit zu einer Gruppe durch den temporären Vollzug eines Rituals zu sichern, erhoben werden. Dazu ist das Material auf die Erfassung von Form, Gestalt und möglichen Funktionen entsprechender Rituale hin auszuwerten. Dieser Auswertung geht die Suche nach Theoriemodellen, die neue Perspektiven erschließen, voraus und begleitet sie. Die Beobachtungen werden wiederum in die theoretischen Modelle integriert.
Besondere Bedeutung kommt für die Analyse denjenigen Ritualen zu, die Gruppengrenzen markieren. Das sind zum einen alle Rituale, die den Eintritt in eine Gruppe bewirken oder bestätigen; im jüdisch-christlichen Kontext sind hier an erster Stelle Beschneidung und Taufe relevant. Historische Perspektiven werden einbezogen. So ist die Einführung der Beschneidung als Eintrittsritual im 2. Jahrhundert v. Chr. eng mit den zeitgenössischen politischen Herausforderungen (Errichtung des unabhängigen Hasmonäerstaates, Inkorporation von Nichtisraeliten in das erweiterte Judäa) verbunden. Nach der Tempelzerstörung und dem Ende der politischen Eigenständigkeit verändert sich der Charakter des Rituals, das nun Voraussetzung nicht für die Mitgliedschaft in einem Staat, sondern für den Eintritt in einen jüdischen Verein wird. Diese Eignung der Beschneidung als grenzmarkierendes Ritual ist nie unumstritten gewesen, wobei die jeweiligen Argumente und involvierten Interessen sich mit dem historischen Kontext verändern. Polemik Außenstehender ist, wie der Vergleich mit Initiationsriten etwa griechisch-römischer Mysterienkulte zeigt, gerade auf Eintrittsrituale bezogen, was ihre Funktion als grenzmarkierende Rituale bestätigt.
Gruppengrenzen werden aber auch von solchen Ritualen markiert, die innerhalb einer Gruppe regelmäßig und in von der Umwelt signifikant verschiedener Weise ablaufen. In teilweisem Anschluss an jüngere Forschungen ist hier die antike Mahlkultur von besonderem Interesse. Aufgrund einer Vielzahl von Quellen können sowohl die Ritualsequenz als auch die semantische Dimension antiker Mähler relativ gut rekonstruiert werden. Da das Mahl der primäre Anlass zum Treffen eines antiken Vereins ist und jeder Teilnehmer das Vereinsmahl und seine Eigenarten von anderen Mählern, an denen er teilnimmt, unterscheiden kann, erhalten schon kleinere Abweichungen vom üblichen Geschehen grenzmarkierende Bedeutung. Das Mahl ermöglicht Mitgliedern und externen Beobachtern eine (jeweils unterschiedlich interessierte) Beschreibung des Vereins. Die offizielle Repräsentation ist hier ebenso relevant wie die polemische Verzerrung.
Methodisch werden Ansätze der Systemtheorie ebenso einbezogen wie solche der Praxeologie und der ritual studies. Ziel der interdisziplinären Projektarbeit ist die Vorbereitung und Durchführung von Vergleichen und Analogieschlüssen, die im oben genannten Fragerahmen neue Erkenntnisse ermöglichen.