Integrationspolitik und Populismus: Roundtables am Exzellenzcluster
Sommergespräche des Exzellenzclusters – Forschende erörtern ethische Fragen der Zuwanderung und Erfolge populistischer Parteien – Zoom-Gesprächsrunden im Juni – Aktuelle Fragen im Themenjahr „Zugehörigkeit und Abgrenzung“
Pressemitteilung vom 14. Juni 2021
Wer zur deutschen Gesellschaft gehören soll, wird Forschern zufolge nirgends so stark verhandelt wie in Integrationsdebatten. „Integrationspolitik betrifft alle Bürgerinnen und Bürger. Sie ist von hohem symbolischen Wert, denn hier wird verhandelt, wer zugehörig ist und wer nicht“, erläutert der Philosoph Dr. Matthias Hoesch vom Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster. Er lädt mit dem Politikwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Schlipphak im Juni zu Sommergesprächen über Fragen von „Zugehörigkeit und Abgrenzung“ am Exzellenzcluster ein. „Wir verhandeln in der Reihe aktuelle Fragen unseres laufenden Themenjahrs ‚Zugehörigkeit und Abgrenzung‘“, so Schlipphak. „Wie entsteht gesellschaftliche Zugehörigkeit, welche Rolle spielt Religion, wie kann politische Abgrenzung gelingen, ohne zu diskriminieren?“ Besonderes Augenmerk gilt dem Populismus. „Auch er rührt an den Kern des Zusammenlebens: Manche Forscher sehen populistische Parteien wegen der kulturellen Enttäuschung einiger Bevölkerungsgruppen im Aufwind, andere betonen eher ökonomische und politische Aspekte. Das wollen wir mit Fachkollegen aus ganz Deutschland erörtern.“
Ein Roundtable via Zoom widmet sich am 22. Juni der Frage „Zugehörigkeit als Staatsziel? Ethik und Politik der Integration“. Am 29. Juni geht es um das Thema „Zugehörigkeit und Abgrenzung im populistischen Diskurs: Sozialwissenschaftliche Kontroversen“. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Exzellenzclusters wie der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Armin Schäfer, die Soziologin Dr. Asligül Aysel und Matthias Hoesch kommen mit Forschenden anderer Universitäten ins Gespräch, darunter die Politikwissenschaftler Prof. Dr. Werner J. Patzelt von der Universität Dresden und Prof. Dr. Karen Schönwälder vom Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen.
„Die Integrationspolitik hat auf das Leben Einheimischer und Zugewanderter direkt Einfluss“, führt Matthias Hoesch aus. „Letzteren kann sie Zukunftschancen eröffnen und zugleich Verpflichtungen wie den Besuch eines Sprachkurses bergen. Umso dringlicher sind hier ethische und verfassungsrechtliche Fragen zu diskutieren.“ Inwieweit der Staat lediglich Integrationsangebote machen sollte oder darüber hinaus Zugewanderten Integrationsbemühungen abverlangen darf, werde sehr unterschiedlich gesehen. „Können wir gar Zugehörigkeitsgefühle einfordern oder eine bestimmte Haltung gegenüber der sogenannten Leitkultur vorschreiben, wie in der öffentlichen Diskussion zuweilen gefordert wird? Aussagen wie ‚Der Islam gehört zu Deutschland‘ polarisieren“, so Hoesch. „Hier ist zu klären, ob Zugehörigkeit kulturelle Gemeinsamkeiten mit der einheimischen Bevölkerung oder geteilte Werte voraussetzt.“
Auf dem Podium diskutieren die Soziologin Dr. Asligül Aysel und der Philosoph Dr. Matthias Hoesch vom Exzellenzcluster mit der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Karen Schönwälder (Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften, Göttingen) sowie dem Rechtswissenschaftler Daniel Thym (Universität Konstanz). Sie erörtern ausgehend von aktuellen Entwicklungen der Integrationspolitik, an welchen Maßstäben sich diese orientieren sollte.
Der Erfolg (rechts-)populistischer Parteien führt nicht nur in der öffentlichen Diskussion, sondern auch in der Sozialwissenschaft zu Kontroversen, wie Bernd Schlipphak erläutert. So fühlten sich einige Bevölkerungsgruppen von Werten wie Individualisierung und Internationalisierung nicht angesprochen. „In diesen Gruppen gibt es teilweise ein homogenes und an Tradition und Nation orientiertes Verständnis von Volk, das von den liberalen Eliten verraten wird.“ Anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge beziehe sich diese Einschätzung vornehmlich auf rechts-, weniger auf linkspopulistische Akteure. „Interessant ist außerdem das Verhältnis von populistischen und etablierten Parteien“, stellt Bernd Schlipphak heraus. „Manche sehen populistische Parteien als ein mögliches Korrektiv der Liberalisierung selbst konservativer Parteien, die Teile der Bevölkerung nicht mehr repräsentieren. Dies wirft auch die Frage auf, ob und wie Parteien des Mainstreams auf antipluralistische Positionen reagieren. Ist die vehemente Abgrenzung von Populismus selbst antipluralistisch und damit undemokratisch?“
Über diese und weitere Fragen diskutieren die Politikwissenschaftlerinnen und
-wissenschaftler Prof. Dr. Werner J. Patzelt (Universität Dresden), Prof. Dr. Armin Schäfer vom Exzellenzcluster und Dr. Astrid Séville (Universität München).
Bestandteil des Themenjahres „Zugehörigkeit und Abgrenzung“
Die Roundtables sind Teil des Themenjahres „Zugehörigkeit und Abgrenzung. Dynamiken sozialer Formierung“. Das Jahresprogramm 2020/21 wendet sich der Frage zu, wie unterschiedliche soziale Gruppen in politisch, kulturell, ethnisch und religiös pluralen Gesellschaften zusammenleben, wie die Zugehörigkeit zu Gruppen und Vorstellungen von Identität entstehen, wie Konflikte reguliert werden und sozialer Ausgleich zustande kommt. Nach der historischen Aufarbeitung des Themas im Wintersemester behandelt das Sommersemester Problemlagen in Gesellschaften der Gegenwart. An den Vortrags- und Dialogveranstaltungen sind Mitglieder des Exzellenzclusters sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus anderen Einrichtungen beteiligt. (apo/vvm)