Tradition(en)

Zweites Themenjahr am Exzellenzcluster untersucht Entstehung und Wandel von Traditionen

Plakat des Themenjahrs "Tradition(en)"
Plakat des Themenjahres „Tradition(en)“
© exc

In Kürze startet unter dem Titel „Tradition(en)“ das zweite Themenjahr des Exzellenzclusters „Religion und Politik“. Es befasst sich im Winter- und Sommersemester 2021/22 anhand ausgewählter Beispiele, die von der Antike bis in die Gegenwart reichen, mit der Entstehung und dem Wandel von Traditionen sowie dem Prozess der Überlieferung, seiner Konzeptualisierung in verschiedenen Disziplinen und seiner Bedeutung zum Verständnis von Religionen. Die thematische Bandbreite reicht vom altägyptischen Gott Amun über Tradition und Innovation in der arabischen Literatur bis hin zur Weitergabe religiöser Traditionen in Familien heute. Das Themenjahr beginnt am 2. November mit der Ringvorlesung „Tradition(en)“.

Das weitere Jahresprogramm 2021/22 umfasst zahlreiche Veranstaltungen und Beiträge in verschiedenen Medienformaten. Forschende aus den Geistes-, den Rechts- und den Sozialwissenschaften, die am Exzellenzcluster und der WWU tätig sind, gehen dabei unter anderem der Frage nach, inwiefern die Kritik an Traditionen sowie ihre Umschreibung und Neuaneignung bedeutsam für die Gewinnung von Innovation im religiösen Feld sind. Die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk, Nobelpreisträgerin für Literatur des Jahres 2018, liest im Themenjahr des Exzellenzclusters aus ihrem Werk und diskutiert Motive ihres Schaffens.

„Neu interpretiert, umgeformt, verschleiert“

„Traditionen verändern sich. Sie werden, je nach den Erfordernissen ihrer Trägergemeinschaft, neu interpretiert, umgeformt, verschwiegen, verschleiert oder gar erfunden“, erläutern die Judaistin Prof. Dr. Regina Grundmann und der katholische Theologe Prof. Dr. Michael Seewald. In Religionen spielen Traditionen und Traditionsargumente eine bedeutende Rolle. „Judentum, Christentum und Islam berufen sich auf Offenbarungen. Sie nehmen an, dass Gott zu einem bestimmten Zeitpunkt etwas für die folgenden Zeiten Bedeutsames mitgeteilt habe.“ Aus Sicht dieser Religionen bedürfe das Mitgeteilte einer oder mehrerer Trägergruppen, die das Geoffenbarte glauben und bejahen, es sich beständig aneignen und für seine Weitergabe sorgen. „Auch Religionen, die nicht beanspruchen, auf Offenbarungen zu gründen, kennen Traditionen und Prozesse der Traditionsbildung, etwa in Form von Ritualen, Erzählungen oder Ämtern, die über Generationen weitergegeben werden.“

Bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Tradition(en) lassen sich mindestens drei Aspekte unterscheiden: erstens der Vorgang der Weitergabe oder der Akt der Überlieferung („Tradition“), zweitens die Sachgehalte oder die Praktiken des Überlieferten („Traditionen“) und drittens die Akteure oder die Trägergruppen der Überlieferung („Tradenten“ und Rezipienten sowie ihr Verhältnis untereinander). Im Themenjahr „Tradition(en)“ werden diese drei Perspektiven über verschiedene Epochen hinweg und aus der Sicht verschiedener Disziplinen beleuchtet.

Das erste Themenjahr 2020/21 des Exzellenzclusters trug den Titel „Zugehörigkeit und Abgrenzung. Dynamiken sozialer Formierung“. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie unterschiedliche soziale Gruppen in pluralen Gesellschaften zusammenleben, wie die Zugehörigkeit zu Gruppen und Vorstellungen von Identität entstehen, wie Konflikte reguliert werden und sozialer Ausgleich zustande kommen kann. (sca/vvm)

Veranstaltungen

Ringvorlesung „Tradition(en)“

Die Ringvorlesung „Tradition(en)“, die im Wintersemester 2021/22 stattfindet, eröffnet das Themenjahr. In ihr kommen Mitglieder des Exzellenzclusters und der Universität Münster aus der Ägyptologie, der Arabistik, der Katholischen Theologie, der Philosophie, den Rechtswissenschaften, der Romanischen Philologie und der Soziologie zu Wort. Es entsteht ein Panorama vom Alten Ägypten bis in die Gegenwart, das am Beispiel verschiedener Traditionen die Bedeutung von Überlieferungsprozessen zeigt und das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteure bei Tradierungsprozessen untersucht.

Gesprächsreihe „Tradition(en): interdisziplinär und transepochal“

In der Veranstaltungsreihe „Tradition(en): interdisziplinär und transepochal“ treten im Sommersemester 2022 Forschende aus der Philosophie, der Soziologie, der Evangelischen Theologie sowie aus den Rechts- und den Geschichtswissenschaften miteinander ins Gespräch. Sie befassen sich mit den Themen „Tradition und Normativität“, „Tradition und Konkurrenz“ sowie „Tradition und Rationalität“.

Lesung und Diskussion mit Olga Tokarczuk, Nobelpreisträgerin für Literatur

In Romanen („Die Jakobsbücher“, 2014) und ihrem essayistischen Werk („Übungen im Fremdsein“, 2021) greift die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk, Nobelpreisträgerin für Literatur des Jahres 2018, unterschiedliche erzählerische, kulturelle und religiöse Traditionen auf. Im Rahmen des Themenjahres „Tradition(en)“ liest sie aus ihrem Werk und diskutiert Motive ihres Schaffens.

Hans-Blumenberg-Gastprofessur

Die Hans-Blumenberg-Gastprofessur des Exzellenzclusters wird im Sommersemester 2022 von der Arabistin Sarah Stroumsa, die an der Hebrew University of Jerusalem lehrt, bekleidet. Als Inhaberinnen und Inhaber der Hans-Blumenberg-Professur lädt der Exzellenzcluster jährlich international renommierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach Münster ein, um mit ihnen in einen intensiven Austausch zu treten. Professorin Sarah Stroumsa wird im Rahmen des Themenjahres über Traditionen in der Erforschung von Traditionen – konkret: über verschiedene Strömungen in der Beschäftigung mit philosophischen Traditionen der Islamischen Welt des Mittelalters – sprechen.

Internationales Forschungsvorhaben zur Weitergabe religiöser Traditionen in Familien

Ein internationales Forschungsteam untersucht in Europa und Kanada, wie und warum Religion in manchen Familien an die nachfolgende Generation weitergegeben wird und in anderen nicht. Angesichts des Rückgangs der Religiosität in westlichen Gesellschaften erforscht die von der John Templeton Foundation geförderte Gruppe, der Mitglieder des Exzellenzclusters und mehrerer internationaler Universitäten angehören, wie genau Familien Werte und Deutungsmuster weitergeben und wie sich dabei Religiosität verändert. Die Ergebnisse werden im Kontext des Themenjahres öffentlich vorgestellt.

Traditionen im Wandel – Interdisziplinäre Nachwuchstagung des Exzellenzclusters

Mit der Weitergabe und Umformung von Traditionen in unterschiedlichen Epochen befassen sich auch Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des Exzellenzclusters. Wie wurden und werden Normen und Wissensbestände, Texte und andere Artefakte weitergegeben, umgedeutet oder vergessen? Unter welchen Bedingungen werden Praktiken und soziale Ordnungen fortgeführt, erneuert oder abgeschafft? Wie werden Räume von wechselnden Akteuren genutzt, angeeignet oder umgestaltet? Eine interdisziplinäre Tagung im Themenjahr beleuchtet solche Fragen des Wandels von Traditionen.
(sca/vvm)