Gegenerinnerung inszenieren – Marginalisierte Perspektiven auf den Spanischen Bürgerkrieg und die Franco-Diktatur im Theater der Enkelgeneration
Die umstrittene Umbettung von Spaniens Ex-Diktator Francisco Franco im Jahr 2019 hat gezeigt, dass die gesellschaftliche Aufarbeitung des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) und Franco-Regimes (1939-1975) bis heute andauert. Schuld daran trägt Francos rigide Erinnerungs- und Geschichtspolitik, die eine kritische Auseinandersetzung mit der kriegerischen Vergangenheit jahrzehntelang unterband. Während des friedlichen Übergangs zur Demokratie (1975-1978) fiel die Aufarbeitung der traumatischen Kriegserfahrung und der Diktatur wiederum einem gesamtgesellschaftlichen „Pakt des Schweigens“ und dem Amnestiegesetz von 1977 zum Opfer. Es nimmt daher nicht wunder, dass es in den folgenden Jahrzehnten – spätestens mit der Gründung der Asociación para la Recuperación de la Memoria Histórica im Jahr 2000 – zu einem regelrechten „Erinnerungsboom“ kommt, der nicht zuletzt auch in der Literatur eine deutliche Wirkung zeigt.
Diese Dissertation befasst sich mit dem seit den 2000er Jahren entstehenden „Theater der Enkelgeneration“, das der vererbten Erinnerung (postmemory) des Bürgerkriegs und frühen Franquismus Ausdruck verleiht. Die betreffenden Theaterstücke entwerfen „Gegengedächtnisse“ (Foucault), die marginalisierte Perspektiven auf die beiden historischen Ereignisse eröffnen. Sie verhandeln mithin das Schicksal von Frauen im antifranquistischen Widerstand, von den „gestohlenen Kindern“ des Franquismus, von den namenlosen Toten in den Massengräbern, die Repressionen gegen LGBTQI+-Personen sowie traumatische Erfahrungen von Flucht und Exil.
Im Zuge der Analysen wird herausgearbeitet, wie die Autorinnen und Autoren einer nicht persönlich verbürgten, traumatischen Erinnerung eine dramatische Form geben. Auf theoretischer Ebene werden zu diesem Zweck Beschreibungskategorien erarbeitet, mit deren Hilfe der erinnerungskulturelle Wert von Dramentexten adäquat beschrieben werden kann. Methodisch knüpft diese Dissertation an interdisziplinäre Studien zum kollektiven Gedächtnis, zu Gegenerinnerung und 'postmemory' sowie an dramen- und theaterwissenschaftliche Arbeiten im Bereich der 'memory studies' an.
Betreuer*in: Prof. Dr. Cerstin Bauer-Funke und Prof. Dr. Christian von Tschilschke