Die jungen Kosmopoliten. Prozesse der Aneignung und Abgrenzung in der zeitgenössischen türkischen Literatur
"Identity politics is made of solid bricks. Fiction is flowing water."
Die Worte der Autorin Elif Şafak verweisen auf einen Anspruch, der die türkische Literaturszene seit einigen Jahren prägt. Junge AutorInnen sind zunehmend bemüht, eine Literatur mit kosmopolitischem Anspruch zu schaffen, die sich den thematisch wie sprachlich engen Grenzen einer nationalistisch beziehungsweise idealistisch aufgeladenen Literatur verweigert. Der Roman soll nicht länger im Dienste einer Nation, einer Idee stehen, soll nicht Grenzen ziehen, sondern diese überschreiten, wenn nicht gar auflösen und so auch einem neuen, von globalen Vernetzungen geprägtem Lebensgefühl Ausdruck verleihen. Vor dem Hintergrund türkischer Literaturgeschichte ist diese Entwicklung beachtenswert, hatten Romane doch seit Gründung der Republik stets auch einen ideologischen Auftrag, sollten den kemalistischen Diskurs unterstützen oder, wie in den 70er geschehen, politische Ideologien abbilden. Erst nach dem letzten Militärputsch 1980, mit dem eine umfassende Entpolitisierung der Bevölkerung einherging, wandten sich SchriftstellerInnen zunehmend individualistischen Themen zu. Mittlerweile steht die türkische Gesellschaft vor neuen Herausforderungen: Spannungen zwischen Religion und Säkularismus, zwischen städtischen und ländlichen Lebensformen, zwischen Ost und West, ethnischen wie religiösen Minderheiten und der türkischen Mehrheitsgesellschaft treten auch im Zuge globalisierter Strukturen und eines zunehmenden Einfluss’ von außen immer deutlicher zutage. Die Zukunft wird zeigen, ob die türkische Gesellschaft zu einer Akzeptanz der eigenen Gegensätze und so zu einer von Pluralismus geprägten Identität finden wird.Konzepte und Theorien um kulturelle Globalisierung sind an dieser Stelle vor allem deshalb relevant, weil sie sich intensiv mit der Frage auseinandersetzen, inwieweit die Konfrontation mit dem Anderen das Eigene beeinflusst. Die Theorien um mögliche Folgen reichen von einer vollständigen Homogenisierung, über den vielzitierten Kampf der Kulturen als Abwehrreaktion auf selbige, bis hin zu einer Hybridisierung. Letztere würde durch die Entstehung flexibler Identitäten im Konzept des Kosmopolitismus münden. Vor diesem Hintergrund bietet sich die Analyse ausgewählter Werke von Elif Şafak (geb. 1971), Esmahan Aykol (geb. 1970) und Aslı Erdoǧan (geb. 1967) an. Sie gehören zur jüngeren Generation türkischer Schriftsteller, deren Biografien und Werke durch eine gewisse Interkulturalität geprägt sind. Thematisch spielen die Auseinandersetzung mit fremden Kulturen oder dem Anderem im Allgemeinen eine tragende Rolle, oft bewegen sich die Protagonisten im internationalen Milieu, sind Grenzgänger zwischen den Welten. Diese Erfahrung, verbunden mit der Suche nach dem Eigenen, mündet nicht selten in der Kreation eines ambivalenten Raumes: Das Dazwischen, die Schwelle wird zum eigentlichen Ort der Handlung erhoben. Auf sprachlicher Ebene findet dies seinen Ausdruck in einer Hinwendung zu innovativen Formen, zum Stilpluralismus.
Fach: Islamwissenschaft
Betreuer/innen: Prof. Dr. Thomas Bauer, Prof. Dr. Moritz Baßler