„Wir leben zwischen zwei Welten.“ Transitionssemantiken und Interregnumsmentalität in der deutschen Nachkriegsliteratur 1945 – 1949
[German only]
Obwohl sich seit einigen Jahren eine neuerliche Konjunktur der Nachkriegsforschung beobachten lässt, die wichtige Impulse zu einer kritischen (Wieder-)Beschäftigung mit einem einstmals als abgehandelt verstandenen zeitlichen Abschnitt geliefert hat, kam dem Zeitraum des sog. Interregnums (1945-1949) nur schlaglichtartige Aufmerksamkeit zu. Dies mag u.a. dadurch erklärbar sein, dass in dieser Zeit verstärkt "traditionalistische Konzepte" (Ralf Schnell) eine Renaissance erlebten und zentrale, in der Retrospektive bedeutsame Ansätze wie die Trümmer- und Kahlschlagliteratur erst um 1949 diskursdominierend wurden. Zudem behinderten ästhetisch motivierte Urteile (wie sie sich noch in Heinz Schlaffers melancholisch-polemisch eingefärbter kurzen „Geschichte der deutschen Literatur“ finden lassen) sowie vor allem durch die Gruppe 47 initiierte Dekanonisierungsprozesse den wissenschaftlichen Blick auf die literarische Produktion dieses Zeitabschnitts. Als Schreiben im staaten- aber nicht herrschaftsfreien Raum sieht sich die westdeutsche Literatur des Interregnums eingebettet zwischen zwei diametral verschiedenen politischen Ordnungssystemen (dem vergangenen Nationalsozialismus und der aufkommenden Demokratie) und ist daher geprägt von opponierenden Modellierungen des Vergangenen und des Zukünftigen.
Mein Projekt widmet sich Erzähltexten und publizistischen Arbeiten zur Zeit des Interregnums, wobei deren Lektüre durch die Frage gelenkt wird, inwiefern diese Texte den sozio-politischen Zustand des Interregnums reflektieren, kommentieren und in Formen komplexerer Denkfiguren des Dazwischen gestalten. Das zu untersuchende Korpus (das Autoren wie Heinz Rein, Walter Kolbenhoff, Georg Hensel oder Martha Saalfeld umfasst und dessen Erarbeitung ein gesondertes, literaturarchäologisches Problemfeld darstellt) wird daraufhin untersucht, welche Semantiken und Figurationen entwickelt werden, um das Interregnum zu diskutieren und auf inhaltlicher sowie formaler Ebene zu verhandeln. Dieser Fragestellung versuche ich durch ein plurales Theoriedesign beizukommen. So wird dieser Zustand des Dazwischen unter Bezugnahme auf die kulturanthropologischen Arbeiten Victor Turners als liminaler Bereich konzeptualisiert, in dem Ordnungsübergänge bewerkstelligt werden müssen. Die Analyse dieses Prozesses wird zum einen eine Analyse der literarischen Räume sein, in denen sich die liminalen Subjekte bewegen, zum anderen eine Analyse der dargestellten (kommunikativen) Praktiken, die die Subjekte mit Hinsicht auf die neue Ordnung erwerben müssen. Die untersuchten Texte fungieren schließlich auch als „Applikationsvorlagen“ (Jürgen Link), die den Lesenden demokratisch gerahmte Handlungsdispositive vorführen, womit die Frage nach der literaturpolitischen Dimension der Texte im Rahmen der reeducation aufgeworfen wird.
Fach: Germanistik
Betreuerin: Prof. Dr. Martina Wagner-Egelhaaf