Svalbard 2021
22.6.2021
Schon wieder Grönemeyer! Wir haben doch eben erst die Augen zugemacht! Der Wecker kennt keine Gnade! Es ist 4:00 Uhr morgens! Guten Morgen Oslo! Ich gehe schnell duschen, dann checken wir aus dem Hotel aus. Der freundliche Hotelangestellte bietet mir einen Kaffee an, den ich gerne annehme. Der Kreis schließt sich auch hier, denn auf dem Pappbecher steht „A little cup of happiness“. Mit „A little cup of happiness“ haben wir am 29.5. unsere Quaratäne begonnen. Es scheint Ewigkeiten her zu sein.
Überraschenderweise gibt es beim Einchecken eine lange Schlange an den SAS bzw. Lufthansa Schaltern. Ich bin sehr froh, dass Nico und ich mit meinem Frequent Flyer Status am Business Schalter einchecken können. Allerdings hat die Person vor uns offensichtlich Probleme, denn es dauert gute 15 Minuten, bis er endlich fertig ist. Wir sind in zwei Minuten fertig. Ohne Probleme! Noch schnell die rote Box beim Sperrgut abgeben und schon packe ich meinen Rucksack mit dem ganzen Elektrikzeugs an der Sicherheitskontrolle aus. Ich kann es an den Augen der Mitreisenden sehen, dass sich viele über meine Plastikboxen wundern. Das ist mir aber egal, weil sich die Boxen extrem gut bewährt haben und man alles sauber und trocken verwahren kann.
„Bums!?!?!?!“ Ich renne fast in die automatische Türe der SAS Lounge. Auf dem Weg zur Espressomaschine wird keine Zeit verloren. Aber was ist das? Die Lounge ist noch geschlossen! Das gibt es doch nicht! Arrrggghhhh! Weiter zum Gate, das sich im internationalen Teil des Flughafens befindet. Dort gibt es eine zweite Lounge. Ein trauriges Pappschild klärt uns darüber auf, dass die Lounge momentan geschlossen ist und man die andere Lounge benutzen soll. Ja meine Güte, da hat aber mal wieder jemand mitgedacht. Die eine Lounge ist geschlossen und die andere noch nicht geöffnet. Vorsichtig formulierend würde ich sagen, dass es da noch Optimierungsmöglichkeiten gibt. Weniger vorsichtig würde ich sagen, dass die Regelung schon sehr dilettantisch ist und was ich mir wirklich denke, schreibe ich besser hier nicht auf. Wenn ich keinen Kaffee kriege und über eine Stunde am Gate sitzen muss, hört der Spaß jedenfalls sehr schnell auf. Aber letzten Endes hilft das ganze Ärgern ja auch nichts. Also, entspann Dich! Haken dahinter und weiter geht es. Und zwar zuerst ins Flugzeug und dann in Richtung Frankfurt. Lufthansa verlängert unsere Reise gegenüber dem Masterplan um genau 2 Minuten, denn es ist 8:52 Uhr, als wir in Frankfurt aufsetzen. Der Flughafen ist heute deutlich lebendiger als bei unserer Hinreise. Vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass sich die Situation wieder normalisiert. Mut macht, dass die 7-Tage Inzidenz in Deutschland heute bei 8 liegt, in Münster sogar bei nur 2.5. Wir kommen also definitiv in ein anderes Land zurück als jenes, das wir vor ein paar Wochen verlassen haben. Was sich offensichtlich nicht geändert hat, ist die Anzahl an rücksichtslosen und bösartigen Leuten in Deutschland. Denn als wir zum Auto kommen und ich meine gewohnte Inspektionsrunde darum drehe fällt mir sofort ein in den Lack gekratztes X von ca. 15 x 15 cm auf. Ein versehentliches Verkratzen scheidet meiner Meinung nach aus. Man ist kaum zurück und schon muss man sich ärgern. Die Fahrt nach Münster verläuft reibungslos und um 12:36 Uhr setze ich Nico ab, bevor ich zu mir nach Hause fahre.
Nun ist es also vorbei, unser Abenteuer, und Zeit noch ein paar Schlussgedanken aufs Papier zu bringen während ich bei einem Espresso und guten 20 °C auf der Terrasse sitze. War die Reise den Aufwand wert? Ich denke schon!
Nico und ich konnten uns besser kennenlernen und wir haben uns auf diesem Trip prima verstanden und ergänzt. Auch in kniffligen Situationen haben wir die Ruhe bewahrt und kein böses Wort gewechselt. Einziger Kritikpunkt ist natürlich sein überaus stark ausgeprägter mecklenburg-vorpommerischer Dialekt, der die bayerische Hochsprache, die ich hier verwende, in der ein oder anderen Situation doch recht verschandelt hat. Wer weiß schon was eine Demse ist? Oder ein Akkusativ!
Die Quarantäne war eine eigene Erfahrung, die man als „normaler Mensch“ im Regelfall nicht durchmacht. Für mich war sie leicht zu ertragen und ich hatte keine Probleme damit. Was mich überrascht hat, ist wie wenig Zeit man für sich hatte. Ständig gab es etwas zu tun und ich habe in den 10 Tagen vielleicht fünf Seiten in meinem Buch gelesen. Es klingt komisch, aber langweilig war mir nie! Auch hat mir die gute Organisation der Quarantäne im Hotel imponiert.
In Ny Alesund konnten wir viele Dinge erledigen, die wir uns vorgenommen hatten. Andere Dinge mussten wir absagen. Meist hat es aber nicht daran gelegen, dass unser Team auf 50% unserer normalen Stärke geschrumpft ist, sondern daran, dass entweder noch zu viel Schnee lag oder das Wetter zu schlecht war. Da hätte auch ein 4-Mann Team nicht geholfen. Beim Tragen von schwerer Ausrüstung von A nach B ist es aber ein deutlicher Vorteil in einem größeren Team unterwegs zu sein. Nachdem ich nun beides erfahren habe, würde ich behaupten wollen, dass 4 Personen ideal sind. Zur Not passt man auch in kleine Hütten, hat aber genügend Manpower, um Dinge effektiv und schnell erledigt zu bekommen. Außerdem gehören Ernst und Andreas zum Grundinventar der SPLAM Expeditionen und wurden alleine schon aus diesem Grund vermisst.
Trotz kleinem Team haben wir viel erreicht. So konnten wir zum ersten Mal überhaupt ein Georadar sowohl an der Lateralmoräne als auch einigen Steinkreisen einsetzen. Wir haben Drachenbilder unter sehr schwierigen Bedingungen aufgenommen und dabei eine Filmkamera eingesetzt, die in kurzer Zeit sehr viele Bilder aufnimmt, die wir zur Berechnung von Höhenmodellen verwenden können. Erste Tests sind sehr viel versprechend. Mit der gleichen Filmkamera haben wir auch Aufnahmen aus ca. 3 m Höhe mit sehr hoher Auflösung aufgenommen. Auch daraus sollten sich hochpräzise Höheninformation gewinnen lassen. Das DGPS haben wir verwendet, um die Höhe und Lage von knapp 50 großen Gesteinsbrocken zu vermessen, die wir bereits 2019 vermessen hatten. Somit können wir vergleichen, wie sich die Landschaft in 2 Jahren verändert hat. Unsere unzähligen Detailbilder und Filme dokumentieren die Landschaftsänderung ebenfalls. Mit Datenloggern haben wir während unseres Aufenthalts permanent die Bodenfeuchte und Temperaturen in zwei verschiedenen Tiefen gemessen und auch den Leistungseintrag der Sonne in W/m2 bestimmt. Drei im Jahre 2019 vergrabene Datenlogger, die uns den Temperaturverlauf in drei Bodentiefen zeigen werden, haben wir ebenfalls geborgen. Ein neues mögliches Untersuchungsgebiet wurde inspiziert und Kontakte mit der Universität in Oslo geknüpft, die vielleicht in einem gemeinsamen Projektantrag enden könnten. Ich glaube, unsere Bilanz kann sich sehen lassen. Ich bin jedenfalls sehr glücklich und zufrieden darüber.
Aber natürlich darf ein Schuss Selbstkritik hier auch nicht fehlen. Erstens habe ich wieder viel zu viel Klamotten und andere unnötige Dinge mitgenommen. Nächstes Jahr werde ich deutlich weniger mitnehmen! Allerdings hatten wir dieses Jahr auch fast ununterbrochenen Zugang zu den Waschmaschinen, die uns immer wieder frische Klamotten bescherten, so dass wir nicht so viel dreckige Wäsche hatten, als in normalen Zeiten in denen wir mehr Zeit in den Hütten verbringen. Ein zweiter Kritikpunkt ist der Umgang mit den Geräten. Wir sollten nächstes Jahr besser vorbereitet nach Ny Alesund kommen. So war z.B. dieses Jahr das Datum und die Uhrzeit an der Wildkamera falsch eingestellt. Auch der Umgang mit dem DGPS muss besser einstudiert werden, da ist noch viel Luft nach oben.
Dadurch, dass wir dieses Jahr mehr Zeit in Ny Alesund verbrachten, wurden wir auch besser in die dortige Gemeinschaft aufgenommen. Lange und gute Gespräche mit Ingo, die Mellageret-Besuche und die Einladung zur Geburtstagsfeier in der Nilsebu Hütte waren sicher die absoluten Höhepunkte. Aber auch die netten Gespräche in der Kantine mit den niederländischen, französischen und norwegischen Ornithologen haben uns sehr heimisch fühlen lassen. Speziell Maarten ist eine unerschöpfliche Quelle an Ny Alesund Erfahrungen. Und auch mit dem Küchenpersonal, allen voran Maren, hatten wir dieses Jahr ein außergewöhnlich enges Verhältnis. Ich glaube auch, dass die geringere Anzahl an Wissenschaftlern dazu beigetragen hat, dass diejenigen, die vor Ort waren, noch enger zusammengewachsen sind. Viele Forscher, die sonst immer da waren, haben dieses Jahr gefehlt. So z.B. die indischen, südkoreanischen, und die chinesischen Kollegen, deren Stationen völlig verwaist waren.
Die Unterstützung durch das AWIPEV Team vor Ort war wieder ausgezeichnet. Dadurch, dass dieses Jahr zwei Teams in Ny Alesund waren, konnte noch flexibler auf unsere Wünsche und die sich ständig ändernden Pläne reagiert werden. Das war eine unglaubliche Erleichterung und Hilfe für uns. Nicht weniger wichtig war, dass wir uns zwei leistungsstarke Motorboote ausleihen durften, die uns schnell und sicher und manchmal auch trocken, ins Untersuchungsgebiet und zurück nach Ny Alesund brachten. Was ich dieses Jahr auch sehr geschätzt habe, waren die zahlreichen Gespräche mit Greg und Bettina, die teilweise auch über das rein geschäftliche hinausgingen. Was niemand nach den bereits überaus positiven Erfahrungen der letzten Jahre erwartet hätte, ist eingetreten und der „Service“ ist nochmals gegenüber den Vorjahren gewachsen. Liebes AWIPEV Team, dafür, dass Ihr uns eine so schöne und erfolgreiche Feldsaison beschert habt, sind wir Euch sehr dankbar! Speziell Bettina und Greg, aber auch Lucas, Yohann, Fieke und Sandra sind wir sehr dankbar. Und natürlich muss der Dank auch an die tollen AWI Leute in Bremerhaven gehen, die uns unterstützt haben. Seien es die Leute in der Bekleidungskammer, in der Logistik oder im Hafenlager, um nur einige zu nennen.
So, nun ist das Ende tatsächlich nah. Auf 70 Seiten bzw. mit 42994 Wörtern habt Ihr unsere diesjährige Reise nach Spitzbergen miterleben können. Manches war vielleicht banal, manches zu lange dargestellt und manches vielleicht interessant. Für mich ist der Blog mittlerweile zur lieb gewordenen Tradition geworden und ich hoffe inständig, dass wir diese Tradition nächstes Jahr wieder unter einfacheren Bedingungen wiederholen können.