Rückschau: 3. Dialogveranstaltung des Projektes BIOCIVIS
Wie kann eine nachhaltige, zukunftsfähige Wirtschaftsweise gelingen und wie können wir selbst dazu beitragen? Dieser Frage gingen vom 12. bis 14. Mai 2022 14 interessierte Bürger*innen beim „Biodialog“ des Forschungsprojekts BIOCIVIS auf den Grund. Lebhafte Diskussionen entsponnen sich im Seminarraum und im Klostergarten des Kapuzinerklosters in Münster zu der Frage, ob und wie die Bioökonomie zu mehr Nachhaltigkeit beitragen kann. Bioökonomie bezeichnet eine spezielle Form des Wirtschaftens, in der mithilfe nachwachsender Rohstoffe erdölbasierte Produkte und Verfahren abgelöst werden sollen. Während der dreitägigen Veranstaltung erwarben die teilnehmenden Bürger*innen neues Wissen über die Bioökonomie und kamen miteinander sowie mit eingeladenen Interessensvertreter*innen und Referent*innen ins Gespräch. Zum Abschluss entwickelten sie Kriterien, wie eine nachhaltige Bioökonomie aussehen sollte.
Am Donnerstagnachmittag fanden das Projektteam und die eingeladenen Bürger*innen aus Münster, Hamm und Recklinghausen ihren Weg in die ruhige Oase des Kapuzinerklosters mitten in der Stadt. Stefan Löchtefeld (e-fect) führte durch das Programm und war für die kommenden Tagen der Moderator des Dialogs. Zunächst lernten sich die Teilnehmenden bei einem ersten Brainstorming zu Fragen rund um Nachhaltigkeit kennen, bevor sie dann auch das Thema des Dialogs näher kennenlernten. Mithilfe eines Films, den das Projektteam bereits im letzten Jahr produziert hatte, wurde das allgemeine Konzept der Bioökonomie dargestellt. Eine eher kritische Sichtweise auf die Bioökonomie vermittelte Jun.-Prof´in Lisa Biber-Freudenberger vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn, die per Videokonferenz am Biodialog teilnahm und sich im Anschluss den Fragen der Bürger*innen stellte. Nach einer Pause bei Kaffee und Kuchen im Sonnenschein, kamen Interessensvertreter*innen mit ganz verschiedenen Blicken auf die Bioökonomie zu Wort. Sie teilten ihre Sichtweisen auf das Thema und vermittelten den Teilnehmenden Einblicke in das Zusammenspiel von Bioökonomie und Forschung (Fraunhofer IME), Klima (Scientists for Future), Religion (Institut für Theologische Zoologie) und Gerechtigkeit (Uni Jena). Die Bürger*innen nutzen die Gelegenheit, diese Sichtweisen genauer zu betrachten und zu hinterfragen. In der anschließenden Diskussionsrunde in Kleingruppen unterhielten sie sich angeregt mit den Interessenvertreter*innen – teilweise bis weit in die Pause hinein.
Anschließend lernten die Bürger*innen verschiedene Zukunftsszenarien kennen, die vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) erarbeitet wurden und unterschiedliche Auslegungen der Bioökonomie in eine fiktive Zukunft übersetzen. Angeregt diskutierten die Teilnehmenden die Vor- und Nachteile dieser Zukunftsbilder und stellten sich auch die Frage, wie viel Wandel in der Zeitspanne bis 2040 (das Jahr, in dem diese Zukünfte spielten) tatsächlich stattfinden kann. Der erste Tag endete bei entspannten und angeregten Gesprächen mit einem gemeinsamen Abendessen.
Der zweite Tag begann wiederum bei schönem Wetter am Freitagnachmittag. Heute wurde dem interdisziplinären Ansatz des Projekts Rechnung getragen und der Tag drehte sich unter anderem um drei konkrete Anwendungsbeispiele, in denen die mikrobielle Biotechnologie (die technische Nutzung von Mikroorganismen) als Werkzeug der Bioökonomie dient. Begleitet wurde der Tag von der Grafikerin Janna Schipper (Illustre Runde), die die Diskussionen und Vorträge im Rahmen des sogenannten Graphic Recording zeichnerisch festhielt. Erneut waren neben den Bürger*innen Interessensvertreter*innen und Referent*innen anwesend, von denen zwei nach einer ersten Einführung ihre unterschiedlichen Sichtweisen auf die Biotechnologie schilderten. So erhielten die Bürger*innen Einblicke in die Möglichkeiten und Chancen der Biotechnologie für die Bioökonomie. Doch auch Risiken kamen zur Sprache und, dass der Einsatz von Biotechnologie immer „mit Sinn und Verstand“ überprüft werden sollte. Die vielen Fragen der Bürger*innen mündeten in einer angeregten Diskussion.
Mit Dr. Ulrich Robecke vom Tiefbauamt Münster und Andreas Brügmann von den Abfallwirtschaftsbetrieben Münster brachten zwei Experten ihr Detailwissen zu zwei der Anwendungsbeispiele der Biotechnologie in den Biodialog ein. Sie veranschaulichten den Teilnehmenden die mikrobielle Abwasserreinigung und die Produktion von Biogas aus organischen Abfällen und standen bei den zahlreichen Fragen der Bürger*innen Rede und Antwort.
Mithilfe eines Memories lernten die Teilnehmenden spielerisch das dritte biotechnologische Anwendungsbeispiel kennen. Es stellte drei biobasierte Chemikalien (den Biokunststoff Polylactat (PLA), den Aromastoff Vanillin und Insulin als Medikament) vor, die alle mithilfe von Mikroorganismen produziert werden. Dass das Spiel durch einen aufmerksamen Besuch des Gallery Walks, einer Ausstellung bioökonomischer Produkte, ein wenig abgekürzt werden konnte, war indes kein Versehen. Erneut brachten Interessensvertreter*innen aus der Industrie (Remondis, Evonik), vom Naturschutzverband NABU und dem Cluster Industrielle Biotechnologie (CLIB), sowie aus der politikwissenschaftlichen Forschung (WWU Münster) ihre jeweilige Sichtweise auf die Anwendungsbeispiele ein.
Zum Abschluss beschäftigten sich die Teilnehmenden mit dem komplexen Thema der Gentechnik. Besonders anschaulich vermittelte Dr. Joachim Kremerskothen als Beauftragter für biologische Sicherheit und Gentechnik der Universität Münster die Grundlagen der Gentechnik und stellte dar, wie streng die Regeln für gentechnische Arbeiten vor allem in Deutschland sind. Einen weiteren Aspekt fügte Dr. Johann Ach vom Centrum für Bioethik der Uni Münster hinzu, der den Teilnehmenden ethische Fragestellungen im Umgang mit der Gentechnik vermittelte. Trotz des anspruchsvollen und straffen Tagesprogramms nutzen einige Bürger*innen die Gelegenheit und diskutierten das (neu) erworbene Wissen beim gemeinsamen Abendessen mit den Referent*innen und Interessensvertreter*innen in entspannter Atmosphäre.
Am dritten Tag schließlich blieben die Bürger*innen unter sich und nahmen sich die Zeit für weitergehende Diskussionen und Überlegungen. Der Tag begann bei blauem Himmel im Freien auf der Wiese hinter dem Kloster mit einer tiefergreifenden Diskussion zum Thema Gentechnik. Und obwohl keine Einigkeit herrschte bei der Bewertung von Gentechnik, war man sich sicher, dass sie – wie jede Technologie – Chancen und Stärken sowie Schwächen und Risiken birgt. Mit einer zweiten Reise in die Zukunft lernten die Teilnehmenden nun weitere, potentielle Chancen und Risiken der gestrigen Anwendungsbeispiele kennen. Anhand der fiktiven Geschichten zu Biogas, Bioplastik, Vanillin und Insulin wurden schnell Vor- und Nachteile der Anwendungen ausfindig gemacht, die die Teilnehmenden schließlich in Kriterien für eine nachhaltige und in ihrem Sinne „gute“ Bioökonomie umformulierten. Dabei blickten alle Bürger´*innen weit über den Tellerrand hinaus. So bedachten sie neben ganz greifbaren Beispielen wie dem eigenen Konsumverhalten auch Auswirkungen in anderen Teilen der Welt (globale Gerechtigkeit), die Umwelt, die Wirtschaft sowie moralische und ethische Fragestellungen. Auch die Forschung und die Bedeutung einer transparenten Kommunikation in die Gesellschaft und viele weitere Punkte wurden als wichtige Kriterien der Bioökonomie erarbeitet.
Neue Impulse und weitere Aspekte von Nachhaltigkeit lieferte der Kapuzinerbruder Bernd Beermann während einer Führung durch den Klostergarten. Das anschließende Mittagessen bot die Möglichkeit ein wenig zu entspannen und die Gedanken zu ordnen. Weitere, ganz konkrete Hinweise und Sichtweisen von Bürger*innen erhielt das Projektteam während der sich anschließenden Diskussion zur Gestaltung von Bürgerbeteiligung im Allgemeinen. Pünktlich endete der Biodialog schließlich am Samstagnachmittag. Mit viel neuem Wissen und allerlei Denkanstößen verließen die Bürger*innen das Kapuzinerkloster. Mit allerlei Ergebnissen und vielen neuen Einblicken im Gepäck geht das BIOCIVIS-Team nun an die Auswertung des dritten Biodialogs. Und während viele Antworten auf die Forschungsfragen noch in den gesammelten Ergebnissen darauf warten entdeckt zu werden, hat sich eine wichtige Erkenntnis erneut bestätigt: Für die allermeisten Bürger*innen gilt, dass nur eine nachhaltige Bioökonomie eine gute Bioökonomie ist.