Eltern erziehen ihre Kinder so, wie sie selbst erzogen
wurden. Lehrer unterrichten so, wie sie selbst unterrichtet wurden. Natürlich stimmt das so nicht absolut - dann würde es ja nie Weiterentwicklungen geben. Aber die Tendenz ist sicher richtig. |
Gesellschaftliche und technologische Veränderungen erfordern zwingend neue Arbeitsformen. Weg von hierarchischen Strukturen, hin zu Kooperation und Teamwork. Es ist immer weniger gefragt, sich unterordnen zu können. Vielmehr kommt es darauf an, mit anderen zusammenzuarbeiten, kreativ zu sein, eigene Ideen und Vorschläge einzubringen, ständig Neues aufzunehmen und weiterzugeben. |
Ausgehend von diesen beiden Prämissen betrachten wir den Einsatz neuer Medien, speziell der Computertechnologie, und ihre Auswirkung auf Pädagogik und Hochschulpädagogik.
Der Computer ist nichts weiter als ein Werkzeug, aber eines, das vielseitiger ist als alle anderen. Aufgrund der Vielseitigkeit des Computers hat sein Einsatz tiefgreifende pädagogische Folgen. Frontalunterricht, alle lernen zur gleichen Zeit und im gleichen Tempo das Gleiche - das ist eine Arbeitsform, die kontraindiziert ist. Statt dessen tauchen Idealvorstellungen aus der Reformpädagogik wieder auf: individualisiertes und differenziertes Lernen, selbstbestimmtes Lernen, Aufhebung der starren Grenzen von Zeit (45-Minuten-Stunden) und Ort (Anwesenheitspflicht im Klassenraum), offener Unterricht, projektorientierter Unterricht usw. Sämtliche reformpädagogischen Ideal- und Traumvorstellungen (z.B. Peter Petersen oder Summerhill) scheinen plötzlich auf den Computer zentriert zu sein. Sicherlich ist er damit überfordert, und sicherlich ist er kein Allheilmittel. Aber eines ist genauso sicher:
WENN man den Computer denn im
Unterricht einsetzt, dann muss man sich zwangsläufig von traditionellen Lehrmethoden
lösen.
(s. auch Seymour Papert: The Conected Family)
Das "Wusel"- Seminar war von genau diesen
Vorstellungen geprägt:
Vorgabe von mir war lediglich, DASS ein Projekt bearbeitet werden sollte, an dessen Ende
ein konkretes Ergebnis stehen würde. Und dieses Ergebnis sollte dann nutzbar sein für
die im Titel des Seminars genannte Zielgruppe: für benachteiligte Kinder und Jugendliche.
Die Offenheit in dieser Zielsetzung stellte natürlich ein Risiko dar. Es hätte passieren können, daß das Ziel eben nicht erreicht wird. Eingeplant war natürlich, daß dieses Risiko motivierend wirkt auf die Studierenden, d.h. daß das Bewußtsein für die eigene Verantwortung innerhalb der Gruppe entsteht. Eine zusätzliche Motivation war dadurch gegeben, daß nicht für die Schublade oder den Aktenordner produziert wurde, sondern daß das Arbeitsergebnis ins Internet hochgeladen wurde und tatsächlich von Kindern benutzt werden kann.
Wichtig war auch das Vertrauen darauf, daß in einer Gruppe von 15 Studierenden genug unterschiedliche Begabungen und Fähigkeiten vorhanden sein würden, um die unterschiedlichen Arbeiten bewältigen zu können.
Wie die Arbeit konkret ablief, haben die Studenten aus ihrer eigenen Sicht dargestellt . Hinzufügen möchte ich, daß diese offene und projektorientierte Arbeitsweise durchaus nicht selbstverständlich war für die Studierenden. Unvermeidlich, daß sich eine gewisse Unsicherheit einstellte. So schien die Einführung in die Nutzung eines HTML-Editors (Claris Home Page) und eines Grafikprogramms (Paintshop Pro), die im herkömmlichen, dozierenden Stil stattfand, diesem Bedürfnis nach Sicherheit entgegen zu kommen. Da lernt man doch schließlich etwas Handfestes, das man für die anschließende Arbeit benötigt. Bemerkenswert ist die Beurteilung dieser Phase durch die Studenten in der Abschlußbesprechung. Sie empfanden sie als zu lang. Man hätte die Zeit besser für die eigentliche Projektarbeit nutzen sollen. Eine Hinwendung zum freiheitlicheren und kreativeren Arbeitsstil also. Ich kann dem nur zustimmen.
Auffällig war für mich auch, daß in dieser Gruppe von Studierenden, die sich zuvor größtenteils nicht kannten, so etwas wie ein WIR-Gefühl entstand. Dieses Gemeinschaftsgefühl ist entstanden durch die intensive Zusammenarbeit an zwei Wochenenden. Ein soziales Phänomen, das man von einem Computerprojekt kaum erwarten dürfte. Und die Vollendung des gemeinsamen Werks hat zu einem merklichen Erfolgserlebnis geführt. "Das hätte ich vor 14 Tagen nicht für möglich gehalten, daß wir das tatsächlich schaffen" äußerten mehrere Studentinnen.
Die Gruppe ist stolz auf ihr "Wusel", auf das "gemeinsame Kind". Gespannt warten die Wusel-"Eltern" jetzt darauf, ob wohl irgendwann tatsächlich ein Kind das Wusel im Internet entdeckt. Als bereits während der Arbeit die erste Rückmeldung per email kam, war man ganz aus dem Häuschen.
Anzufügen ist, dass die im Seminar praktizierten Arbeitsformen durchaus nicht auf den Hochschulbereich beschränkt sind. Im Gegenteil: Gerade in der Arbeit mit (benachteiligten oder behinderten) Kindern kann und sollte man den Mut zu diesen Arbeitsformen aufbringen. Dass es möglich ist, zeigt z.B. ein Projekt, das mit mehrfachbehinderten hörgeschädigten Schülern zum Geschichtsthema "Ägypten" durchgeführt wurde.
Sicherlich sind auch Studierende vom Prinzip des "learning by doing" nicht ausgeschlossen. Sie konnten in diesem Seminar exemplarisch erfahren, daß trotz oder gerade wegen größerer Freiheit und Verantwortung ein kaum für möglich gehaltenes gemeinsames Ziel erreicht werden kann. Und nichts motiviert mehr als der Erfolg!-)
Bernd Rehling
Gehörlosenlehrer und Lehrbeauftragter
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