Ein „Schild“ für Mediziner, kein „Schwert“ gegen Patienten

Der Medizinethiker Professor James F. Childress über Verweigerung aus Gewissensgründen in der Gesundheitsversorgung
2011-05-16 Vortrag Childressj

Wenn Mediziner bestimmte medizinische Dienstleistungen aus Gewissensgründen verweigern, führt dies meistens zu einem Konflikt mit Patienteninteressen. In seinem Vortrag am Montag untersuchte Professor James F. Childress (University of Virginia) die Merkmale solcher Verweigerungen und prüfte die Tauglichkeit verschiedener Maßnahmen zur Regulierung der daraus resultierenden Konflikte. Er betonte, dass bereits im Voraus ein Maßnahmenkatalog zur kreativen Konfliktlösung erarbeitet werden sollte. Gleichzeitig müssen klare ethische Grenzen für Verweigerungen bestehen. So dürften Gewissensentscheidungen niemals dazu führen, dass der Patientenwille aktiv behindert wird.

Die Palette von Verweigerungen aus Gewissengründen im Medizinbereich ist breit: bekannte Fälle betreffen etwa die Durchführung von Abtreibungen oder Sterilisationen, die Beteiligung an Sterbehilfe aber auch reproduktive Gesundheitsdienstleistungen für Alleinstehende, Homosexuelle oder unverheiratete Paare. Während manche dieser Verweigerungen als rechtlich und beruflich akzeptabel gelten, stehen andere unter Strafe. Allen gemeinsam ist jedoch eine ungelöste Spannung zwischen dem Respekt für Gewissensentscheidungen und dem Schutz von Patienteninteressen. Die grundlegende ethische Frage von Childress lautete daher: Sollte medizinisches Personal bei einem Gewissenskonflikt von der Ausübung ethisch umstrittener Behandlungen befreit werden, selbst wenn diese legal sind und von Patienten für gewöhnlich erwartet bzw. gewünscht werden?

Zur Prüfung dieser Frage nahm Childress detailliert Art und Umfang von Verweigerungen aus Gewissensgründen in den Blick. Im Zuge dessen wies er darauf hin, dass auch fälschlich Gewissenskonflikte behauptet werden könnten, um so verdeckte Interessen durchzusetzen. Darüber hinaus stellte er klar, dass Verweigerungen aus Gewissensgründen zwar statistisch häufiger von religiösen Menschen in Anspruch genommen würden, gesetzlich jedoch religiöse Gründe keinen Vorrang vor säkularen hätten. Childress machte außerdem darauf aufmerksam, dass selektive Verweigerungen, die nur bestimmte Patientengruppen wie z.B. Homosexuelle betreffen, zu ungerechter Diskriminierung führen. Schließlich zeigte er die große Bandbreite möglicher Beteiligung an fremden Fehlverhalten auf.

 

Einen Mittelweg finden

Im Umgang mit Verweigerungen aus Gewissensgründen wird häufig auf verschiedene Metaphern zurückgegriffen, z.B. ausgleichen oder einen Mittelweg finden, um sowohl die Interessen der Mediziner wie auch die der Patienten zu berücksichtigen. Childress verdeutlichte, dass solche Metaphern zwar einseitige Lösungen ausschließen, aber auch keine klaren Handlungsempfehlungen darstellen. Er prüfte daher mehrere konkrete Vorschläge zum Interessenausgleich, darunter die Vermeidung bestimmter medizinischer Berufe bei Gewissensvorbehalten, die Pflicht zur Voranzeige von bekannten Gewissenvorbehalten oder die Überweisung von Patienten an andere Mediziner im Verweigerungsfall.

Keiner dieser Vorschläge ist unproblematisch, wie Childress herausstellte. So versagt die Vermeidungsstrategie, wenn sich wie etwa bei der Abtreibung die Rechtmäßigkeit medizinischer Dienstleistungen ändert. Die Voranzeige oder eine Überweisung erscheinen dagegen untauglich für die Notfallmedizin. Dennoch sollten all diese Ansätze in Betracht gezogen werden, denn es gelte, so Childress, die moralische Fantasie zu beflügeln – eine kreative Suche nach Möglichkeiten, sowohl die Interessen der Mediziner als auch jene der Patienten effektiv zu schützen. Er betonte zudem den Bedarf an präventiver Ethik, um so Mechanismen und Systeme bereits vor dem Konfliktfall zu entwickeln. Er legte jedoch Wert darauf, dass es durchsetzbare ethische Grenzen für Verweigerungen geben müsse.

Schließlich machte Childress auf einen entscheidenden Unterschied aufmerksam, nämlich jenen zwischen der Verweigerung aus Gewissensgründen – also dem Recht, sich von ethisch umstrittenen Behandlungen fernzuhalten – und der Behinderung aus Gewissensgründen – einem unrechtmäßigen Anspruch, ethisch umstrittene Behandlungen zu unterbinden. Er schloss daher mit einer kürzlich von Douglas White und Baruch Brody geprägten Formulierung, nach der die Verweigerung aus Gewissensgründen eine „Schild“ für Mediziner sei, jedoch kein „Schwert“ gegen Patienten.