Institutioneller Hintergrund
Kolonialismus ist in aller Munde. In Deutschland entstehen allerorts Ausstellungs- und Forschungsprojekte genauso wie zivilgesellschaftliche Initiativen zur Auseinandersetzung mit der kolonialen Geschichte; in Münster sind hier etwa Projekte des LWL und Initiativen zur Umbenennung von Straßen zu nennen. Auch die Namensänderung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster in Universität Münster hat nicht unwesentlich mit den kolonialen Aktivitäten des ehemaligen Namensgebers Wilhelm II. zu tun. Dabei ist Deutschland im globalen Vergleich bezüglich der Aufarbeitung kolonialer Vergangenheit eher ein "Spätzünder", auch wenn es sich in jüngerer Vergangenheit hinsichtlich der Restitution von musealen Objekten relativ stark in Debatten eingebracht hat.
Weltweit findet bereits seit Jahrzehnten eine intensive Auseinandersetzung mit dem Erbe von Imperien statt, die teilweise in der Endphase großer Imperien begann oder sich direkt an die politischen Dekolonialisierungen anschloss, etwa die Teilung Britisch-Indiens 1947, die Unabhängigkeit Angolas und Mozambiques von der Kolonialmacht Portugal 1975, die Unabhängigkeit Zimbabwes von Großbritannien 1980, Namibias von Südafrika 1990 und die Rückgabe Hong Kongs an China 1997. Zu nennen sind weiterhin die heftig umstrittenen 500 Jahr-Feierlichkeiten der Eroberung Amerikas 1992, die Initiative "Rhodes Must Fall" in Südafrika 2015 oder der Sturz der Colston-Statue in Großbritannien 2020. Auch das Ersetzen der britischen Krone durch einen eigenen Präsidenten als Staatsoberhaupt im karibischen Inselstaat Barbados im Jahr 2021 steht in Zusammenhang mit der politischen Aufarbeitung der Geschichte des britischen Empires.
Zahlreiche Interventionen der USA in Lateinamerika im 20. Jahrhundert und in jüngster Vergangenheit der Krieg Russlands gegen die Ukraine zeigen außerdem, dass das Imperium einerseits in Form eines "informal empire", andererseits als politisches und militärisches Konzept keineswegs ausgedient hat.
Diese bereits länger andauernde und nach wie vor höchst virulente Auseinandersetzung mit dem Erbe von Imperien sowie die Deutungskämpfe hierum lassen sich in Bezug setzen zu einer langen Tradition der Erforschung von Imperien. Diese hat durch die Etablierung der postkolonialen Studien sowie durch Debatten um Dekolonialisierung in den Metropolen und über Rassismus in- und außerhalb der Forschung neuen Schub erhalten. Grund genug, ein "Centre for Empire Studies: (Post)Colonial Histories and Global Entanglements" zu etablieren. Es bringt sich in die internationale Forschung ein und trägt zur Versachlichung tagespolitischer Debatten zu Imperien und kolonialen Vergangenheiten bei. Damit soll es einen Beitrag zur gesellschaftlichen Selbstverständigung leisten. In seiner Arbeit beschränkt sich das CES e nicht darauf, die Vorgeschichte imperialer "Gespenster", die uns aktuell heimsuchen, aufzuarbeiten. Vielmehr soll mit einem Schwerpunkt auf den neuzeitlichen Imperien des 15. bis 21. Jahrhunderts aber unter Einschluss (der Geschichte) vormoderner Imperien und aktueller geschichtskultureller Fragen zum Umgang mit kolonialen Vergangenheiten eine systematische und breitgefächerte Historisierung des Imperialen stattfinden und Kategorien und Denkweisen, mit denen wir (historischen) Imperien begegnen, untersucht und fortwährend hinterfragt werden. Entscheidend bleibt hierfür die beständige Selbstreflexion zur Frage, inwiefern bisherige Kategorien der Imperienforschung selbst imperial geprägt sind.