1. Imperiale und postimperiale Gesellschaften:
Ein zentrales Charakteristikum von Imperien war die Organisation (und Produktion) von Differenzen, die allerdings in verschiedenen Bereichen ständig neu ausgehandelt wurden. In Reaktion auf politische und kulturelle Hegemonie, Gewalt und Unterdrückung waren die Lebenswelten der dominierten Gesellschaften oft von Widerständigkeit und dem Kampf um kulturelle Selbstbehauptung bestimmt, aber auch von Anpassung und Kooperationsbemühungen. Imperiale Gesellschaften waren dabei weder in der Metropole noch in den Peripherien je homogen. Vielmehr setzten sie sich aus zahlreichen diversen Gruppen zusammen, die sich mit Blick auf ethnische, rassifizierte, (proto-)nationale, konfessionelle, regionale, sprachliche, geschlechtliche und sozial-ständische Zugehörigkeiten voneinander unterschieden. Oftmals wurden diese Gruppen in der Forschung voneinander getrennt untersucht. Ziel des CES ist es, die unterschiedlichen Historiographien zu den oben genannten Imperien in einen Dialog zu bringen und Forschungen zu Querschnittsthemen wie Macht, Hierarchisierung, Raum, Gender, Agency und Widerständigkeit vom 15. bis zum 21. Jahrhundert anzuregen.
2. Transimperialität:
Imperien agierten nie alleine und nie nur aus sich selbst heraus, selbst solche nicht, die sich, wie das Imperium Romanum oder das chinesische Kaiserreich auf dem Höhepunkt ihrer Macht, als einziges Universalreich begriffen. Auf der synchronen Ebene mussten sich die meisten Imperien mit anderen Imperien auseinandersetzen oder teilten Ideologien, Wissens- und Erfahrungsschätze mit ihnen. Auf der diachronen Ebene agierten die meisten Imperien in einer Welt, die bereits vor ihnen durch Imperien geprägt wurde und nach ihnen auch weiterhin imperial durchdrungen war. Sie konnten somit auf ältere imperiale Erfahrungen und Praktiken zurückgreifen, sie modifizieren und weitervererben. Sie vermochten es, an Strukturen vormaliger Imperien anzuknüpfen oder sich als deren Nachfolger zu imaginieren und bisweilen zu legitimieren. Eine transimperiale Signatur durchzieht die Weltgeschichte transepochal.
Durch die Expertise, die zu verschiedenen Imperien in Münster gegeben ist, sowie durch externe Kooperationen bietet sich sowohl die Möglichkeit für komparatistische Studien als auch für die Erforschung der transimperialen und transepochalen Dimension von Imperien. Transimperiale Zugriffe, also solche, die zwischen Imperien geteilte Wissens- und Erfahrungsbestände und entsprechende Praktiken in den Blick nehmen, stoßen international auf großes Interesse und sind zum Verständnis der Funktionsweisen und Interaktion von Imperien wesentlich. Während transimperiale Ansätze bisher vor allem synchron und verstärkt das späte 19./frühe 20. Jahrhundert behandelten, wird das Centrum Transimperialität dezidiert auch transepochal begreifen. Es wird also danach gefragt, wie sich imperiale Praktiken, Vorstelllungen und Wissensbestände in langer zeitlicher Dauer etablierten und stabilisierten, und wie sie zwischen verschiedenen Empires weitergegeben und tradiert wurden. Das öffnet zum Beispiel die Zusammenarbeit mit der Byzantinistik und die Einbeziehung von (auch indigenen) Imperien vor (oder auch in) der Neuzeit und bettet die von den meisten Mitgliedern erforschten neuzeitlichen Imperien in eine transepochale Kette imperialer Herrschaftspraktiken ein. Hierdurch werden einerseits Kontinuitäten des Imperialen sichtbar, die vor Epochengrenzen nicht Halt machten, während andererseits durch den ebenfalls beobachtbaren Wandel transimperialer Wissens- und Erfahrungsbestände in der longue durée die jeweiligen Spezifika des Imperialen in ihrer Zeit schärfer konturiert werden.
3. Mobilität und globale Verflechtung
Trotz des Hegemonieanspruchs und entsprechender Kontrollversuche der Metropolen waren Imperien oft in großem Maße von räumlicher (und teilweise auch sozialer) Mobilität geprägt, die sich sowohl innerhalb einzelner Imperien als auch zwischen solchen ausprägen konnte. Dies stellt ein weiteres, international wachsendes Forschungsfeld dar, dem sich das CES widmen möchte. Die imperiumsgeschichtliche Forschung am CES steht hier in enger Verbindung zur Erforschung globaler Transfer-, Verflechtungs- und Entflechtungsprozesse, wobei gerade der Vergleich zwischen verschiedenen Imperien Aufschluss über Modalitäten der Verflechtung und diesbezügliche Regulierungsversuche verspricht. Auf welche Weise haben Imperien versucht, Dominanzansprüche durchzusetzen und die Weitergabe von Informationen, Rohstoffen, Waren, Arbeitskräften, Kunst- und Kulturgütern etc. zum Nutzen der Metropole zu kanalisieren? Inwieweit haben Empires die Entwicklung transkontinentaler und globaler Beziehungen nachhaltig geprägt? Besonders im 20. Jahrhundert folgten auf den Zerfall der Imperien zum Teil große Migrationsbewegungen, die maßgeblich zum Entstehen multikultureller Gesellschaften in den ehemaligen Metropolen und Siedlungskolonien beigetragen haben. Zugleich wurden Migrations-, Grenz-, und Staatsbürgerschaftsregime etabliert, zum Teil bereits im imperialen Kontext und teils zu nationalen Bestimmungen in einem Spannungsverhältnis stehend, die bis heute wirksam sind.