Vermittlung christlichen Kulturerbes
Die im Jahr 2005 in Faro unterzeichnete Konvention des Europarates zum Kulturerbe definierte den Begriff Kulturerbe folgendermaßen:
„Kulturerbe setzt sich aus einer Reihe von Ressourcen zusammen, die aus der Vergangenheit ererbt wurden und welche die Menschen unabhängig von der Eigentumszuordnung als eine Widerspiegelung und einen Ausdruck ihrer beständig sich weiter entwickelnden Werte, Überzeugungen, ihres Wissens und ihrer Traditionen identifizieren. Es umfasst alle Aspekte der Umwelt, die aus der Interaktion zwischen Menschen und Orten im Laufe der Zeit hervorgehen.“
Die sehr offene Formulierung versteht Kulturerbe als Reflexion und Ausdruck von Werten und Überzeugungen, die aus der Interaktion zwischen Menschen und Orten durch die Zeit entstanden sind. Der Begriff Erbe betont dabei die Zusammengehörigkeit von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Die Erforschung materieller Kulturen spielt in der historischen, kulturwissenschaftlichen und religionswissenschaftlichen Forschung gegenwärtig eine große Rolle. Im Bereich der Theologie und speziell der kirchenhistorischen Forschung hat der material turn insgesamt noch wenig Einzug gehalten.
Für die Vermittlung des Kulturerbes hat sich das Konzept des Sharing Heritage etabliert, das Partizipation, also als eine aktive Teilnahme am kulturellen Erbe zum Ziel hat. Das noch in der Entwicklung befindliche Konzept des Sharing Heritage stellt alle Beteiligten vor große Herausforderungen. Während sich die Museen intensiv mit der Frage der Präsentation und Vermittlung des kulturellen Erbes und seiner religiösen Aspekte beschäftigen, ist dies an den weitaus zahlreicheren nicht musealen Orten christlichen Kulturerbes wie Kirchen, Denkmälern, Friedhöfen usw. kaum der Fall. Den Besucherinnen und Besuchern von Orten und Gebäuden christlichen Kulturerbes wird eine Teilhabe am materiellen Erbe vor Ort aufgrund von fehlenden Vermittlungskonzepten oft kaum ermöglicht. Dadurch kommt es zu erheblichen Unsicherheiten im Umgang mit christlichem Kulturerbe. Auch interkulturelles Lernen vor Ort wird dadurch sehr erschwert.
Um ein Sharing christlichen Kulturerbes zu ermöglichen, bedarf es zunächst einer Zusammenführung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Neben der kunsthistorischen und kulturwissenschaftlichen braucht es unbedingt die theologischen Perspektive, um religiöse Sinndeutungen zu erheben, für heute verständlich zu machen und in den interkulturellen und interreligiösen Dialog einbringen zu können. Der interdisziplinäre Blick auf das kulturelle Erbe mit dem Ziel, ein Sharing zu ermöglichen, eröffnet für alle beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen neue Forschungsperspektiven.
Für die Theologie bedeutet dies, historische Formen der Religiosität unter dem Aspekt ihrer anthropologischen und kulturellen Bedeutung zu erforschen. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, welche Aspekte der historischen Praxis sich in ggf. veränderter Form bis in die gegenwärtige Kultur erhalten haben. Für die Historische Theologie bedeutet dies wiederum, historische Formen der Religiosität nicht nur vertieft zu erforschen, sondern auch mit der kulturwissenschaftlichen und religionswissenschaftlichen Forschung in das Gespräch zu bringen.
Die Professur für Historische Theologie und ihre Didaktik an der Katholisch Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster legt dementsprechend in Forschung und Lehre einen Schwerpunkt auf die digitale Erfassung und Vermittlung des christlichen Kulturerbes vor allem im Münsterland. Hierzu trägt sie die Arbeitsstelle für Christliche Bildtheorie, Theologische Ästhetik und Bilddidaktik und kooperiert mit verschiedenen anderen Einrichtungen wie z.B. dem Bibelmuseum der Universität Münster.