Studientag: Theologie ohne Antisemitismus?
Wie kann eine Theologie gestaltet werden, die keinerlei antijüdische und antisemitische Züge besitzt? Im Mittelpunkt des Studientages der Katholisch-Theologischen Fakultät am 29. Oktober 2024 stand die Frage, wie antijüdische und antisemitische Denkmuster in allen Bereichen der Theologie wirksam vermieden, bekämpft und theologisch positiv überwunden werden können. Über 120 Mitglieder der Fakultät trafen sich in der Aula des Schlosses, um gemeinsam nach Denkformen und Möglichkeiten für eine positive theologische Bestimmung des Verhältnisses zum Judentum und dessen konsequente Umsetzung zu suchen.
Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 mehren sich die antisemitischen Vorfälle in Deutschland und auch an der Universität Münster. Dekan Prof. Dr. Oliver Dyma und Franziska Kolodziej, Leiterin des Vorbereitungsteams, betonen die Dringlichkeit, sich mit Antisemitismus auseinanderzusetzen und die Verwurzelung von antisemitischen und antijüdischen Auffassungen in der Theologie kritisch zu reflektieren. Am Beispiel der figürlichen Darstellung der Synagoga (siehe Plakat), die am sogenannten Johannisportal an der St. Lamberti-Kirche in Münster zu sehen ist, verdeutlicht Kolodziej die jahrhundertelange Abwertung des Judentums von christlicher Seite.
Unter dem Titel „,Nie wieder ist jetzt‘! oder Gerechtigkeit, Frieden und Freiheit als Maßstab für religionspädagogische Präventionsarbeit gegen Judenfeindlichkeit“ setzte Dr. Bettina Reichmann (Universität Koblenz-Landau / Pädagogische Hochschule Schwäbisch Gmünd) die Menschenrechte in das Zentrum religionspädagogischer und -didaktischer Überlegungen. Menschenrechtsorientierung könne als leitendes Prinzip in der Religionspädagogik gelten, um Antisemitismusprävention in religiöser Bildung zu verankern. Reichmann forderte dazu auf, die Würde des Menschen als Perspektive für den hermeneutischen Umgang mit Texten wahrzunehmen.
Prof. Dr. Lutz Doering (Universität Münster) stellte sich in seinem Vortrag mit dem Titel „,Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!‘ (Röm 15,10). Chancen und Probleme einer ,völkerchristlichen‘ Lektüre des Neuen Testaments“ der Frage, wie dem „anti-jewish baggage“ in neutestamentlichen Texten begegnet werden kann. Doerings Ansatz lag in der Differenzierung zwischen Judenchristen und Völkerchristen, um problembewusst mit biblischer Lektüre wie beispielsweise paulinischen Texten, dem Matthäusevangelium oder dem 1. Petrusbrief umgehen und arbeiten zu können.
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Auf dem Podium der ersten Diskussionsrunde saßen neben den Referent:innen des Studientages Joël Ben-Yehoshua, Dr. Jonas Erulo, Therese Hansberger und Prof. Dr. Mouhanad Khorchide. Unter der Moderation von Ludger Hiepel diskutierten die Teilnehmer:innen über die vorherigen Vorträge und zeigten aus der Sicht verschiedener Fachdisziplinen auf, wo antisemitische Denkmuster in der Theologie vorhanden sind. Besonders wichtig sei es, diese nicht nur theoretisch zu verstehen und aufzudecken, sondern dieses Wissen auch in die eigene Haltung zu implementieren und gelebte Praxis werden zu lassen.
Nach einem gemeinsamen Mittagessen eröffnete Prof. Dr. René Dausner (Universität Hildesheim / Leibniz Universität Hannover) den Nachmittag mit einem explorativen Vortrag über „Judenhass und Gottesliebe. Antisemitismuskritik als Herausforderung der Theologie“. Dausner problematisierte den Brief an die Christ:innen in Nahost, den Papst Franziskus ein Jahr nach dem 7. Oktober 2023 verfasst hatte, und diskutierte daran anknüpfend die Frage: „Gäbe es weniger Antisemitismus ohne Theologie?“ Mit Verweis auf Michel Friedman hielt er fest, dass die ehrliche und konstruktive Auseinandersetzung mit antisemitischen Denkmustern in der Theologie schmerzhaft sein müsse. Nach Dausner müsse eine „Theologie von morgen“ mit dem Anspruch, als Theologie ohne Antisemitismus zu bestehen, eine Differenztheologie sein.
In der abschließenden zweiten Podiumsdiskussion fragte Simon Spratte aktive und ehemalige Studierende nach ihrer Wahrnehmung des gegenwärtigen Theologiestudiums an der Katholisch-Theologischen Fakultät im Hinblick auf Antisemitismus und Antijudaismus. Als Vorschlag für die Einbindung von Antisemitismusprävention in Studium und Lehre wurde vor allem das Interesse an der Ausbildung von Reflexions- und Sprachfähigkeit geäußert. Mit Blick auf den Hüffercampus sei eine enge Vernetzung in der Lehre wünschenswert, um gemeinsam über aktuelle Diskurse ins Gespräch zu kommen.