© Clemens Leonhard

Das Aschenkreuz

Das Aschenkreuz am Aschermittwoch gibt es noch, weil es umgedeutet wurde. Wer sich heute im katholischen Gottesdienst ein Kreuz mit Asche auf die Stirne zeichnen lässt, nimmt einen sehr allgemeinen Aufruf zum Nachdenken und Umdenken an, zum Beispiel: „Bekehrt euch und glaubt an das Evangelium.“ (Markusevangelium 1,15). Seit seiner Einführung hat sich einiges geändert. Das Aschenkreuz wäre längst verschwunden, wenn es nicht vor mehr als einem Jahrtausend eine neue Bedeutung bekommen hätte. Jene Bedeutung ist mittlerweile auch schon wieder vergessen.

In der späten Antike und im Frühmittelalter konnten sich Menschen, die ein besonders schweres Vergehen begangen hatten, (einmal im Leben) einem kirchenöffentlichen Bußverfahren anschließen. Sie legten am Aschermittwoch im Rahmen des Gottesdienstes ein Bußgewand an und wurden mit Asche bestreut. Darauf verließen sie das Kirchengebäude. Während der Fastenzeit lebten sie in strenger Enthaltsamkeit. Am Gründonnerstag wurden sie feierlich mit einer Handauflegung wieder in der Kirche begrüßt und konnten mit allen anderen Christinnen und Christen Ostern feiern. Im Lauf des Mittelalters verschwand diese Form des öffentlichen Umgangs mit solchen Vergehen. Andere Formen des Gottesdienstes traten an ihre Stelle. Daraus entstand die persönliche und grundsätzlich nicht-öffentliche Beichte.

Warum ist der Brauch des Bestreuens mit Asche oder des Aschenkreuzes auf der Stirn nicht zusammen mit der öffentlichen, auf wenige Personen beschränkten, Buße verschwunden? Die Gottesdienste in der Fastenzeit wurden mit den Themen des Umdenkens und der Buße verbunden. Irgendwie betrafen solche Themen immer schon alle Christinnen und Christen. Wenn es schon alle anging, konnten sie auch das dazugehörige, für ihre Zeit anschauliche Zeichen des Bestreuens mit Asche übernehmen.

Wahrscheinlich war aber ein weiterer Grund für die Verbreitung des Brauchs wichtig. Zu den Gebeten, die im Gottesdienst über die Asche gesprochen wurden, berichtet der Gelehrte Adolf Franz: „All denen, welche sich mit Asche bestreuen lassen, soll die Asche kraft des Gebetes ‚zur Gesundheit des Leibes und zum Schutze der Seele‘ gereichen …“. Eine solche Wirkung des Aschenkreuzes ist nicht nur für die Büßerinnen und Büßer, sondern für alle erstrebenswert. Der Grund dafür, dass es erhalten blieb, ist heute weggefallen. Niemand nimmt an, dass es vor Krankheit schützt.

Heute ist das Bestreuen mit Asche oder gar ein Kreuzzeichen für Insider ein bedeutungsvolles Zeichen. Die Bedeutung lässt sich erklären. „Asche auf mein Haupt“ hilft, mit einer Redewendung eine Handlung mit Bedeutung zu verbinden. Dass sie eine schützende Wirkung hat, nimmt niemand mehr an. Das Aschenkreuz hat eine Gegenwart und eine Zukunft, wenn es seine Bedeutung erhält.

Übrigens war das Aschenkreuz im spätmittelalterlichen Kloster (dessen Kirchenraum das heutige Essener Münster ist), gegendert. Frauen erhielten ein Aschenkreuz. Männern wurde die Asche auf den Kopf gestreut. Vermutlich sollte die Asche die Menschen berühren. Frauen, besonders die Schwestern des Klosters, trugen in der Kirche Schleier. Ihnen konnte man die Asche nicht „aufs Haupt“ streuen. Das Zeichen musste also verändert werden.

Clemens Leonhard, 04.03.2025

Quellen:

Zitat:  Adolf Franz 1909. Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter. Band 1. Freiburg im Breisgau: Herder, 465.

Hinweise zum Text: Prof. Dr. Andreas Odenthal (Bonn).