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Frei wie ein Vogel?

Die Wandelbarkeit von Freiheitskonzepten als Beitrag zur MS Wissenschaft

von Lennart Pieper

Das Wissenschaftsjahr 2024 steht unter dem Motto „Freiheit“ und nimmt prominent auf den 75. Geburtstag des deutschen Grundgesetzes Bezug. Bereits hierin zeigt sich die enge Beziehung von Freiheit, Recht und Geschichte. Was Freiheit bedeutet, wer in ihren Genuss kommt und wo ihre Grenzen liegen, wird nicht zuletzt durch die geltende Rechtsordnung bestimmt. Das Grundgesetz etwa garantiert viele Freiheitsrechte wie die Freiheit der Person, der Meinung oder der Lehre. Freiheit kann in einem universellen Sinne für alle Menschen gelten oder bestimmte Gruppen ausschließen – die sich wiederum nicht selten des Mediums Recht bedienen, um Freiheit(en) für sich zu erstreiten. Mit welchem konkreten Inhalt Freiheit als „grundlegender Wert- und Zielbegriff“ (Werner Conze) gefüllt wird, ist das Ergebnis gesellschaftlicher Aushandlung oder politischer Kämpfe, wobei ganz unterschiedliche Vorstellungen aufeinandertreffen können. Manches davon wird am Ende in Gesetzesform gegossen. Freiheit steht also in komplexer Wechselwirkung mit dem geltenden Recht und unterliegt daher auch Veränderungen.

Die historische Wandelbarkeit von Rechtsordnungen wird am Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ an der Universität Münster fächerübergreifend erforscht. Es lag daher auf der Hand, dass wir uns dem Thema Freiheit aus einem (rechts-)historischen Blickwinkel nähern. Mit dem Wissensquiz „Freiheit im Wandel“ durften wir ein interaktives Exponat zur diesjährigen Ausstellung auf der MS Wissenschaft beisteuern, das sich aus den eingangs genannten Vorüberlegungen entwickelt hat. Die MS Wissenschaft fährt als „schwimmendes Science Center“ im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) jedes Jahr mit einer Ausstellung zum Thema des Wissenschaftsjahres durch Deutschland und Österreich. Auf diese Weise erreicht sie ein großes und vergleichsweise diverses Publikum. Die Exponate kommen von Forschungseinrichtungen und Instituten und ermöglichen so einen unmittelbaren Einblick in aktuelle Fragestellungen und Themen der Wissenschaft.

Besucherin der MS Wissenschaft vor der Medienstele mit dem Quiz
© Ilja C. Hendel/Wissenschaft im Dialog, CC BY-NC 4.0

Ein Quiz zur Geschichte der Freiheit

Dass Freiheit nicht nur ein Kernbegriff gegenwärtiger gesellschaftlicher und politischer Diskurse ist – auf der MS Wissenschaft 2024 von einer ganzen Reihe beeindruckender Exponate thematisiert –, sondern eben auch eine eigene Geschichte hat, lässt sich als Erkenntnisziel unseres Exponats formulieren. Mit dem von uns gewählten Quizformat soll an möglicherweise vorhandenes Vorwissen angeknüpft und durch das spielerische Element zur Auseinandersetzung mit historischen Themen angeregt werden. Nachdem sich die Spielerin oder der Spieler für eine von vier Antwortmöglichkeiten entschieden hat, erscheinen die richtige Lösung und eine optional anwählbare Erläuterung zum historischen Kontext. Nach fünf Fragen endet die Runde mit einer Auswertung des Spielerfolgs. Das Quiz schöpft nach dem Zufallsprinzip aus einem Pool von insgesamt 14 Fragen, was den Wiederspielwert erhöht.

Die Quizfragen beziehen sich im Wesentlichen auf die deutsche Geschichte seit dem Mittelalter. Dabei werden Freiheitsaspekte in ganz unterschiedlichen Kontexten thematisiert, etwa als Forderung nach Abschaffung der Leibeigenschaft im Bauernkrieg von 1525, als Protest gegen staatliche Willkür im Vormärz am Beispiel des Liedes „Die Gedanken sind frei“ oder in Form rechtlicher Fortschritte bei der Selbstbestimmung von Frauen seit den 1950er Jahren. Fragenübergreifend können so epochale Unterschiede deutlich werden: Eine allgemeine rechtliche Gleichstellung und Freiheit aller Bürger – zunächst wohlgemerkt nur der männlichen – kam als Vorstellung erst im Zuge der Aufklärung im 18. Jahrhundert auf. Zuvor war Freiheit in der vormodernen Ständegesellschaft an den sozialen Status der Person gebunden und unterlag feinen Abstufungen, wie etwa der zwischen unfreien, halbfreien und freien Bauern. Daneben existierten mannigfaltige „Freiheiten“ im Plural als ständische Vorrechte und Privilegien – man denke an die Steuerbefreiung des Adels. Die Alterität vormoderner Freiheitskonzepte scheint auch auf, wenn „Vogelfreiheit“ als fried- und rechtloser Status eines Geächteten thematisiert wird.

Beim Dialog an Deck diskutierten Prof. Dr. Ulrike Ludwig und Dr. Peter Worm mit dem Publikum über historische Freiheitskonzepte.
© KHK EViR

Über die Freiheit ins Gespräch kommen

Bei einem Meet-the-Scientist-Event während des Aufenthaltes der MS Wissenschaft in Münster hatten Dr. Benjamin Seebröker und Dr. Lennart Pieper die Gelegenheit, mit Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch zu kommen und einige Aspekte vertieft zu diskutieren. Die Resonanz auf das Quiz war durchweg positiv; zudem regten die Fragen viele Spielende dazu an, sich zu zweit oder in kleinen Gruppen vor dem Exponat stehend über das Thema auszutauschen.

Als weitere Begleitveranstaltung an Bord organisierte das Kolleg eine Diskussionsrunde zu Freiheitskonzepten in der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadt. Ausgehend vom bekannten Rechtssprichwort „Stadtluft macht frei“ diskutierte EViR-Direktorin und Frühneuzeithistorikerin Prof. Dr. Ulrike Ludwig mit dem Leiter des Stadtarchivs Münster Dr. Peter Worm über die Frage, welche Art von Freiheit die Stadt bieten konnte – zum Beispiel ihren Grundherren entflohenen Bauern, die sich „nach Jahr und Tag“ in der Stadt aus der Leibeigenschaft befreien konnten. Auch zeitlich beschränkte Freiheiten wie die Markt- oder Messefreiheit oder räumlich begrenzte Freiheiten wie geistliche Immunitäten („Domfreiheit“) mitten in der Stadt demonstrierte die Spannbreite und zugleich die Andersartigkeit vormoderner Freiheitskonzepte. Das Publikum zeigte großes Interesse und hatte zahlreiche Nachfragen, etwa wo die Landflüchtigen in der Stadt unterkamen (oft wohl als Untermieter bei Handwerkern), wie viel Schutz die Stadt wirklich bieten konnte (viel, denn im Gegensatz zum Land galt sie als Friedensraum) und wann diese Rechtsordnung an ihr Ende kam (spätestens im 19. Jahrhundert, als die Städte Teil der entstehenden Nationalstaaten mit einheitlicher Rechtsordnung wurden).

Der Blick in die Geschichte kann uns also ein Gefühl für die Historizität und Wandelbarkeit selbst eines auf den ersten Blick zeitlos erscheinenden Begriffs wie Freiheit vermitteln. Aus dieser Einsicht lässt sich folgern, dass sich auch das Freiheitsverständnis der Gegenwart, das wir im Wissenschaftsjahr 2024 so intensiv diskutieren, weiter verändern wird. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir auch in Zukunft Debatten über Freiheit und ihre Grenzen führen. Zugleich macht die historisierende Perspektive deutlich, dass die Freiheit, wie wir sie im modernen Rechtsstaat kennen, keine Selbstverständlichkeit ist. Wir sind also gut beraten, unsere freiheitliche demokratische Grundordnung – auch mit den Mitteln des Rechts – gegen Angriffe zu verteidigen.

 

Hintergrund

Die MS Wissenschaft mit der Ausstellung zum Thema Freiheit fuhr vom 14. Mai bis 3. Oktober durch Deutschland und Österreich. Im kommenden Jahr wird sich alles um das Thema Zukunftsenergien drehen. Mehr Infos dazu auf der Webseite der MS Wissenschaft

Das Quiz findet sich hier und lädt zum Mitraten ein.

© khk / Heiner Witte

Über den Autor

Dr. Lennart Pieper ist Historiker und Referent für Wissenschaftskommunikation am Käte Hamburger Kolleg.

Zitieren als:

Pieper, Lennart, Frei wie ein Vogel? Die Wandelbarkeit von Freiheitskonzepten als Beitrag zur MS Wissenschaft, EViR Blog, 02.10.2024, https://www.uni-muenster.de/EViR/transfer/blog/2024/20241002freiheitmswissenschaft.html.

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