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Interview

„Eine Zeit von großer Bedeutung für die Staatsbildung“

Interview mit Mia Korpiola über die Rechtsreformen unter den Wasa-Königen

Prof. Dr. Mia Korpiola
© khk

Die Rechtshistorikerin Mia Korpiola hat am Käte Hamburger Kolleg eine turbulente Phase der schwedischen Geschichte erforscht, die 1520 mit einem Blutbad beginnt und schließlich in den Dreißigjährigen Krieg mündet. Dazwischen vollziehen sich Aufstieg und Blüte der Wasa-Dynastie, Newcomern in der europäischen Fürstengesellschaft, die zur Absicherung ihrer neu errungenen Macht tief in die rechtlichen und gesellschaftlichen Strukturen des Landes eingriffen. Wenig bekannt sein dürfte hierzulande, dass dabei das Heilige Römische Reich eine wichtige Vorbildfunktion einnahm. Im Interview erklärt Korpiola, warum die Wasa gerade auf das Recht der deutschen Länder und des Reiches zurückgriffen, welche Schritte in Richtung einer stärkeren Rechtsvereinheitlichung sie vollzogen, um warum dies am Ende allenfalls teilweise gelingen konnte.

Frau Professor Korpiola, Sie untersuchen die Rezeption des ius commune und des ausländischen Rechts im frühneuzeitlichen Schweden. Warum erschien es Ihnen sinnvoll, Ihre Forschung am Käte Hamburger Kolleg in Münster zu vertiefen?

Der erste naheliegende Grund war, dass wir – mein Mann Heikki Pihlajamäki und ich – von Peter Oestmann davon erfahren haben. Wir hatten vor über zehn Jahren an einer Konferenz in Münster teilgenommen, die er organisiert hatte. Er kam auch nach Finnland und sprach über diese Möglichkeit, wohlwissend, dass unsere Forschungsthemen zum Kolleg passen würden. Es kommt nicht oft vor, dass sich eine Gelegenheit bietet, bei der sich beide als Forschende bewerben können und nicht nur eine Person eine Stelle hat, während die andere nur ein Anhängsel ist und zu Hause bleibt.

Zudem habe ich auch schon Erfahrungen mit interdisziplinären Instituten wie dem Helsinki Collegium for Advanced Studies gemacht und finde das sehr anregend. Als Rechtshistorikerin muss ich so viele Themen unterrichten und ein bisschen Generalistin sein. Ich denke, dass es sehr nützlich ist, sich von verschiedenen Themen inspirieren zu lassen, die einen allgemeinen Überblick über die Entwicklung der Rechtsgeschichte in Europa geben. Ich habe hier wirklich sehr viel profitiert. Schließlich ist es großartig, dass ich mich auf meine Forschung konzentrieren kann und sich eine andere Person um das Alltagsgeschäft an der Universität kümmert. Tatsächlich ist das Kolleg eine Oase für mich.

Ihr Projekt umfasst den Zeitraum von 1520 bis 1620. Was geschah in dieser Zeit in Schweden?

Es war eine sehr turbulente Zeit, denn Schweden war seit dem späten 14. Jahrhundert Teil der sogenannten Kalmarer Union, die im Grunde eine Personalunion der Königreiche Dänemark, Norwegen und Schweden unter einem Herrscher, dem dänischen König, war. Turbulent insofern, als das politische Leben Schwedens in zwei Fraktionen gespalten war, die Pro-Union-Partei, die die dänische Herrschaft befürwortete, und die Partei der Gegner, die ihre Angelegenheiten lieber selbst regeln wollten. Es hatte bereits Jahrzehnte der Unruhe und Rivalität zwischen den Parteien gegeben, aber dann wurde Christian II. von Dänemark 1520 in Stockholm gekrönt. Am dritten Tag nach seiner Krönung begann er das sogenannte Stockholmer Blutbad, bei dem etwa 80 Menschen hingerichtet wurden. Dies war der Anfang vom Ende der Kalmarer Union, die schließlich König Gustav Wasa auf den Thron brachte.

Die Familie Wasa war eine von vielen aristokratischen Familien; Gustav Wasas Vater und sein Schwager wurden bei dem Blutbad hingerichtet. Er selbst jedoch entkam und wurde zum Anführer der anti-dänischen oder anti-unionistischen Partei, und nach einigen Kämpfen gelang es ihnen, die Macht zu übernehmen und die Kräfte des Unionskönigs zu verdrängen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Gustav Wasa zur Galionsfigur und später zum König der neuen schwedischen Wasa-Dynastie.

Zur gleichen Zeit begann Martin Luther in Deutschland mit seiner Reformation, und Schweden wurde 1527 das erste Reich außerhalb der deutschen Länder, das die lutherischen Glaubensgrundsätze annahm. Auf dem Reichstag von Västerås begann der König mit der Verabschiedung von Gesetzen, die die Macht der Kirche einschränkten und ihr ihre Reichtümer entzogen, während sich die Lehre nur langsam festigte.

König Gustav Wasa reformierte während seiner Regentschaft (1523-1560) die schwedische Verwaltung grundlegend.
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Wir sehen also den Aufstieg einer neuen Dynastie und die Etablierung eines neuen Glaubens. Was bedeutete dies für die Entwicklung des Rechts?

Grundsätzlich blieben die mittelalterlichen Gesetze in Kraft. Aber natürlich bedeuteten ein im Lande ansässiger König und eine neue Dynastie, dass die Regierungsgeschäfte stärker in die Hand genommen wurden. Die Dynastie war arm, und Schweden hatte keine eigene Staatskasse, da das gesamte Geld nach Dänemark geflossen war. Gustav Wasa musste also woanders Geld auftreiben, und die Kirche bot eine Möglichkeit. Die gesamte Steuerverwaltung musste reformiert werden. So schaute Gustav Wasa zum Beispiel allen königlichen Vögten, die Steuergelder aus den Provinzen eintrieben, streng auf die Finger. Er musste die schwedische königliche Verwaltung mehr oder weniger von Grund auf neu aufbauen.

Würden Sie sagen, dass die Neuerungen in Recht und Verwaltung auf dem Wunsch des Königs beruhten, seine neu erworbene Position zu sichern?

Nun, die Reform begann eigentlich mit Statuten. Es gab ein paar mittelalterliche Statuten und Verordnungen, aber das ganze Konzept der „policey“ taucht in dieser Zeit erstmalig auf. Die deutsche Reichsgesetzgebung beeinflusste die schwedische Gesetzgebung zu dieser Zeit in gewissem Maße. Ich glaube beispielsweise, eine Verbindung entdeckt zu haben zwischen den schwedischen Bedenken, einen Eid zu schwören, und dem, was in Deutschland in den Reichsordnungen geschah, hatte aber bislang noch nicht genug Zeit, diese näher zu erforschen.

Ein weiterer Aspekt, der für König Gustav Wasa sehr dringend war, war die Tatsache, dass es ihm an kompetentem Personal in der Zentralverwaltung fehlte. Er brauchte Leute, die anständige Briefe sowohl an schwedische als auch an dänische Empfänger schreiben konnten. Außerdem richtete er auch eine deutsche Kanzlei ein, weil er sich um den gesamten diplomatischen Schriftverkehr mit den deutschen Fürsten kümmern musste. Und er brauchte Leute, die sich mit kontinentalem Recht auskannten. Es dauerte sehr lange, bis er an den diplomatischen Tischen ernst genommen wurde. In Deutschland zum Beispiel hatten die Hansestädte bereits im fünfzehnten Jahrhundert gelehrte Juristen. Gustav Wasa versuchte also, Doktoren der Rechtswissenschaften für seinen diplomatischen Dienst zu rekrutieren, weil es ihm an solchen Fachleuten mangelte, was ihn in Verhandlungen mit der Hanse zum Unterlegenen machte.

Das große Problem war, dass Schweden zu dieser Zeit keine funktionsfähige Universität hatte. Die Universität von Uppsala war in den 1470er Jahren gegründet worden, hatte aber nur sehr wenig Rechtswissenschaften gelehrt und ihre Arbeit bald ganz eingestellt. Im Grunde mussten also während des gesamten 16. Jahrhunderts alle, die Jura an einer Universität studieren wollten, nach Deutschland gehen.

Und diese gelehrten Juristen brachten dann das deutsche Recht nach Schweden?

Ja. Es gab die sogenannte deutsche Periode von Gustav Wasa, als er einen Kanzler aus Frankfurt am Main, Conrad von Pyhy, bestallt hatte, der deutsche Einflüsse in das schwedische Rechtssystem brachte. Die reformierten und lutherischen Kirchenordnungen dienten zum Beispiel als Vorbild für die schwedischen Kirchenordnungen, die Reichsordnungen für einige schwedische Gesetze.

Eine weitere Übernahme aus Deutschland waren die sogenannten Hausgesetze. Gustav Wasa hatte das schwedische Wahlkönigtum in eine Erbmonarchie umgewandelt, was natürlich eine große Veränderung bedeutete. Die Zukunft seiner Söhne und Töchter wurde in einem Paket von Gesetzen geregelt, die ihre Stellung festlegten. Er lernte diese Prinzipien durch seine erste Frau, Katharina von Sachsen-Lauenburg, kennen, mit deren Familie er einen Ehevertrag aushandeln musste. So etwas gab es bis dahin in Schweden nicht.

Wir haben also eine Art Rechtstransfer von Deutschland nach Schweden. Würden Sie diesen Prozess als eine Vereinheitlichung oder Standardisierung des Rechts bezeichnen?

Nein, denn zur gleichen Zeit expandierte Schweden auch nach Übersee. Als zum Beispiel Iwan der Schreckliche einen Krieg gegen Livland begann, wandte sich der estnische Adel an Schweden, um Unterstützung gegen den Zaren zu erhalten. Ich glaube, es war in den 1560er Jahren, als der estnische Adel der schwedischen Krone den Treueeid leistete. Damit begann Schweden seine territoriale Expansion, die sich bis nach Livland und im Dreißigjährigen Krieg auch in die deutschen Gebiete fortsetzte. Dadurch kam Schweden mit völlig anderen Rechtskulturen in Berührung.

Dies war zudem der Beginn gewisser Tendenzen hin zum Feudalismus. Im Grunde genommen basierte der schwedische Adel auf dem Dienstprinzip. Jeder, der ein Pferd und einen Reiter für den Krieg ausrüsten konnte, konnte Steuerfreiheit und einen adeligen Status erwerben. Doch dann, in den 1560er Jahren, wurden erbliche Baronien und Grafschaften eingeführt. Viele deutsche, aber auch estnische und livländische Adlige traten nun in den Dienst des Königs, und erwarteten, dass alles so bleiben würde, wie sie es gewohnt waren. Aber selbst als das System vielfältiger wurde, wollte die Krone alle Fäden in der Hand behalten und hatte bestimmte Methoden, um Einheit zu schaffen.

"Der Buchdruck war ein Mittel, um mehr Einheitlichkeit zu schaffen und das Land zu harmonisieren."

Welche Methoden waren das?

Nun, wie bereits erwähnt, gab es die mittelalterlichen Gesetze seit Mitte des 14. Jahrhunderts, die Gesetze des Königs Magnus Erikson, eines für das Land und eines für die Städte. Es gab jedoch verschiedene Versionen, so wurde das Gesetz für das Land beispielsweise im Jahr 1442 reformiert. Beide Fassungen wurden gleichzeitig verwendet; zudem wurden sie aus Handschriften kopiert und es gab keine einheitliche Vorlage oder verbindliche Urschrift. Während der Wasa-Periode begann die königliche Kanzlei, die Fassung von 1442 zu verbreiten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts fing König Karl IX. außerdem an, das mittelalterliche Recht zu reformieren und zu modernisieren, ein Versuch, der aus politischen Gründen scheiterte. In der Zeit ließ der König das Gesetz erstmalig drucken, was anschließend zur einzig gültigen Version wurde, die alle verwenden sollten. Zu dieser Zeit war ein Richter in der Regel ein Adliger ohne Universitätsausbildung, der von einer Gruppe bäuerlicher Geschworener flankiert wurde. Alles, was ihnen zur Verfügung stand, war das Gesetzbuch. Der Buchdruck war also ein Mittel, um mehr Einheitlichkeit zu schaffen und das Land zu harmonisieren.

Gedruckte Gesetzbücher wie das Stadtrecht von 1638 sorgten für Rechtsvereinheitlichung.
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Hinzu kommt, dass die Rechtspraxis variierte, nicht nur wegen der unterschiedlichen Gesetzesbücher, sondern auch, weil die örtlichen Gerichte das Recht hatten zu schlichten und besondere Umstände zu berücksichtigen. Aber auch das änderte sich unter Gustav II. Adolf, als dieser 1614 das erste königliche Appellationsgericht in Stockholm einrichtete, welches alle anderen Gerichte überwachte. Dies war das Svea hovrätt, ein Appellationsgericht, das zu einer ständigen Einrichtung wurde.

In schwierigen Fällen wandte sich das Appellationsgericht an den König, der in allen Rechtsangelegenheiten die oberste Instanz war. Da es zum Beispiel kein Gesetz gegen Sodomie gab, wurde der König gefragt, wie mit solchen Fällen umgegangen werden sollte. Und der König war es auch, der Ende des 17. Jahrhunderts sämtliche anderen Sprachen außer Schwedisch am Hof verbot. Wir sehen also, wie sich eine gewissermaßen proto-nationalistische Rechtsidentität herausbildet, die sich von anderen Kulturen unterscheidet.

Das führt mich zu meiner letzten Frage: Worin liegt Ihrer Ansicht nach die Bedeutung dieses Zeitraums vom frühen 16. bis zum 17. Jahrhundert? Würden Sie sagen, dass der schwedische Staat in dieser Zeit geboren wurde?

Ich denke, es war eine Zeit von großer Bedeutung für die Staatsbildung. Die Dynastie musste irgendwoher Geld bekommen, weshalb sie das gesamte Regierungs- und Verwaltungssystem reformieren musste. Sie wollte ein modernes, funktionstüchtiges System und suchte nach deutschen Vorbildern. Sie wollte Beamte, die an ausländischen Gerichten und Kanzleien ausgebildet worden waren und sich mit dem System auskannten. Das Gleiche gilt für das Militär, das stark von ausländischer Expertise abhängig war. Es war ein notwendiger, aber bewusster Prozess. Schweden war durch die Kriege verarmt. Daher war auch die Einrichtung des Appellationsgerichts Svea hovrätt eine Kriegsnotwendigkeit. Der König richtete es ein, um all die langweiligen juristischen Angelegenheiten zu regeln, während er auf der anderen Seite des Meeres dem Mars diente. Der Krieg trug also dazu bei, den frühneuzeitlichen schwedischen Staat zu erschaffen, der moderner wurde als beispielsweise der dänische Staat, dem ein ähnlicher Anreiz fehlte.

Die Fragen stellte Lennart Pieper.

Über die Autorin

Prof. Dr. Mia Korpiola ist Professorin für Rechtsgeschichte an der Universität Turku. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der schwedischen und finnischen Rechtsgeschichte vom Mittelalter bis in die Jetztzeit, vor allem auf der Geschichte des Familienrechts sowie der Rezeption des gelehrten Rechts in Schweden. 2022 war sie Fellow des Käte Hamburger Kollegs "Einheit und Vielfalt im Recht".