„Fünf Fragen und ein Cafézinho“ mit Pedro Júlio Sales D'Araujo

PhD Forschungsaufenthalt an der UM bei Prof. Dr. Fabian Wittreck
© pedro sales

1. Brasilien-Zentrum: Wie hat der Forschungsaufenthalt an der Universität Münster zu deiner Forschung, deinem wissenschaftlichen Werdegang und/oder deiner beruflichen Karriere beigetragen?

Pedro: Mein Aufenthalt an der Universität Münster (UM) war Teil eines Forschungsaufenthalts für Doktorand*innen. Ich promovierte an der juristischen Fakultät der USP bei Prof. Dr. José Maria und erhielt die Möglichkeit, einen Teil meiner Forschung im Team von Professor Fabian Wittreck vom Institut für Öffentliches Recht an der UM durchzuführen. Der Beitrag, den dieser Aufenthalt für meine Forschung hatte, war grundlegend. Auch wenn in einem kurzen Zeitraum von nur drei Monaten, war der Fortschritt in Bezug auf die Qualität und die Verfeinerung der bibliographischen Recherche und der Forschungshypothesen fundamental. Das Team von Prof. Fabian Wittreck war sehr aufmerksam, ich habe mich immer mit allen Forschenden des Teams ausgetauscht und hatte auch die Möglichkeit, Professor Wittreck einen Aufsatz zu präsentieren, den ich mir erlaubt hatte, ins Englische zu übersetzen. Wir hatten dann einen ausführlichen, fast zweistündigen Dialog, das war schon phänomenal. Der Professor hat sich während meines Aufenthalts sehr um mich gekümmert. Ich hatte auch die Gelegenheit, mit Prof. Dr. Englisch vom Institut für Steuerrecht zu sprechen und ihm diesen Aufsatz zu überreichen. Beide Professoren leisteten sehr wertvolle Beiträge zum Fortschritt der Forschung. Es gab Fragen, die mich belasteten, und die Professoren haben mit ihrer Erfahrung einen Weg aufgezeigt, diese Schwierigkeiten zu beseitigen, was großartig war.

Außerdem ist die Bibliothek der Universität Münster fantastisch, so dass ich Zugang zu vielen Werken hatte, die ich nur in Münster finden konnte. Die Tatsache, dass die UM in ein internationales Forschungsnetzwerk eingebunden ist, erlaubte mir auch den Zugang zu mehreren Zeitschriften, die es mir ermöglichten, meine Bibliographie zu verfeinern. Mein Aufenthalt an der UM gab mir die Möglichkeit , Kontakte zu Prof. Paulo Mourão von der Universität Minho in Portugal zu knüpfen und zu vertiefen, der mir bei meiner Forschung im rechtlichen Bereich sehr geholfen hat, obwohl er aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften kommt. Da er eine Autorität auf dem Gebiet ist, das ich erforschte, d.h. das Thema der Steuerillusion. Auf die Artikel und Arbeiten von Prof. Paulo wird immer wieder in allen Werken verwiesen, die sich mit dem Thema der steuerlichen Täuschung befassen, das mein Forschungsgegenstand war, wenn auch unter einer juristischen Perspektive.

So hatte ich nach meinem Aufenthalt an der UM die Gelegenheit, an der Universität von Minho eine Masterklasse zu leiten und zusammen mit Prof. Paulo und Ana Araújo eine Arbeit über Steuerillusion in Portugal zu schreiben. Das war sensationell, denn Prof. Paulo Mourão war letztes Jahr in der Prüfungskommission meiner Disputation. Zu ihm habe ich immer noch Kontakt, genauso wie ich immer noch Kontakt zu allen Forschenden in Münster pflege. In akademischer Hinsicht war mein Aufenthalt an der Universität ebenso bemerkenswert - auch in beruflicher Hinsicht. Die Tatsache, dass ich diesen Forschungsaufenthalt in Münster absolvierte, ermöglichte mir den Dialog mit vielen Akademiker*innen und Fachexperten sowohl in Brasilien als auch im Ausland. Und meine heutige Position als Berater eines Ministers des Obersten Gerichtshofs* hat es mir auch ermöglicht, an einem Kooperationsprojekt zwischen der Universität Münster und dem Obersten Gerichtshof mitzuwirken. Auch in akademischer bzw. beruflicher Hinsicht war der Kontakt, den ich mit der Universität und ihren Forschenden hatte, einzigartig und wesentlich für die Entfaltung des Forschers, der ich heute bin. Ich bin sehr dankbar für den Aufenthalt, der trotz des kurzen Zeitraums sehr bemerkenswert und fruchtbar war.

*Stelle von Pedro Araújo zum Zeitpunkt des Interviews, das im März 2022 geführt wurde.

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2. Brasilien-Zentrum: Hattest Du während Ihres Forschungsaufenthalts in Münster irgendwelche Schwierigkeiten?

Pedro: Jeder Aufenthalt hat seine Schwierigkeiten. Ich war nicht in meinem Heimatland und ich war nicht an das Klima gewöhnt. Ich lebe in Brasília und die niedrigsten Temperaturen hier waren für mich oft weit entfernt von den niedrigsten Temperaturen, die ich in Münster erlebte. Für jemanden, der nicht an die Kälte gewöhnt war, war dies eine, ich würde nicht sagen schwierige, aber eine neue und bemerkenswerte Erfahrung. Ein weiterer Punkt ist die Sprache, ich spreche leider kein Deutsch, aber das hat meinen Aufenthalt an der Universität, in der Stadt und im Land insgesamt in keiner Weise behindert. Die Leute waren mir gegenüber immer aufgeschlossen, ich habe Gespräche damit begonnen, dass ich kein Deutsch spreche, und alle haben es gelassen hingenommen und gesagt, dass man sich problemlos auf Englisch verständigen kann. Die Sprachbarriere stellte also keine Schwierigkeit dar. Ich hatte ein wenig Probleme, mich an die Routine des Instituts zu gewöhnen, vor allem während der Wintermonate. Das war kein wirkliches Problem, alle waren sehr aufmerksam und haben mir immer geholfen, meinen Aufenthalt an der Universität so gut wie möglich zu gestalten: Sie zeigten mir, wie das Kopiergerät funktioniert, wie man scannt, wie man auf "Disco" (Bücher Datenbank der Zentralbibliothek) zugreift, wie man recherchiert, und sie nahmen sich sogar die Freiheit, einige Texte aus dem Deutschen ins Englische zu übersetzen, die mir bei meinen Recherchen helfen würden, damit ich diese lesen konnte. Es ist daher problematisch, von Schwierigkeiten zu sprechen, wenn so viele Menschen bereit sind zu helfen. Wie man auf gutes Portugiesisch sagen würde "Ich habe kein ‚perrengue‘ erlebt", alles war perfekt.

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3. Brasilien-Zentrum: Wie hat sich der UM-Aufenthalt auf dein persönliches Leben ausgewirkt?

Pedro: Ich hatte mehrere Freunde in Münster. Eigentlich ist es falsch zu sagen "hatte", denn ich habe mehrere Freunde in Münster. Ich habe mit mehreren Personen aus der Fakultät Kontakt aufgenommen, auch mit anderen PhDs und Forschenden aus Brasilien, die nach Münster kamen. Die Dame, die mich in ihrer Wohnung empfing, ist bis heute eine persönliche Freundin. Wir tauschen Nachrichten aus und führen bis heute Videotelefonate. Wir gratulieren uns gegenseitig zu unseren Geburtstagen. Meine Frau hatte die Gelegenheit, mit uns über Weihnachten nach Münster zu fahren, und es war fantastisch. Sie wurde von allen sehr gut aufgenommen, es war super. Was die persönlichen Freundschaften angeht, so habe ich viele Freunde gefunden, die sicher noch lange Zeit Freunde bleiben werden. Ich war zwischen 2019 und 2020 in Münster und habe immer noch Kontakt zu einigen Leuten aus der Stadt und zu einigen Leuten, die dort waren.

Persönlich glaube ich, dass diese internationale Erfahrung in einem anderen Land mit einer anderen Sprache mir eine noch nie dagewesene Reifung ermöglicht hat. Es war etwas Fantastisches für mich. Ich glaube, ich bin als Forscher, als Fachmann, aber auch als Mensch sehr gewachsen. Es gibt einen Teil dieser Erfahrung, der gleichzeitig so nah an unserer (in Brasilien) ist, aber auch so fern. Das ist etwas, das sich nur sehr schwer in Worte fassen lässt. Wenn man als Brasilianer nach Deutschland kommt, hat man manchmal eine stereotypische Sichtweise, und wenn man dann dort ist, merkt man, dass sie uns in einigen Fragen sehr ähnlich sind und gleichzeitig in anderen ganz anders. Das ist etwas sehr Cooles.

Ich glaube, dass ich reifer geworden bin, weil ich auch einen sehr introspektiven Moment hatte, denn akademische Forschung ist auch ein Moment der Introspektion. Wenn man promoviert, ist der Dialog, der immer wichtig für die Bildung von Erkenntnissen ist, auch ein Moment, in dem der Forschende viel nachdenkt, und die Tatsache, dass man sich in einer Realität befindet, die völlig losgelöst von seinem täglichen Leben ist, ermöglicht dieses Nachdenken. Ich denke, dass ich aus meinem Forschungsaufenthalt viel reifer hervorgegangen bin als zu Beginn. Auch in persönlicher Hinsicht waren es, obwohl es sich leider nur um eine kurze Zeitspanne handelte, bemerkenswerte drei Monate, die das Gewicht und den Wert eines ganzen Lebensjahrzehnts hatten. Es war eine fantastische Erfahrung.

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4. Brasilien-Zentrum: Heißt das, du würdest diese Erfahrung anderen Menschen empfehlen?

Pedro: Auf jeden Fall! Ich würde es nicht nur weiterempfehlen, sondern habe es auch mehreren Freunden empfohlen. Ich war nicht der erste Forscher, den Prof. José Maria auf die Möglichkeit hingewiesen hat, in Münster zu forschen. Ein Vorgänger von mir, mein Freund Leonardo Branco, war in Münster und hatte mir bereits gesagt, dass die Erfahrung fantastisch sein würde, und nachdem ich zurückkam, bestätige ich seine Worte. Ich habe bereits anderen Doktorand*innen von Prof. José Maria gesagt, dass sie dorthin gehen sollten, wenn sie die Gelegenheit dazu haben. Ich habe es auch den Student*innen anderer Professor*innen am Largo São Francisco und auch anderen Forschenden empfohlen, auch jetzt, im Rahmen dieses Abkommens über die institutionelle Zusammenarbeit zwischen der UM und dem STF, habe ich es schon mehreren Leuten empfohlen, weil es etwas Sensationelles ist. Ich kann es nur wärmstens empfehlen, und wenn jemand Anregungen und Tipps braucht, könnt ihr auf mich zählen, schickt mir eine E-Mail und ich werde gerne antworten (lächelt). Ich werde Ihnen empfehlen, sich ein Bier im "Pinkus" nicht entgehen zu lassen, in der Weihnachtszeit auf alle Weihnachtsmärkte zu gehen, viel Glühwein zu trinken (ich habe mehrere Glühweintassen - lacht), das hat mir sehr geholfen, die Kälte der Weihnachtszeit zu überwinden. Auf jeden Fall war es eine sehr bereichernde Erfahrung und ich empfehle sie jedem, der sie machen kann.

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5. Brasilien-Zentrum: „Lost or found in translation“? Glaubst du, dass du deine UM-Erfahrung mit einem Wort, einem Satz oder einem Zitat ausdrücken können?

Pedro: Es war so bedeutsam für mein Leben, dass ich eigentlich keine Worte habe, um diese Erfahrung zu beschreiben. Jedes Wort, das ich hier sagen könnte, wird nicht ausreichen, um es zu beschreiben. Etwas nahliegendes wäre fantastisch, wunderbar, unvergesslich. Ich denke, dass "ohne Worte" die beste Art und Weise ist, um diese Erfahrung in Münster zu beschreiben.

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Brasilien-Zentrum: Lass und nun zu unserem "cafézinho Augenblick", einem entspannten Moment unseres Gesprächs. Dies ist der Moment, in dem du uns eine Anekdote, eine lustige Situation oder eine bemerkenswerte Geschichte erzählen kannst.

Pedro: Es gibt zwei Geschichten, die ich den Leuten erzähle, die zum Lachen bringt. Die erste hat mit dem Problem der Sprachbarriere zu tun. Ich musste einkaufen. Und als ich einen löslichen Kaffee kaufen wollte, weil ich süchtig nach Kaffee bin, dachte ich: "Ich kaufe einen löslichen Kaffee und bringe ihn ins Institut". Ich ging hin und sah diese Vielfalt an Möglichkeiten und dachte: "Ich werde einen guten Kaffee kaufen, aber ich muss aufpassen, um keinen koffeinfreien Kaffee zu nehmen".  Ich sah eine Packung und dachte: "Der ist definitiv nicht koffeinfrei", und nahm den Kaffee in die Hand. Ich war mir so sicher, dass ich den richtigen Kaffee kaufte, dass ich nicht einmal in den Übersetzer schaute. Ich brachte ihn ins Institut und sagte, er sei für alle. Eines schönen Tages, drei bis vier Wochen später, fragte mich ein Kollege: "Magst du diesen Kaffee?", ich sagte: "Ja, er ist wichtig, um wach zu bleiben", worauf er antwortete: "Aber du weißt doch, dass er koffeinfrei ist, oder? Ich konnte nur erwidern: "Sie machen Witze!“ Und sagte „der Placebo-Effekt ist wirklich real" (lacht).

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Eine weitere witzige Erfahrung, die ich gemacht habe, war in den ersten Tagen. Als ich in Münster ankam, war das Wetter sehr typisch, bewölkt, regnerisch und die Temperatur lag bei 8 Grad. In Brasilien fing gerade der Sommer an, und als ich in Münster ankam, war es Herbst, fast Winter. Als ich ankam, war es wirklich ein Temperaturschock. Ich trug immer warme Kleidung, immer einen Schal und Handschuhe, denn das Wetter war kalt und bewölkt. Eines Tages ist die Sonne in der Stadt rausgekommen. Ich war im Haus, in dem ich wohnte, und die Innentemperatur lag wegen der Heizung bei 20 Grad. Ich dachte: "Was für eine strahlende Sonne, was für ein wunderbarer Tag, endlich ein sonniger Tag! Und ich dachte, dass ich keine warme Kleidung bräuchte und ich habe nicht einmal einen Handschuh angezogen und achte mich sehr entspannt auf dem Weg zum Institut. Als ich mit dem Fahrrad losfuhr (denn in Münster ist man ständig auf Fahrrad), war es kalt, aber eiskalt! Meine Finger waren rot, ich hatte nur ein leichtes T-Shirt und eine Jacke an. Als ich im Institut ankam und die Temperatur überprüfte, stellte ich fest, dass es viel kälter war als in den Tagen zuvor. Ich erzählte sogar meiner Frau von der Situation, sie lachte und sagte: "Pedro, wenn es sonnig ist, ist es noch kälter!“ Die Deutschen lachten und fragten mich, ob ich die Wettervorhersage und die Temperatur überprüft hätte, und ich sagte, dass ich die Sonne gesehen, mich angezogen hätte und zum Institut gegangen wäre. Es war der kälteste Tag in diesem Zeitraum! Sie fragten mich, was ich vorhabe, und ich sagte, ich würde um 16 Uhr losgehen, bevor die Sonne untergeht, und mich der Kälte stellen. Sie haben mir jedoch empfohlen, das nicht zu tun. Als ich meinen Fuß aus dem Institut setzte, wurde mir klar, dass ich wirklich so nicht nach Hause zurückkehren konnte. Also ging ich in ein Geschäft und musste mir neue Handschuhe, einen neuen Schal und ein langärmeliges Hemd kaufen, um der Kälte trotzen zu können. Aber nach einer Weile habe ich mich an die Kälte gewöhnt. Als es kurz vor Weihnachten und die Höchsttemperaturen um die 8, 9 Grad war, was ich bei meiner Ankunft in Münster als extrem kalt empfand, ging ich mit leichterer Kleidung raus, weil ich mich bei diesen Temperaturen schon "warm" fühlte.

Das waren zwei Probleme, aber es sind zwei "kleine Probleme", die so lustig sind, dass man sie nicht so nennen kann. Es sind Erfahrungen, an denen man wächst (lacht): Niemals einen Kaffee kaufen, ohne auf den Übersetzer zu schauen, und niemals das Haus verlassen, ohne vorher die Temperatur zu überprüfen (lacht).

Brasilien-Zentrum: Pedro, wir danken dir sehr dafür, dass du deine Erfahrungen mit uns mit so viel Begeisterung geteilt hast. Wir freuen uns sehr, dass du einen akademisch sehr fruchtbaren und persönlich sehr bereichernden Aufenthalt erlebt hast und weiterhin davon profitierst. Wir wünschen dir alles Gute und hoffen, dass deine Verbindung zur Universität Münster weiterhin bestehen bleibt und in Zukunft noch mehr Früchte tragen wird.

Fotos

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