Bibelübersetzungen im Kontext des Kolonialismus
Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts war ein Teil der Bibel in etwa 1000 Sprachen übersetzt worden, darunter auch in viele Sprachen, die zuvor keine Schriftsprache kannten. Ein Großteil des heutigen Wissens über die Sprachen der nicht-westlichen Welt beruht auf der beschwerlichen, oftmals jahrzehntelangen Arbeit indigener Übersetzer und missionarischer Sprachwissenschaftler aus der Kolonialzeit. Aus der Frage, wer welche Version der Bibelübersetzung für wen und mit welchen Mitteln herausgegeben hat, lassen sich wichtige Aussagen sowohl über Machtverhältnisse als auch über komplementäre Netzwerke in der damaligen Zeit machen. Das internationale, von der DFG geförderte, Projekt "Global Bible: British and German Bible Societies Translating Colonialism" (GloBil) erschließt die Archive deutscher und britischer Bibelgesellschaften, um die Geschichte der globalen Bibelbewegung und ihrer Entdeckung der globalen Sprachen in den ausgewählten Regionen Arktis, in Ozeanien und Australien sowie in Westafrika aufzuarbeiten.
Die Ergebnisse sollen 2025/2026 im Bibelmuseum vorgestellt werden. Ein wichtiger Bestandteil davon sind künstlerische Reflexionen aus einer postkolonialen Perspektive. Professionelle Künstler*innen und Illustrator*innen mit Verbindungen zu afrikanischen, australischen Aborigine-, ozeanischen, arktischen oder anderen globalen Mehrheitsgemeinschaften sind aufgerufen, ihre Interpretationen der verschiedenen Bedeutungen der Bibel und ihrer Übersetzungen in einer postkolonialen Welt künstlerisch umzusetzen. Die Wissenschaftler erhoffen sich davon neue Sichtweisen auf die moderne Welt und die koloniale Vergangenheit.
GloBil ist ein Gemeinschaftsprojekt des Centrums für Religion und Moderne der Universität Münster und Historikern der Universität Bristol. "Die ersten Ergebnisse der Archivarbeit zeigen, dass die Beziehungen zwischen britischen und deutschen Bibelgesellschaften sehr komplex waren und unter anderem auch durch ökonomische Faktoren geprägt wurden. Wir konnten auch den Beitrag einiger westafrikanischer 'Gehilfen' bei der Übersetzung der Bibel neu interpretieren und erstmals zeigen, dass diese viel mehr Einfluss hatten als ihnen bisher zugestanden wurde", sagt PD Dr. Felicity Jensz, auf münsterscher Seite Leiterin von GloBil.
Darüber hinaus bereiten die Wissenschaftler*innen eine Datenbank mit verschiedenen Quellen vor, darunter das "Book of a Thousand Tongues", in dem die rund 1000 Sprachen der Bibelübersetzungen aufgelistet sind. Diese soll dauerhaft und überall auf der Welt nutzbar sein, um Forscher*innen aus der ganzen Welt die Möglichkeit geben, ihre eigenen Projekte durch die dort enthaltenen Informationen zu bereichern und neue Fragestellungen zu entwickeln.