"Das Hobby zum Beruf gemacht"
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Im Kreise seiner Liebsten (studentischen Hilfskräfte) fühlte sich Kustos Nieswandt schon immer am wohlsten.© Archäologisches Museum/Yannick Oberhaus Immer ein gutes Gespann: Helge Nieswandt und Museumsdirektor Prof. Achim Lichtenberger (rechts)© Archäologisches Museum Mit seinem Nachfolger Dr. Torben Schreiber hat Helge Nieswandt während der Übergabezeit Hand in Hand zusammen gearbeitet.
"Aktuelle Themen können über die Antike gespiegelt werden. Wir müssen nur die richtigen Fragen stellen", sagt Dr. Helge Nieswandt. Als Kustos am Archäologischen Museum hatte er und sein Team es sich zur Aufgabe gemacht, moderne Themen wie Diversity und Demokratie in den Kontext der Antike zu stellen. Durch seine Arbeit hat er gezeigt, dass die Archäologie nicht nur eine Wissenschaft von der Vergangenheit ist, sondern auch eine Disziplin, die helfen kann, Gegenwart und Zukunft besser zu verstehen. Und auch persönlich blickt der 66-Jährige nicht nur auf seine Vergangenheit zurück, wenn er Ende des Monats in den Ruhestand verabschiedet wird. Er wird weiter im Museum arbeiten, publizieren und vor allem die Inventarliste so aufbereiten, dass sie über eine internetbasierte Datenbank öffentlich zugänglich sein wird.
Denn das Museum ist nicht nur ein Ort für interessierte Besucher*innen und Studierende, sondern auch ein Ort, an dem Forschung ganz groß geschrieben wird. Noch sind nicht alle der 2.200 Stücke, die derzeit ausgestellt werden, wissenschaftlich beschrieben, geschweige denn die zusätzlich 4.000 Exemplare, die im Depot liegen. "Wir haben in den vergangenen Jahren alle Energie auf den Ausbau des Museums gelenkt. Jetzt habe ich endlich wieder die Gelegenheit, einzelne Stücke zu erforschen", freut sich Nieswandt.
Wie viel Arbeit Nieswandt in den vergangenen Jahrzehnten in "sein" Museum gesteckt hat, lässt sich nur erahnen. Als er in den 1980er Jahren als Hilfskraft begann, bestand das Museum im ehemaligen Fahrradkeller des Fürstenberghauses aus einem Raum, in dem die Abgüsse der Olympiagiebel und einige Artefakte in den Vitrinen dazwischen zu sehen waren. Die Sammlung diente überwiegend der Ausbildung der Studierenden und war für diese Mittwoch nachmittags zwei Stunden lang geöffnet. Dann kamen Nieswandt und sein Hilfskraftskollege und Freund Werner Oenbrink auf die Idee, die archäologische Sammlung auch am Wochenende einem breiten Publikum zu öffnen.
"Auf meinen Vorschlag hin haben wir dann das ‚Thema des Monats‘ eingeführt, und uns damit ein Stammpublikum aus der Stadtgesellschaft aufgebaut", erzählt Nieswandt. Rund 100 Besucher*innen kamen damals zu den sonntäglichen Vorträgen. Auf diese Weise wird bis heute nicht nur die Stadtgesellschaft über die aktuelle wissenschaftliche Forschung informiert – auch die Studierenden können ihre Abschlussarbeiten einem breiteren Publikum vorstellen. Und das Museum selbst profitierte ebenfalls von seinen treuen Zuhörer*innen: Denn einige hatten selbst archäologische Fundstücke gesammelt und vermachten oder stifteten diese dem Haus am Domplatz. Darüber hinaus gründete einer der treuen Zuhörer die Kerykeion-Stiftung für Archäologische Museen und sorgte mit einem befreundeten Ehepaar dafür, dass 210.000 Euro Grundkapital zur Verfügung stehen.
Da 1944 eine Brandbombe die ausgelagerte archäologische Sammlung der Universität zerstört hatte und das Museum bis heute keinen Ankaufsetat hat, konnte so die seit 1964 neu entstandene Lehrsammlung auf heute 15.000 Stücke (einschließlich der Münzen) ausgebaut werden. Dass die Universität Objekte aus privater Hand erhält, kann auch der Rückführung illegalen Besitzes dienen: "Durch die wissenschaftliche Publikation geraten sie nicht in Vergessenheit und können, wenn sie unrechtmäßig erworben wurden, im Idealfall restituiert werden", erklärt Nieswandt, der erst im vergangenen Jahr als Mitglied einer kleinen Delegation der Uni Münster in Thessaloniki war, um dem dortigen Museum einen römischen Porträtkopf zurückzugeben.
Während Nieswandt, der ursprünglich Geschichte auf Lehramt studiert und seine Magisterarbeit über die "Museumsdidaktische Aktivitäten im Archäologischen Museum der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster" geschrieben hatte (worüber auch sonst?), wanderte die Schausammlung aus dem ehemaligen Fahrradkeller 1994 in den von der Universität neu eingerichteten Lothar-Zelz-Saal. Im selben Jahr wurde Nieswandt in Archäologie promoviert, während er dem Museum als wissenschaftlicher Mitarbeiter treu blieb. 2002 folgte die Ernennung zum Kustos. Eine folgerichtige Entscheidung für jemanden, der schon als kleiner Junge die Stammbäume der griechischen Götter auswendig gelernt hatte.
In den Jahren 2007/2008 konnte Nieswandt gemeinsam mit dem damaligen Museumsdirektor Prof. Dieter Salzmann weitreichende Veränderungen durchsetzen: Mit dem Einzug in den Nienkamp 60 konnten nun sämtliche Bestände der Abgusssammlung antiker Skulpturen sowie der Modellsammlung antiker Monumente, Stätten und Heiligtümer präsentiert werden. Im Lothar-Zelz-Saal selbst wurde ein neuer Eingangsbereich sowie dessen Ausstattung mit Vitrinen und neuem Ausstellungsdesign realisiert.
Doch damit war der stetige Kampf um repräsentative Räume nicht beendet: Drei Jahre, nachdem Prof. Achim Lichtenberger die Nachfolge von Salzmann angetreten hatte, erhielt das Museum einen zweiten Raum im Untergeschoss, so dass nun eine Ausstellungsfläche von 550 Quadratmetern zur Verfügung steht. Außerdem wurden nun die Öffnungszeiten denen des gegenüber liegenden Landesmuseums angepasst, so dass die universitäre Schausammlung nun zu einem Schmuckstück der münsterschen Museumslandschaft geworden ist.
Um dieses Haus zu bespielen, sind die studentischen Hilfskräfte unverzichtbar. "Ein Museum ist wie eine Maschine, bei der jedes Rädchen ineinander greifen muss", sagt Nieswandt. Er kann nur jedem Studierenden der Archäologie raten, in einem Museum zu arbeiten: "Hier hat man ganz viel Freiheiten und kann unmittelbar mit dem Material umgehen."
Darüber hinaus hat sich die Bedeutung der Museumspädagogik in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr verstärkt und die Zahl der Stellen entsprechend zugenommen: "Das humanistisch gebildete Publikum nimmt stetig ab, wir müssen heutzutage von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen", so Nieswandt. Früher ganz selbstverständliches Vorwissen werde in der Schule nicht mehr vermittelt. Deshalb ist er besonders stolz darauf, dass eine dritte Kooperation mit einer Schule kurz vor der Unterschrift steht. "Und wir haben in diesem Jahr bereits über 20 Buchungen für unsere speziell für Schulklassen entwickelten Programme."
Wie hat Nieswandt es in all den Jahren geschafft, sich seinen stets spürbaren Enthusiasmus zu bewahren? "Man braucht ganz viel Liebe und ein super Team", sagt er und fügt hinzu: "Ich habe mein Hobby zum Beruf gemacht". Dass er sein "Hobby" nun an Nachfolger Dr. Torben Schreiber abgibt, fällt ihm einerseits zwar schwer. Andererseits weiß er sein Museum weiter unter kompetenter Leitung, schließlich hat auch der neue Kurator schon als Hilfskraft unter Nieswandt im Museum angefangen: "Das Museum ist in guten Händen!"