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Münster (upm/UFZ)
Die Acker-Witwenblume (Knautia arvensis) zeigt ausgeprägte genetische Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland und zusätzlich noch regionale Anpassung.<address>© Walter Durka</address>
Die Acker-Witwenblume (Knautia arvensis) zeigt ausgeprägte genetische Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland und zusätzlich noch regionale Anpassung.
© Walter Durka

Gras und Blüten von nebenan

Aus regionalem Saatgut gezogene Wiesenpflanzen sind ortsfremden Artgenossen überlegen

Bunte, nicht zu intensiv genutzte Wiesen sind ein wertvoller Lebensraum für viele Pflanzen und Tiere. Doch vielerorts sind sie selten geworden. Um wieder mehr solcher Gras- und Kräuterwelten zu schaffen, muss man die entsprechenden Pflanzen normalerweise einsäen. Doch mit welchen Samen? Viele Wissenschaftler und Naturschützer plädieren für Saatgut aus der gleichen Region, in der die zukünftige Wiese liegt. Ökologen vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Halle haben nun zusammen mit Kollegen der Universitäten Tübingen und Münster sowie der Technischen Universität München untersucht, wie sinnvoll dieser Ansatz ist. Tatsächlich hat das sogenannte Regio-Saatgut Vorteile, zeigen zwei neue Studien in der Fachzeitschrift "Journal of Applied Ecology". Beispielsweise wachsen viele Pflanzen besser, wenn das Saatgut aus der Region stammt, in der es gesät wird.

"Katze im Sack" oder Saatgut aus der Region

Im Forstbereich ist genau festgelegt, aus welcher Region das verwendete Saatgut stammen muss. Denn es gibt  innerhalb jeder Baumart verschiedene Varianten, die sich an die speziellen Herausforderungen ihres Lebensraums angepasst haben. Für Wiesenpflanzen gab es solche Regelungen bisher nicht. Die im Handel erhältlichen Saatgutmischungen stammen zwar von heimischen Pflanzenarten, können aber überall auf der Welt gewonnen worden sein. "Man kauft die Katze im Sack. Pflanzen, die in Neuseeland oder Uruguay vermehrt wurden, sind kaum an regionalen  Bedingungen im Münsterland angepasst", umreißt Prof. Dr. Norbert Hölzel das Problem. Der Landschaftsökologe der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) ist an beiden neuen Studien beteiligt.

Doch es tut sich etwas: Ab 2020 darf in Deutschland für die Rekultivierung von Wiesen in der freien Landschaft nur noch "Regio-Saatgut" verwendet werden. Wissenschaftler der Universität Hannover entwickelten ein Konzept, das anhand verschiedener geografischer Kriterien Deutschland in 22 Herkunftsgebiete einteilt. Etliche Firmen bieten bereits Saatgut an, bei dem sich genau zurückverfolgen lässt, aus welchem dieser Gebiete es stammt.

Einer der regionalen Versuche wurde an der WWU auf dem Dach des Neubaus Geo 1 durchgeführt.<address>© WWU/Karola Heveling/AG Hölzel</address>
Einer der regionalen Versuche wurde an der WWU auf dem Dach des Neubaus Geo 1 durchgeführt.
© WWU/Karola Heveling/AG Hölzel
Versuch auf dem "Geo I"-Dach

Der Haken: Um die Frage fundiert zu beantworten, ob das Regio-Saatgut-Konzept tatsächlich sinnvoll ist, fehlte es an Daten. Niemand wusste, wie groß die genetischen Unterschiede zwischen Artgenossen aus unterschiedlichen Herkunftsgebieten tatsächlich sind. Geschweige denn, ob solche Abweichungen einen Einfluss auf das Gedeihen der Pflanzen haben. Um diese Wissenslücke zu schließen, untersuchten die Forscher nun sieben häufige Wiesenpflanzen, die aus acht der 22 deutschen Herkunftsgebiete stammten. Einer der regionalen Versuche wurde an der WWU auf dem Dach des Neubaus "Geo 1" durchgeführt, wo dem Institut für Landschaftsökologie seit Bezug des Neubaus im Sommer 2013 optimale Experimentierflächen zur Verfügung stehen.

Besseres Wachstum in der Heimat

Bei allen Arten haben die Wissenschaftler genetische Unterschiede zwischen den Regionen gefunden. Wie groß diese sind, hängt von der Biologie der jeweiligen Pflanze ab. So wiesen insektenbestäubte Pflanzen größere Unterschiede auf als Gräser, die vom Wind bestäubt werden und deren Pollen große Entfernungen überwinden. Die Forscher gehen davon aus, dass die genetischen Unterschiede ein Indiz für die Anpassungen an unterschiedliche Lebensräume sind. Tatsächlich wiesen sie auch im Experiment nach: Viele Pflanzen wuchsen in ihrer Heimat besser und produzierten mehr Blüten als Pflanzen, die aus anderen Regionen stammten. "Es ist also ökologisch sinnvoll, Regio-Saatgut zu verwenden", unterstreicht Norbert Hölzel.

 

 

 

Originalpublikationen:

Bucharova A, Michalski SG, Hermann JM, Heveling K, Durka W, Hölzel N, Kollmann J, Bossdorf O (2016): Genetic differentiation and regional adaptation among seed origins used for grassland restoration: lessons from a multispecies transplant experiment. Journal of Applied Ecology, http://dx.doi.org/10.1111/1365-2664.12645

Durka W, Michalski SG, Berendzen KW, Bossdorf O, Bucharova A, Hermann JM, Hölzel N, Kollmann J (2016): Genetic differentiation within multiple common grassland plants supports seed transfer zones for ecological restoration. Journal of Applied Ecology, http://dx.doi.org/10.1111/1365-2664.12636

 

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